Ski alpin:"Wir hätten uns versteckt"

Michael Veith, WM-Zweiter 1978, über die chronische Misere der deutschen Abfahrtsläufer, einen unfähigen DSV-Präsidenten und mangelhafte Ausbildungskonzepte.

Thomas Becker

Ende der siebziger, Anfang der achtziger fuhr der Tegernseer Michael Veith, heute 51, im Abfahrts-Weltcup vorne mit, stand vier Mal auf dem Podest und gewann bei der Ski-WM 1978 die Silbermedaille.

Ski alpin: Vizeweltmeister Michael Veith: "Bei uns muss man froh sein, wenn man überhaupt Trainer bekommt"

Vizeweltmeister Michael Veith: "Bei uns muss man froh sein, wenn man überhaupt Trainer bekommt"

(Foto: Screenshot: veith-sportmarketing.de)

sueddeutsche.de: Herr Veith, seit den singulären Erfolgen von Hans-Jörg Tauscher (Weltmeister 1989), Markus Wasmeier (Olympiasieger 1994) und Florian Eckert (WM-Dritter 2001) haben deutsche Abfahrer im Weltcup überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Können Sie das erklären?

Veith: Nein, das ist mir unerklärlich. Andere Nationen schaffen es auch innerhalb von einigen Jahren, Mannschaften wieder heranzuführen, zum Beispiel Kanadier oder Amerikaner. Die haben sicherlich keine besseren Voraussetzungen, auch finanziell nicht. Unser Abfahrer haben noch nicht einmal Europacup-Niveau. Im Schüler- und Nachwuchsbereich sind wir noch mit dabei, dann kommt der Sprung in die sogenannte Seniorenmannschaft, und da fallen bei uns die ganzen Leute weg.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Veith: Am Trainermaterial. Bei uns muss man ja froh sein, wenn man überhaupt Trainer bekommt - von Qualität gar nicht zu reden. Und das im Jugendbereich, wo die Trainerelite ja auch hingehört. Und: Ausländische Trainer schön und gut, aber man kann nicht die komplette Trainerriege mit Schweizern und Österreichern bilden. Das ist für die einheimischen Trainer sicher nicht motivierend. Ein weiteres Manko: die schulische und berufliche Ausbildung. Da muss man den Aktiven und auch den Eltern etwas bieten. Da sind uns die Österreicher weit voraus.

sueddeutsche.de: Wie sehen denn die schulischen und beruflichen Perspektiven beim DSV derzeit aus?

Veith: Es gibt halt das Skigymnasium, das gab's zu meiner Zeit schon. Aber im Mittel- oder Hauptschulbereich gibt es gar nichts.

sueddeutsche.de: Will sagen: Die Perspektiven in der Ausbildung enden mit dem Gymnasium?

Veith: Ja. Vielleicht tun sich dann noch bei Bundeswehr oder Bundesgrenzschutz (Bundespolizei; Anm. d. Red.) Möglichkeiten auf. Aber das war's dann schon.

sueddeutsche.de: Warum passiert da so wenig?

Veith: Ich hatte mir damals eigentlich auch viel erhofft vom neuen DSV-Präsidenten Alfons Hörmann (im Amt seit Sommer 2005; Anm. d. Red.), aber ich muss sagen, da hat sich sehr sehr wenig getan. Wenn man sich allein seine Fernsehverhandlungen anschaut, dann muss man sagen: Wenn ich solche Fehler begehe, dann muss ich halt die Konsequenzen tragen. Und so zieht sich das wie ein roter Faden durch: in der Bestückung der Trainer, in der Kompetenzvergabe. Es sind ja durchaus fähige Leute da, aber denen sind auch die Hände gebunden.

sueddeutsche.de: Das Problem ist der Präsident?

Veith: Ja, man hat das Gefühl, dass zuerst wichtig ist, dass die Offiziellen und Funktionäre ihre Posten innehaben, und dann wird sich um das Andere gekümmert. Und das ist schade. Denn ich bin überzeugt, dass wir talentemäßig mindestens das aufzubieten haben, was Schweizer und Italiener haben.

sueddeutsche.de: Das heißt, die Soll-Bruchstelle ist der Übergang zum Erwachsenen-Rennlauf?

Veith: Richtig, da hängt's. Im Schüler- und Jugendbreich sind wir in den letzten Jahren gut mitgefahren, waren bei den internationalen Vergleichen vorn dabei - und dann kommt dieser Schnitt. Da fallen bei uns viele Talente raus, hören auf oder gehen in die anderen Sportarten. Aber warum? Weil der Betreuer- und Trainerstab fehlt, der sie motiviert, weiterzumachen. Und das liegt wirklich an der Qualität und der Ausbildung der jeweiligen Trainer.

sueddeutsche.de: Wie war das damals bei Ihnen, als Sie zu den Erwachsenen wechselten? Wer war Ihr Coach?

