Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Trotz Kreuzbandrisses: Neureuther träumt von Olympia

  • Felix Neureuther hofft trotz seiner schweren Knieverletzung weiter auf einen Start bei den Olympischen Spielen.
  • Er will dafür möglicherweise auf eine Operation verzichten. Er sagt: "Ich bin jetzt 33, ich brauche mir nichts vormachen: So viele Chancen habe ich nicht mehr."

Von Johannes Knuth

Das Video, das am Wochenende alle anderen Aufnahmen verdrängte, zeigte einen Skirennfahrer im Bett. Felix Neureuther schaute durch kleine Augen in eine Handykamera, er knipste ein zartes Lächeln an, eines dieser Lächeln, die einen ganz anderen Gemütszustand überspielen sollen. "Servus", begann Neureuther seine digitale Sonntagsansprache, er habe leider "keine so guten Neuigkeiten". Dann sprach er von Operationen, Heimflügen, dass er jetzt immerhin viel Zeit mit seiner kleinen Tochter verbringen könne. Wenn Skirennfahrer im November von ambulanter Versorgung und unfreiwilliger Elternzeit sprechen, ist das eher kein so gutes Zeichen.

Neureuther hatte am Samstag mit den deutschen Technik-Fahrern in Copper Mountain trainiert, am nächsten Wochenende steht in Beaver Creek ein Riesenslalom an. Der 33-Jährige hatte einen Schwung spät eingeleitet, er wollte seine Skier noch rasch um die Kurve bringen, aber kurze, kraftvolle Lenkmanöver sind im Riesenslalom nicht immer eine gute Idee. Neureuther verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten, die Skier bissen sich kurz in den Schnee und warfen dann ihren Piloten in die Luft - wie einen Reiter beim Rodeo. Neureuther wusste sofort, "dass es mich schlimmer erwischt hatte", kurz darauf humpelte er aus einer Klinik in Vail, an Krücken. "Bye bye Kreuzband", sagte er in die Kamera, ein Band im linken Knie sei gerissen.

Aber: Von diesem olympischen Winter wollte er sich noch nicht ganz verabschieden. Am Münchner Flughafen sagte er am Montagmorgen: "So lange noch ein kleines Fünkchen Hoffnung besteht, dass vielleicht sogar tatsächlich auch Olympia möglich sein sollte", so lange werde er versuchen, in Pyeongchang zu starten. Bis zum Slalom am 22. Februar 2018 sind noch etwas mehr als zwölf Wochen Zeit. Der Riesenslalom findet vier Tage vorher statt.

Olympia trotz Kreuzbandriss? "Ich bin jetzt 33, ich brauche mir nichts vormachen: So viele Chancen habe ich nicht mehr", betont Neureuther. Olympia 2022 in Peking ist ja dann doch ein bisschen arg weit weg, und deshalb "will ich natürlich definitiv versuchen, dass es funktioniert." Zunächst ist das Ganze noch "eine Träumerei in meinem Kopf", weiß Neureuther. Außerdem, betont er: "Ich gehe nur an den Start, wenn ich eine Medaillenchance habe."

Rebensburg ist jetzt die Gejagte

Es war ein bizarres Wochenende für den Deutschen Skiverband (DSV), der Auftakt der alpinen Tournee durch Nordamerika. Sie waren am Samstag zunächst ganz beseelt von Viktoria Rebensburgs Erfolg im Riesenslalom von Killington/USA, 0,67 Sekunden vor Gastgeberin Mikaela Shiffrin (die am Sonntag den Slalom gewann). Im Oktober hatte Rebensburg schon den ersten Riesenslalom der Saison in Sölden gewonnen.

Sie war in den Wintern zuvor durch Verletzungen und Formschwächen gewatet, aber sie hatte daraus ihre Lehren gezogen, fand zurück in eine Sicherheit, die sie jetzt umgibt wie ein Mantel. Wenn sie sich derart wohl fühlt, braucht sie nicht lange, um in ihrer Kerndisziplin wieder in die Rolle der Gejagten zu schlüpfen.

