Süddeutsche Zeitung

Tod von Ulrike Maier:Das tödliche Risiko bleibt

  • Vor 25 Jahren schockte ein tödlicher Unfall die Skiszene: Die zweimalige Ski-Weltmeisterin Ulrike Maier verunglückte auf der Kandahar-Abfahrt in Garmisch.
  • Seitdem wurde die Sicherheit auf den Strecken massiv verstärkt - allerdings nicht ausreichend, sagen viele Aktive.

Von Johannes Knuth

Ganz oben, am Start, wirkte alles noch fast normal. Niemand ahnte, welche Tragödie sich gerade auf der Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen ereignete, die Rennunterbrechung dauerte und dauerte, aber Skirennfahrer lernen früh, solche Momente von sich fernzuhalten. Sonst könnten sie eine Mutprobe wie die alpine Abfahrt niemals bewältigen. Erst später, als die letzten Fahrerinnen im Ziel waren und erfuhren, was sich während des Rennens ereignet hatte, da fragten sie sich: Warum wurden wir bloß noch da runter geschickt? Nach diesem fürchterlichen Sturz, nach dem man befürchten musste, dass der sportliche Wettstreit an diesem Tag das geringste Problem sein würde?

Am Abend dieses 29. Januar 1994 legte sich schließlich ein Schatten von gewaltiger trauriger Gewissheit über Garmisch: Ulrike Maier, 26, zweimalige Weltmeisterin im Super-G und Mutter einer kleinen Tochter, war auf der Kandahar tödlich verunglückt. Sie hatte nach der Saison aufhören wollen, nun war sie an einer Stelle aus dem Leben gerissen worden, die auf den ersten Blick völlig unscheinbar wirkte. Die folgenden Debatten sollten den alpinen Skisport jedenfalls nachhaltig verändern, vieles wirkt bis in diesen Winter hinein, in dem sich der Unfall zum 25. Mal jährt.

Maier war damals mit Startnummer 32 an der Reihe, die Besten waren bereits im Ziel. Die Abfahrt war nicht ihre größte Stärke, aber bis zur Traverse verlief ihre Fahrt normal. Und dann verkantete plötzlich ihr rechter Ski, biss sich ins Eis, riss Maier bergauf - gegen einen mit einem Strohballen verdeckten Keil, der die Zeitmessanlage sichern sollte. Maier wurde zurück auf die Piste geschleudert, regungslos, am Abend vermeldeten sie ihren Tod.

Als der Frauen-Weltcup am vergangenen Wochenende wieder in Garmisch Halt machte, spielten sie einen Film von ihren Erfolgen ein, Maiers Angehörige hatten eine Einladung nicht wahrgenommen.

Neue Hochsicherheitsnetze, schnittfeste Banden

Im April 1996 begann in München dann ein Prozess gegen Kurt Hoch, damals Renndirektor des Weltverbands Fis, und gegen seinen Stellvertreter, wegen fahrlässiger Tötung. Er endete mit einem Vergleich: Hoch und sein Vize zahlten knapp 5000 Euro an die Bergwacht in Garmisch, die Fis richtete einen Fonds über rund 375 000 Euro für Maiers Tochter ein. "Eine etwaige Schuld der beiden Angeklagten, falls sie festgestellt worden wäre, wäre gering gewesen", sagte der Richter, aber der Vorfall ließ die Beklagten nicht mehr los, wie auch im Fall von Gernot Reinstadler 1991 in Wengen. Die Wengener hatten damals die neuesten Sicherheitsnetze beschafft, aber diese waren damals halt nicht gut genug - Reinstadlers Skier verhedderten sich im Fangzaun, sein Becken wurde aufgerissen. "Der Tod meines Sohnes hat viele andere junge Leben gerettet", hat seine Mutter Traudl Edler einmal gesagt, und das gilt vermutlich auch im Fall von Ulrike Maier.

Die Carvingski, die damals noch recht neu und aggressiv abgestimmt waren, wurden in der Folge damals reglementiert, es gab neue Hochsicherheitsnetze, schnittfeste Banden, Absicherungen. Und heute? Michaela Dorfmeister, 2006 Olympiasiegerin in der Abfahrt und im Super-G, war bei Maiers Unfall 20 Jahre alt und nach ihrer Teamkollegin die Kandahar noch hinuntergefahren. Am Wochenende sagte sie der Agentur APA: "Es sitzen einfach viel zu viele Leute oben, die noch nie ein Skirennen gefahren sind und sich noch nie in einem Risikobereich bewegt haben, geschweige denn dieses Risiko erkennen." Dorfmeister ist heute Technische Delegierte in der Fis, arbeitet den Renndirektoren zu, und findet: Bei der Sicherheit "ist noch viel Luft nach oben". Vor allem im Nachwuchs, wo Veranstalter die Kosten für Sicherheitsnetze nicht tragen wollen oder können.

Bei den Profis hat sich viel getan, auch wenn das Risiko auf der Abfahrt noch immer ein tödliches ist: Der Franzose David Poisson starb im vergangenen Winter auf einer Trainingspiste, der junge Deutsche Max Burkhart bei einem unterklassigen Rennen. Und die Liste der schweren (Knie-)Verletzungen ist seit Jahren lang, viele Vorschläge versanden, der Österreicher Hannes Reichelt legte auch deshalb jetzt sein Amt als Athletensprecher nieder.

Das ist auch eine Lehre aus Maiers Unfall: dass Wintersport, vor allem der alpine, eine Show der Geschwindigkeiten ist, für die der Mensch nicht immer gemacht ist. Und wofür Ulrike Maier einen viel zu hohen Preis bezahlte.

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SZ vom 29.01.2019/ebc
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