Ski alpin:Deutschlands Speed-Fahrer brauchen einen "Knaller"

Ski alpin: Noch nicht frech genug: Andreas Sander kommt im Super-G in Gröden als 18. ins Ziel.

Noch nicht frech genug: Andreas Sander kommt im Super-G in Gröden als 18. ins Ziel.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

Weil Thomas Dreßen den Olympia-Winter verpasst, müssen sich die DSV-Skirennfahrer erneut aus dem Windschatten zu Erfolgen tasten. Der Saisonstart zeigt, wie kniffelig dieses Unterfangen wird.

Von Johannes Knuth, Gröden

Der Skirennläufer hatte die schönste Arbeitskluft angelegt, schwarz-roter-Pullover, Kappe mit den Logos der Sponsoren, und er strahlte wie vor der Bescherung. "Ich bin echt zufrieden, die harte Arbeit hat sich ausgezahlt, auch die Geduld", sagte Thomas Dreßen in einer Medienrunde am Donnerstagabend.

Deutschlands bekanntester Skirennfahrer der Gegenwart sprach nur leider nicht über die Rennen in Gröden, den Super-G am Freitag und die Abfahrt am Samstag, sondern über seinen Ausflug zum Langlaufen. Eine Stunde war er am Tag zuvor auf dünnen Brettern dahingeglitten, es war sein erster Kontakt mit dem Schnee, nachdem Dreßen sich nach der WM im vergangenen Februar am rechten Knie hatte operieren lassen. Immer wieder dieses Knie, das er sich vor drei Jahren bei einem schweren Sturz ramponiert hatte, dieses verflixte rechte Knie.

Und jetzt, nach der ersten Freude, packte Dreßen noch eine Nachricht aus, die einem Weihnachtspräsent ähnelte, mit dem man nicht gehofft, aber längst gerechnet hatte. Wer im Dezember nur eine Stunde langlaufen könne, sagte er, der könne sich im Januar nicht auf die halsbrecherischen Eispisten in Wengen und Kitzbühel stürzen. So könne er natürlich auch nicht die Zulassung für die Winterspiele im Februar einreichen, einmal Top acht oder zweimal Top 15. Seine Wettkampfsaison, gab er zerknirscht zu, war zum Ende gekommen, bevor sie begonnen hatte.

Überraschend kam das alles nicht, es hatte sich seit Wochen abgezeichnet. Der Arbeitsauftrag für den Rest der Belegschaft im Deutschen Skiverband (DSV) wird dadurch allerdings nicht gerade einfacher. Die Abfahrer müssen nun einen weiteren langen Winter ohne den einzigen Fahrer auskommen, der bei jedem Rennen auf das Podest vorstoßen kann, wenn er denn seine Bestform mit sich führt. Im vergangenen Winter hatten die Kollegen sich noch vorzüglich aus dem Windschatten der Besten nach vorne katapultiert, Andreas Sander und Romed Baumann gewannen bei der WM jeweils Silber. Aber so geheim ist das Können der Geheimtipps im DSV jetzt auch nicht mehr, die eigenen Erwartungen sind auch nicht geringer geworden. Und oben zu bleiben ist ohnehin etwas anderes, als nach oben zu kommen. Am Freitag war Josef Ferstl in Gröden etwas überraschend der Beste des DSV, als Elfter.

Ski alpin: Noch nicht fit genug: Thomas Dreßen, hier beim Training mit dem ehemaligen Langläufer Axel Teichmann, kann derzeit nur auf den schmaleren Skiern dahingleiten.

Noch nicht fit genug: Thomas Dreßen, hier beim Training mit dem ehemaligen Langläufer Axel Teichmann, kann derzeit nur auf den schmaleren Skiern dahingleiten.

(Foto: Gerhard König/Imago)

Der "Knaller", das räumte der deutsche Cheftrainer Christian Schwaiger vor Ort ein, lässt in diesem Winter noch immer auf sich warten für seine ambitionierte Speed-Auswahl. Schwaiger erweckt allerdings nicht den Anschein, als werde er deshalb bald in der pastellgelben Pfarrkirche, die in Santa Cristina über die Saslong-Piste wacht, eine Kerze anzünden. Man habe neben Dreßen nun mal keine Fahrer mit der Begabung eines Aleksander Aamodt Kilde im Portfolio, der am Freitag den Super-G gewann, sein dritter Sieg hintereinander schon.

