Ski alpin:Plötzlich nah dran an Shiffrin und Vlhova

ALPINE SKIING - FIS WC Levi LEVI,FINLAND,21.NOV.21 - ALPINE SKIING - FIS World Cup, slalom, ladies. Image shows Lena Du

Satte Beute nach 170 Anläufen: Lena Dürr fuhr in Levi in ihrer Lieblingsdisziplin Slalom zweimal auf Rang drei.

(Foto: Thomas Bachun/GEPA pictures/Imago)

Der Österreicher Georg Harzl hat den deutschen Slalom-Fahrerinnen um Lena Dürr aus einem Tief geholfen. Sogar die Branchenführerinnen wirken nicht mehr unerreichbar.

Von Johannes Knuth

Der Alpin-Trainer Georg Harzl und seine Betreuer haben die knapp 3000 Kilometer von Levi nach München zuletzt tatsächlich mit dem Auto zurückgelegt, mehr als einen vollen Tag währte die Lustreise. Von München aus ging es am Dienstag dann gleich weiter in die USA, am kommenden Wochenende stehen dort an der Ostküste ein Riesenslalom und ein Slalom an. Es half ja nichts. Harzl und seine Crew hatten zuvor viel Zeit am Polarkreis verbracht, um die Fahrerinnen des Deutschen Skiverbands (DSV), so gut es geht, auf die Slaloms in Levi vorzubereiten. Und wer länger am Polarkreis weilt, braucht großes Gepäck, Skier, Stöcke, Fahrräder, Langhanteln, Alukisten, Werkzeug. Zu viel, um das per Flieger hin- und herzufliegen. Also: Wer das Training liebt, der fährt.

Die DSV-Betreuer hatten ihren Roadtrip immerhin versüßt bekommen. Lena Dürr war in den ersten Slaloms des Winters zwei Mal Dritte geworden, es waren ihre ersten Podiumsbesuche überhaupt in ihrer Lieblingsdisziplin, nach 170 Anläufen im Weltcup. Emma Aicher, aufgewachsen in Schweden, seit einem Jahr beim DSV und seit Kurzem 18 Jahre alt, hatte sich in ihrem erst zweiten Weltcup gleich als 14. eingefunden, auch Jessica Hilzinger und Andrea Filser waren in die zweiten Läufe und damit in die Punkteränge vorgerückt. Da musste man schon in die Zeiten von Maria Höfl-Riesch zurückblättern, um vergleichbare Bilanzen aufzutreiben: Seit dem Rückzug der dreimaligen Olympiasiegerin war ja meist von Baustellen und Talsohlen die Rede gewesen. Nicht gerade das, was man vom Slalom-Ressort der DSV-Frauen über Jahre gewohnt war.

Lena Dürrs Tief gab den Trainern Rätsel auf

Und was hatten sie in den vergangenen Wintern nicht alles probiert: neue Cheftrainer, neue Trainer für Slalom und Riesenslalom, größere Trainingsgruppen, individuellere Betreuung. "Wir hatten die letzten Jahre ja viele Wechsel", sagte Dürr zuletzt - war auch nicht immer hilfreich, sollte das wohl heißen. Wobei die Athletinnen schon ihren Teil beigetragen hatten. An Begabung hatte es selten gemangelt, an guten Trainings auch nicht. In den Rennen verflog das Selbstbewusstsein nur oft nach wenigen Schwüngen, wie vom Polarwind davon geblasen. Vor allem Dürrs Tief, das sich über viele Winter spannte, gab den Trainern Rätsel auf, und nicht immer hatten sie das Gefühl, dass sich alle Athletinnen immer bedingungslos allen Problemstellen widmeten. Dürr fand sich jedenfalls erst im vergangenen Winter regelmäßiger unter den besten Zehn im Weltcup ein. Und nun vermeldete Jürgen Graller, der Cheftrainer der DSV-Frauen, also, dass man dieses Tief "jetzt so langsam mal durchtaucht" habe, mit der gesamten Mannschaft. Huch?

