Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Suche nach der neuen wilden Sau

  • Felix Neureuther lässt das Ende seiner Karriere nach seiner Bronzemedaille im WM-Slalom von St. Moritz offen.
  • Der deutsche Skiverband hat bis zu den olympischen Spielen in Pyeongchang 2018 ein gutes Team an Rennläufern zur Verfügung.
  • Ob Luitz, Straßer oder Dopfner allerdings an Neureuther rankommen, müssen sie noch beweisen.

Von Matthias Schmid, St. Moritz

Felix Neureuther war vor Schreck fast die Fernbedienung aus den Händen gefallen, als er am Abend vor dem Slalom die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga suchte. Denn als er im Videotext die Seiten umblätterte, blieb er bei einer Meldung hängen, die mit folgender Überschrift versehen war: "Straßer ist die letzte deutsche Medaillenhoffnung in St. Moritz". Neureuther gefiel die Schlagzeile nicht, er ärgerte sich sogar ziemlich darüber und diskutierte sie auch umgehend mit Straßer selbst, mit dem er sich bei der WM das Zimmer teilte. Doch Neureuther, der erfolgreichste deutsche Ski-Rennläufer im Weltcup, merkte schnell, dass Straßer die Rolle des neuen deutschen Hoffnungsträgers schmeichelte.

Die einzige Medaille bei der alpinen Ski-Weltmeisterschaft bescherte dem Deutschen Ski-Verband (DSV) dann doch nicht Linus Straßer, sondern Felix Neureuther, der am Sonntag hinter Marcel Hirscher und Manuel Feller auf dem dritten Platz landete. Die Anekdote, die sich am Samstag im Hotelzimmer zugetragen hatte, erzählte Neureuther am Sonntagabend im Deutschen Haus in Celerina, als er mit seinem Fanklub und seinen Eltern die Medaille gemütlich feierte. Etwas verwirrt sei er gewesen, erzählte der 32-Jährige, dass für manche in der Öffentlichkeit der Generationswechsel in der deutschen Mannschaft schon vollzogen sei.

"Ich habe die Verhältnisse wieder zurechtgerückt"

Er fühlte sich nach seinen wieder auftretenden und schmerzhaften Rückenproblemen schon abgeschrieben und zog daraus die Extramotivaton, die er für das letzte WM-Rennen in St. Moritz benötige. "Bei mir war deshalb der Ehrgeiz schon sehr, sehr groß", gab Neureuther zu, "weil man gesagt hat: Der Neureuther holt hier keine Medaille, das müssen jetzt andere richten. Deshalb habe ich die Verhältnisse wieder zurechtgerückt, was auch gut so ist."

Der Generationswechsel muss also noch warten, Neureuther hat ihn noch einmal verschoben, bis zu dem Tag, an dem er aufhört. Wann das sein wird, will er selbst bestimmen. Er hat offen gelassen, ob das seine letzte WM gewesen ist. "Felix ist halt einfach eine wilde Sau", merkte der Männer-Cheftrainer Matthias Berthold nach dessen Bronzemedaille erleichtert an. Aus dem Mund des Österreichers ist das ein großes Lob. Berthold, 51, sucht längst nach der nächsten wilden Sau, nach einem deutschen Rennläufer, der wie Neureuther bei Großereignissen Medaillen gewinnen kann.

Der andere deutscher Fahrer, der schon gezeigt hat, dass er das kann, ist verletzt. Fritz Dopfer, 29, leidet noch an den Folgen eines Schien- und Wadenbeinbruchs, der WM-Zweite im Slalom von Beaver Creek 2015 kann frühestens im nächsten Winter wieder Weltcup-Rennen fahren. Ob Linus Straßer, 24, im Slalom und Stefan Luitz, 24, im Riesenslalom gut genug dafür sind, werden die nächsten Jahre zeigen. Zumindest haben sie schon angedeutet, dass sie durchaus die fahrerische Klasse mitbringen. Luitz etwa stellte sich schon viermal im Weltcup auf dem Podium vor. Und Straßer gewann vor der WM den Parallel-Slalom in Stockholm.

Beim Münchner besteht allerdings die Gefahr, erzählen sie beim DSV, dass er zu schnell abhebt oder wie in St. Moritz übermotiviert auftritt, verkrampft und so hinterherfährt, wie im Slalom, den er als 20. beendete. "Ich habe Linus geraten, dass er sich nicht selber so sehr unter Druck setzen solle", sagte Neureuther. Er habe in jungen Jahren leidvoll erfahren müssen, dass das genau das Gegenteil bewirke. Als wichtiger Ratgeber und Bezugsperson wird er den jüngeren Kollegen noch erhalten bleiben. Matthias Berthold ist froh darüber, dass Neureuther bis zu den Winterspielen im nächsten Jahr im koreanischen Pyeongchang in jedem Fall seine Karriere fortsetzen wird. Eine Goldmedaille bei einem Großereignis im Einzelwettbewerb fehlt ihm noch.

Der Cheftrainer fordert keine Goldmedaille von Neureuther ein

Eine solche öffentlich einzufordern von Neureuther oder Dopfer, davon hält Berthold allerdings überhaupt nichts. "Es ist immer gefährlich, wenn man Gold so hoch hängt", sagt der 51-Jährige. Vieles sei möglich, die stark verbesserte Speedgruppe um Andreas Sander, Josef Ferstl und Thomas Dreßen schließe er mit ein. "Das Wichtigste ist, dass wir uns als Mannschaft nach vorne entwickeln und keinen Riesenberg aufbauen, vor dem man steht und nicht rüberkommt", sagt Berthold, "wir halten es so, dass wir den Sport in den Vordergrund stellen und nicht die Wunschvorstellungen. Man muss sich das erarbeiten, es gehört immer auch Glück dazu und wenn einer wie Hirscher super fährt, dann ist es sehr schwer die Ziele zu erreichen, aber Ziele muss man auch haben."

Was Neureuther darüber denkt, behält er für sich. Am Sonntagabend wollte er nur noch weg aus dem Engadin, noch im Rennanzug hatte er das Deutsche Haus besucht und einen Kuchen verspeist. Er setzte sich dann ins Auto heim nach Garmisch-Partenkirchen, vorher aber verabschiedete er sich noch von seinen prominenten Eltern Christian Neureuther und Rosi Mittermaier. Die zweimalige Olympiasiegerin im Skifahren freute sich natürlich über die Medaille ihres Sohnes, aber sie sieht in Felix in erster Linie eher ihren Buben als den Rennläufer. Am Ende sagte sie mit sorgenvollem Blick zu ihm: "Lass' dir Zeit, du wirst sowieso im Stau stehen."

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