Seit Schwaiger 2014 zu den DSV-Männern wechselte, zunächst als Trainer für Abfahrt und Super-G, hatte seine Auswahl vor jedem Erfolg viel Anlauf genommen. Man habe in den vergangenen Jahren auch "im Hintergrund" fast alles ausgereizt, sagt Schwaiger; im Technologiezentrum des DSV in Berchtesgaden etwa, für das sie vor drei Jahren den Amerikaner Chris Krause verpflichteten, der einst Bode Miller und Didier Cuche die Skier präparierte.

Krause und seine Mitarbeiter optimieren seither die Anzüge, sie optimieren die Unteranzüge, sie feilen am Finish-Belag der Skier, seit zwei Jahren vermessen sie die Fahrten ihrer Athleten sogar per GPS, um die schnellste Spur noch genauer zu bestimmen. Bei diesem Wettrüsten, sagt der Chefcoach, habe man zu den Marktführern mittlerweile aufgeschlossen, der Schweiz und Österreich. Das sei aber auch unerlässlich, so kuschelig eng, wie die Spitze zusammengerückt sei.

Es sind vor allem die Athleten, die da die letzten Kräfte aus ihren Reservoiren heben müssen. Sander, als Vierter im Super-G von Beaver Creek zuletzt am nächsten dran am ersten Knall, arbeitet dafür weiter an der "Kampflinie". Der 32-Jährige carvte schon immer technisch verdienstvoll durch die Kurven, auf der vermeintlichen Idealspur. Aber wer technisch piekfein fährt, ist nicht immer schnell, weil es die Schnellsten oft ein wenig von dieser Spur trägt. Dieses Vertrauen, "die etwas frechere Linie zu fahren" und dabei die Ruhe zu bewahren, finde er immer häufiger, sagte Sander nun, aber noch nicht so zuverlässig wie die Besten. Am Freitag purzelte er auf Rang 18 zurück.

Viel mehr Comeback-Versuche als diesen einen hat Dreßen wohl nicht mehr in sich

Baumann wiederum, der als Sechster in Lake Louise bislang die beste DSV-Abfahrt des Winters bestritt, konzentriert sich im Herbst seiner Karriere darauf, das zu festigen, was er hat. "Wenn ich mal ein Rennen gewinnen sollte, wäre es nicht im technischen Abschnitt", sagte er in Gröden. "Ich habe andere Qualitäten", das Schleichen durch die Gleitpassagen etwa, was nicht schnell aussieht, aber oft schnell ist. Im Super-G am Freitag half ihm das allerdings wenig, weil der 35-Jährige die technisch kniffelige Ausfahrt der Ciaslat-Wiese verpatzte - Platz 20.

Und Josef Ferstl, der konstatierte nach zwei Wintern voller Rückschläge am Freitag, nach dem kleinen Lichtblick, dass er zuletzt immerhin gelernt habe, wieder der eigenen Meinung zu vertrauen: "Ich habe mich in der letzten Saison oft von anderen beeinflussen lassen", sagte er, "ich habe mein Hirn abgegeben."

Weil nun auch der erst 25-jährige Simon Jocher als Fünfzehnter am Freitag sein bestes Weltcup-Ergebnis egalisierte, weil Dominik Schwaiger in Beaver Creek schon Elfter auf der Abfahrt wurde, kann der Cheftrainer bei einem wie Dreßen weiter Ruhe walten lassen. "Tom ist die Zukunft", sagt Christian Schwaiger, als handele es sich bei dem 28-Jährigen um ein Talent, das man behutsam anleiten werde, mit Blick auf die kommenden Winter. Etwas anderes bleibt ihnen auch kaum übrig: Viel mehr als diesen Comeback-Versuch hat Dreßen wohl nicht mehr in sich, dafür ist die Prozedur, den lädierten Knorpel wieder halbwegs herzustellen, zu anspruchsvoll. Und eine Abfahrt, das sagen nicht nur Insider, ist so ziemlich das Schlechteste, was man einem derart gezeichneten Knie antun kann.

Dreßen ließ sich von Zweifeln bei seiner jüngsten Audienz allerdings anmerken, ihm bleibe ja auch keine Wahl, bestätigte er: Langlaufen, das sei auf Dauer nun mal nichts für ihn.

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