Ski alpin während der Pandemie:"Alles ist Chaos jetzt"

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Dauerunterbrechung: Im alpinen Ski-Weltcup, wie hier in Zagreb, wurde zuletzt phasenweise mehr repariert als gefahren. (Foto: Matic Klansek/Gepa/Imago)

Der Ski-Weltcup sorgt sich wegen des Wetters, des engen Zeitplans aber vor allem wegen Corona um seine Handlungsfähigkeit. Der deutsche Alpin-Vorstand findet es derzeit "kaum zu verantworten", Aktive und Trainer zu Olympia zu schicken.

Von Johannes Knuth

Der Skirennfahrer Henrik Kristoffersen hat sich wahrhaftig große Mühe gegeben, und bis zuletzt hat der Norweger seinen Schwur auch artig eingehalten: Bloß nicht mehr ganz so heftig herumtoben im Zielraum, wenn ein Konkurrent um Hundertstelsekunden flotter ist; nicht ständig die Kurssetzung kritisieren; keine (letztlich erfolglosen) Klagen gegen den eigenen Verband anstrengen, weil dieser ihm nicht das Recht gestattet, das Logo eines eigenen Sponsors auf den Ski-Helm zu pappen, was natürlich lukrativ ist. Er wolle weniger reden, hatte Kristoffersen zuletzt engelsartig betont, dafür schneller fahren. Doch am Donnerstag, da ging weder das eine noch das andere.

Was er die letzten Tage erlebt hatte, sagte Kristoffersen am ARD-Mikrofon, bei den Weltcup-Slaloms am Bärenberg in Zagreb, "das war nicht weltcup-würdig". Die Piste war weich, voller Furchen, als wolle man ein Formel-1-Rennen auf einer Rallyepiste austragen. Den Slalom der Frauen drückten sie noch durch, den der Männer am Mittwoch nicht mehr, und die Wetterprognose für den Tag danach versprach kaum Besserung.

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Der Weltverband Fis und die Ausrichter versuchten es trotzdem, die Fahrer schimpften, sie fluchten im Rennen, sie fluchten in den sozialen Medien - "Hallo Fis, habt ihr euren eigenen Laden noch im Griff?", fragte der Franzose Johan Clarey. Sein Teamkollege Victor Muffat-Jeandet brach sich gar den Knöchel in diesem Rennen, das am Ende keines war: Abbruch nach 19 Startern.

"Alles ist Chaos jetzt", sagte Kristoffersen, angemessen nüchtern: Am Donnerstagabend musste der Tross ja umso hektischer nach Adelboden übersetzen, ins Berner Oberland, wo es am Wochenende mit Riesenslalom und Slalom weitergeht; kurz darauf stehen die Klassiker in Wengen, Kitzbühel, Schladming an. Ach ja, ließ Kristoffersen noch nebenbei fallen, im Hotel der Athletinnen in Zagreb, da habe sich das Corona-Virus zuletzt fröhlich ausgelebt. Sonst noch was?

Der Januar ist bei den Alpinen für gewöhnlich der Monat, in dem alles in Schwung gerät, aber gewöhnlich ist in diesen Tagen ja recht wenig. Markus Waldner, als Renndirektor der Fis vor allem dafür verantwortlich, dass sein Betrieb in Schwung bleibt, hatte schon vor den Rennen in Zagreb ein paar bemerkenswerte Aussagen abgesetzt: Der Ski-Weltcup hänge "am seidenen Faden", sagte er der Dolomiten-Zeitung, "sollten wir bis Olympia im Februar heil durchkommen und dort wirklich alle weltbesten Athleten am Start stehen, dann grenzt das an ein Wunder". Er machte keinen Hehl daraus: dass sein Sport gerade auch für den Wintersport als Ganzes steht, der bei seinem Höhepunkt längst darum fürchtet, nicht mal alle Besten beisammen zu bekommen.