Wenn man den Architekten dahinter kennenlernen will, muss man mit Georg Harzl sprechen, einem 45 Jahre alten Steirer, der vor eineinhalb Jahren vom großen Österreichischen Skiverband (ÖSV) zum DSV umzog, als Trainer für den Slalom und Riesenslalom. Man erreicht ihn im Auto, klar, und dort legt Harzl einen Bauplan vor, der sehr an den seines Landsmanns Christian Schwaiger erinnert, der die DSV-Schnellfahrer vor Jahren zurück in die Weltspitze gelenkt hatte: Erst mal die Kurventechnik festigen, daraus erwächst alles Weitere, Zutrauen, Risikobereitschaft, das ganze Paket.

Harzl ist ein Freund des kurzen Slalomschwungs, seine Fahrerinnen sollen lange vor dem Tor warten, die Skier kurz ins Eis kanten, sie dann sofort wieder freigeben, um zum nächsten Tor zu preschen. Das erfordert nur viel Zutrauen, und das war bei den Slalomfahrerinnen zuletzt ein eher knappes Gut. Aber Harzl ist ein geduldiger Ausbilder, er kennt das aus vielen Dienstjahren im ÖSV-Nachwuchs. Also führte er nach seiner Ankunft viele Gespräche. Studierte mit den Fahrerinnen die Videos der Branchenführerinnen, Shiffrin, Vlhova, auch von den Männern. Ordnete viel Training an, im Steilen und Eisigen. "Zuckerbrot und Peitsche" nannte das Graller einmal, augenzwinkernd. Wobei Harzls Ansprachen immer sehr fair seien, getragen vom Leitgedanken, den auch Schwaiger bis heute predigt: In diesem Sport hat jeder eine Chance.

"Und irgendwann", sagt Harzl, "macht es einen Schnapper. Dann passt es plötzlich."

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Geduldiger Ausbilder: Georg Harzl hat viele Jahre in seiner Heimat Österreich den ÖSV-Nachwuchs nach vorne gebracht. Nun zeigt er beim Deutschen Skiverband seine Qualitäten.

(Foto: Sven Simon/Deutscher Skiverband/Imago)

Am Ende, sagt der Trainer, sei vieles eine Frage des Vertrauens. In die Ski-Technik, vor allem ins Umfeld. Nicht nur die Athletinnen, das ganze Team habe zuletzt zusammengefunden: "Nur wenn alles ineinandergreift, jeder dem anderen hilft, kann ich mich als Athlet darauf verlassen, einen schnellen Schwung fahren zu können." Es sei ihm auch wichtig, sagt Harzl, dass sein ganzer Stab auch in der Öffentlichkeit Erwähnung finde: der Co-Trainer Markus Lenz, die Serviceleute Nick Peternel und Peter Strucl, die Physiotherapeutin Carina Sterling und natürlich Graller, der Chef. Man tritt wohl niemandem zu nahe, wenn man diagnostiziert, dass dieses Betriebsklima in der Sparte früher nicht immer ganz so ausgeprägt war. Da hilft Harzl wiederum, dass er "ganz unvoreingenommen" zum DSV stieß. Wie ein neuer Klassenlehrer, der einem nicht immer einfachen Jahrgang übernimmt.

Die Auswirkungen des neuen Lehrplans zeigten sich schon im vergangenen Winter. Dürr wurde damals Vierte und Fünfte in Are, sie war der Weltspitze, von der sie zuvor oft Sekunden trennten, plötzlich ganz nah. In Levi fuhr sie nun so, wie sie es sich in den Jahren davor oft vorgenommen hatte, Attacke vom ersten Tor an, schnelle Schwünge, dranbleiben, auch wenn ihr ein Fehler unterlief. So ein "Zugpferd" wie Dürr helfe einer Mannschaft enorm, sagt Harzl, der Sog könne die anderen nach und nach mitziehen. "Man kann von ihr jetzt nicht permanent erwarten, dass sie aufs Stockerl fährt", sagt er, Dürr habe es "aber auf jeden Fall drauf, Shiffrin und Vlhova auch mal zu ärgern". Auch für derartige Prognosen musste man zuletzt sehr, sehr weit zurückblättern.

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