Veith: Ich hatte damals das Glück, dass der Alois Glaner mich von der Gau-Mannschaft über die Jung-Nationalmannschaft bis zur Nationalmannschaft begleitet hat. Wir wurden auch international betreut: Kuno Messmann und der Vater vom Hinterseer-Hans. Es gab also auch den Input von anderen Nationen. Aber es war eigentlich ein ganz ähnliches Problem wie heute. Der Vogler-Franz war der einzige Abfahrer, den wir hatten, und so wurde im Deutschen Skiverband beschlossen: Wir wollen jetzt eine Abfahrtsmannschaft kreieren. Und dann wurden eben Sepp Ferstl, Peter Fischer und ich um den Vogler-Franz gruppiert.

sueddeutsche.de: Wer war damals DSV-Präsident?

Veith: Josef Ertl, der Landwirtschaftsminister. Ich muss ja nicht der Top-Spezialist sein, aber ich muss mir halt fähige Leute aussuchen, denen Kompetenzen geben und die dann auch marschieren lassen. Und zur Zeit sehe ich beim DSV zwar ein paar Leute, aber eine generelle Richtung fehlt mir komplett. Ein Wolfgang Maier bemüht sich total. Der lebt das richtig, das merkt man auch. Aber der kann natürlich auch nicht zaubern. Und für ihn es auch finanziell schwierig, etwas auf die Beine zu stellen, gerade im Jugendbereich. Damals waren wir 15 bis 20 Leute, von denen sind zwei, drei in die Spitze gefahren. Aber wenn ich heute die Diskussion höre: Kann ich den Kitzbühel fahren lassen oder nicht? Leute, die Ende zwanzig sind! Gut, wir sind früher gar nicht groß gefragt worden. Wen will ich denn schonen? Das ist doch meine Herausforderung, da muss ich ran. Diese Diskussion ist wirklich ein Armutszeugnis. Das ist peinlich. Und wenn das auch noch vom Betreuerstab ausgeht - um Himmels willen: Wie soll ich dann von den Aktiven verlangen, die sollen sich da jetzt runterhauen und Leistung bringen? Wenn ihm im Vorhinein schon die Motivation genommen wird, dann ist das natürlich traurig.

sueddeutsche.de: Wie handhaben das die anderen Verbände?

Veith: Wenn einem Athleten die Fähigkeit zugesprochen wird, Weltcup zu fahren, dann muss er das tun. Ich habe noch von keinen anderen Nationen gehört, die Fahrer schonen für eine moderatere Abfahrt.

sueddeutsche.de: Ist Ihrer Ansicht nach der Hauch eines Umschwungs in Sicht, auch was die Verbandsarbeit angeht?

Veith: Anscheinend geht es ja immer irgendwie weiter. Es gibt andere Disziplinen, die es dann wieder rausreißen, mal sind es die Skispringer, mal die Alpinen, und solange einigermaßen die Förderung und das Geld da ist und die ihre Autos kriegen und ihr Outfit, damit läuft das alles so dahin, und ein großer Umschwung ist nicht da. Man kann jetzt über die Österreicher, über Schröcksnadel, sagen, was man will, aber der hat da schon einen ganz anderen Zug reingebracht. Er hat zwar mitgesprochen bis zur Aufstellung der Mannschaft, aber der Erfolg hat ihm recht gegeben. So ähnlich hatte ich mir das eigentlich auch gedacht beim Hörmann. Der ist wirtschaftlich unabhängig, kommt aus der Wirtschaft, müsste sich da eigentlich auskennen. Aber da ist man doch sehr schnell wieder in alte Muster verfallen. Und nach dem letzten Eklat, den er sich geleistet hat, muss er einfach den Hut nehmen. Diese Hoppla-jetzt-komm-ich-Haltung in den Verhandlungen - das war schon sehr ignorant. Aber er ist halt durch die Landesverbände so stark, dass sich da keiner rantraut.

sueddeutsche.de: An der Spitze sind also keine Änderungen in Sicht - wie geht's weiter mit den Rennläufern?

Veith: Man muss hoffen, dass durch die Fernsehverträge das Geld jetzt erst mal gesichert ist, damit die Nachwuchsarbeit wieder forciert werden kann. Mit dem Flori Eckert haben wir ja gesehen, was passieren kann: Wenn da einer durchreißt, zieht der automatisch andere mit: Mensch Meier, im Training hab ich den doch auch schon mal niedergefahren, warum nicht im Rennen? Aber wenn ich unsere Leute so um die dreißig sehe: Wenn die in Garmisch unter die 25 kommen, wird das als Riesen-Erfolg gefeiert. Da muss ich sagen: Freunde, bitte, wo samma? Wir hätten uns damals versteckt. Wenn wir als 25. runtergekommen sind, war das eine absolute Niederlage. Das ist okay, wenn ich am Anfang bin. Aber wenn ich schon so viele Jahre mitfahre, muss für mich Ziel sein, unter die ersten zehn zu kommen, und ich möchte dieses Rennen gewinnen. Und das muss man bei den Jungen wieder wecken. Das ist auch sicherlich da, an denen liegt's nicht. Bloß: Es fehlt jemand, der die motiviert und dahin bringt. Weil: Können tun sie's, absolut.

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