Der Weltverband bezahlt nun auch für seine Politik der vergangenen Jahre

Waldners Sorgen vertieften sich zuletzt vor allem, als er die Liste der Covid-Fälle durchblätterte. In Zagreb fehlten die Schweizerinnen Camille Rast, Aline Danioth und Mélanie Meillard, die Österreicherinnen Franziska Gritsch und Magdalena Egger, Thea Louise Stjernesund aus Norwegen, Vera Tschurtschenthaler aus Italien, die Amerikanerinnen Nina O'Brien und AJ Hurt. So weit der Auszug für ein Rennen. Viele Topleute hatte es zuvor bereits erwischt, die Schweizerin Lara Gut-Behrami, Katharina Liensberger aus Österreich, auch Mikaela Shiffrin, die Weltcup-Führende aus den USA, die in Peking in fünf Disziplinen um Olympiagold wetteifern will. Am Donnerstag verpflanzte der österreichische Ski-Verband dann den Nachtslalom der Frauen, der am kommenden Dienstag ansteht, kurzerhand nach Schladming, weil die Inzidenzen in Flachau zuletzt in die Höhe schossen.

Und sonst? Es sei "nur eine Frage der Zeit, bis die Infektionen auch bei den Männern in die Höhe schnellen", sagte Renndirektor Waldner, vor allem die Schweizer Weltcups bereiteten ihm gerade Sorge. Adelboden und kurz darauf Wengen also, Orte mit hohen Inzidenzen, trotzdem planen die Organisatoren mit Zuschauern. Die Athleten seien zwar theoretisch separiert vom Rest, sagte Waldner, die allermeisten sind auch geimpft, sonst hätten sie gar nicht zu den Weltcups in Amerika reisen können. Er sehe aber auch immer wieder Sportler, die Hände von Fans schüttelten oder manche umarmten. Mit "Eigenverantwortung" habe das wenig zu tun, so sieht er das zumindest.

Zweifelhafter Carving-Genuss: Der deutsche Slalomfahrer Linus Straßer erlebt mit dem Weltcup gerade "chaotische Tage". (Foto: Wolfgang Grebien/Gepa/Imago)

Zur ganzen Wahrheit gehört freilich, dass die Fis nun für ihre Politik der vergangenen Jahre bezahlt. Sie hatte die Rennkalender immer voller gestopft, den Tross von Nordamerika nach Südtirol gejagt, von Kroatien in die Schweiz, von Slowenien nach Österreich. Das dämpft jetzt nicht gerade das Risiko, sich zu infizieren. Auch hilft es wenig, dass sich der Verband bis heute an Standorte klammert, deren niedrige Lage kaum noch schneesichere Winter garantiert, Zagreb oder Maribor etwa, wo der Weltcup zuletzt wieder ausfiel. So müssen sie noch mehr Rennen in engere Zeiträume pressen, in diesem Januar etwa, wenn die Omikron-Welle erst brechen soll.

Das nährt auch Befürchtungen, wenn der Tross Ende Januar zu den Spielen nach Peking übersetzt. Dort sind die Restriktionen so massiv, dass manche nun die Sinnfrage aufwerfen. Derzeit, sagte der deutsche Alpin-Vorstand Wolfgang Maier am Freitag am Telefon, sei es "kaum zu verantworten, Aktive und Trainer dort hinzuschicken", zu viele Fragen seien noch offen.

Er bitte die Offiziellen etwa seit Monaten, zu definieren, ab welchem CT-Wert ein Corona-Test als positiv oder negativ gewertet werde - wie sensibel die Tests eingestellt sind, sehr grob gesagt - weder das Internationale Olympische Komitee noch die lokalen Organisatoren würden da Klarheit schaffen. Das setze Athleten großer Ungewissheit aus, so sehr, wie das Virus sich derzeit verbreite. Außerdem sei "Manipulation Tür und Tor geöffnet", sagt Maier: "Du kannst jeden aus dem Verkehr ziehen, der dir irgendwie im Weg steht", man sei so "quasi einer Willkür ausgesetzt". Schwere Zeiten, erst recht für alle, die sich nicht mehr aufregen wollten.

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