Neureuther wiederum hatte vor zwei Wochen den Slalom in Levi gewonnen. Ein idealer Saisonauftakt. Neureuther und Rebensburg sind ja weiter die einzigen Alpinkräfte, bei denen man bedenkenlos Medaillen in Auftrag geben kann. Als bei der WM 2017 in St. Moritz fast alle Hoffnungen zusammengeschmolzen waren, gewann Neureuther Bronze im Slalom. "Felix", gestand DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier zuletzt, "hat mir den Arsch gerettet." Jetzt ist nur noch eines von Maiers "Rennpferden" für die Winterspiele Anfang Februar im Stall. Und für das andere geht es erst mal nicht um sportliche Weihen, sondern auch darum, wie es mit seiner beeindruckenden Karriere weitergeht.

Für Neureuther ist in Nordamerika zunächst einmal das Projekt zerbröckelt, in seinem wohl letzten olympischen Winter noch mal voll da zu sein. Er war im Frühjahr 2015 durch die Zielräume gestapft, die Beine taub vor Schmerz, verschrieb sich eine Pause, um den kranken Rücken heilen zu lassen. Neureuther war sich nicht sicher, ob er wieder in die Weltspitze zurückfinden würde, die Hirschers und Kristoffersens hatten während seines Sabbaticals viel getüftelt und trainiert. Aber er sah, wie Oliver Saringer, sein Physiotherapeut, ihn auch ohne Schmerzmittel fit bekam. Und der vergangene Sommer spendete Mut.

Neureuther verbrachte viele Tage im Schnee, sogar im Sommercamp in Neuseeland; diese Exkursion hatte er zuletzt fast immer ausgelassen. Er wirkte ausgeglichener als in den Jahren, in denen er noch nicht drei Einzelmedaillen bei Weltmeisterschaften erstanden hatte; der Sport ist ihm schon noch wichtig, aber nicht mehr das Wichtigste. Seit Ende Oktober ist Neureuther Vater einer Tochter. Er hätte nicht gedacht, sagte er zuletzt, "dass eine volle Windel einem so viel Freude machen kann".

Nur Olympia ist bislang eine Leerstelle in seiner Vita. In Turin 2006 war er überfordert, in Vancouver 2010 schied er im Slalom aus, vor Sotschi 2014 war er in die Form seines Lebens, dann rauschte er auf dem Weg zum Flughafen in eine Leitplanke. Jetzt der Kreuzbandriss. Neureuther selbst verkraftet das wohl noch am ehesten, er ist einer, der eigentlich immer an der Spitze seines Sports steht, egal wie er fährt. "Wenn er Fünfter wird, kommt er trotzdem an", mit einem kessen Spruch etwa, weiß Sportdirektor Maier, "diese Strahlkraft hat er für den gesamten alpinen Skisport. Schon die Person ist wie ein Schild für das Team".

Fritz Dopfer, die langjährige Nummer zwei, benötigt nach seinem soliden Comeback in Levi noch Zeit, Linus Straßer und Stefan Luitz mangelt es nicht an Begabung, aber (noch) an Konstanz. Und die Speed-Kollegen sind ambitioniert, müssen aber gegen äußerst wehrhafte Konkurrenz bestehen. Der Schweizer Beat Feuz gewann am Samstag die erste Abfahrt des Winters in Lake Louise (die noch im Zeichen des kürzlich im Training tödlich verunfallten David Poisson stand). Thomas Dreßen wurde als bester Deutscher 14.

Und Neureuther? Er wird während der Reha vielleicht an ein Karriereende denken, sagen sie in seinem Umfeld, aber sie sind sich auch ziemlich sicher, dass diese Gedanken verdampfen, dass der Ehrgeiz überwiegt, so nicht aufzuhören. "Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr", sagte Neureuther in Vail. Hinfallen sei keine Schande, schob er hinterher, "nur liegen bleiben". Wer ihn in den vergangenen Jahren im Weltcup beobachtete, abseits der Kameras, sah oft einen, der etwas langsamer geht, etwas gebückt, sein Rücken ist längst älter als der Körper, der ihn trägt.

Aber Neureuther ist immer wieder zurückgekommen.

Nur: Ein Olympia-Start mit einem gerissenen Kreuzband, wie bitte soll das gehen? Eine Voraussetzung ist: keine Operation. Neureuther will jetzt sehr schnell viele Meinungen einholen, von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dann vom Kniespezialisten Christian Fink von der Uniklinik Innsbruck. Er hat auch mit Carlo Janka (Schweiz) Kontakt aufgenommen: Der Olympiasieger plant, trotz eines Ende Oktober erlittenen Kreuzbandrisses in Pyeongchang zu starten.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2017/schm
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