Ski Alpin:Elfmeterschießen auf Kunstschnee

Lena Dürr beim Slalomwettbewerb in Schladming

Lena Dürr, hier beim Nachtslalom von Schladming im November 2021.

(Foto: Expa/Jfk/dpa)

Mit Verspätung starten die Alpin-Frauen mit zwei Slalom-Rennen in die Weltcupsaison. Im finnischen Levi hofft die beste deutsche Skifahrerin Lena Dürr auf die Form der Vorsaison - und die Verarbeitung eines Traumas.

Von Korbinian Eisenberger

Die Bilder sind inzwischen ein Dreivierteljahr alt, und auch wenn es nur Sport ist, gingen sie einem nahe. Wie sie da hockte, im Kunstschnee von Peking, den Kopf nach unten, Tränen in den Augen. Fast schon brillant gefahren war sie und trotzdem hatte sie in diesem Moment irgendwie alles verloren. Bei der letzten Zwischenzeit war die Skifahrerin Lena Dürr noch Olympiasiegerin gewesen, nun, da sie die Ziellinie überquert hatte, fehlten 19 Hundertstel zu dieser Goldmedaille. Und deren sieben zum Bronzerang. Ein sportliches Drama.

Zeit hilft manchmal bei der Verarbeitung solcher in letzter Sekunde geklauten Siege, wie man sie vom FC Bayern der Jahre 1999 oder 2012 aus der Champions League kennt. Im Unterschied zu mannschaftlichen Rückschlägen steht man als Skiprofi aber ziemlich allein da oben im Starthäuschen, ehe es nicht minder allein in den Stangenwald geht. Immer und immer wieder, wie bei einem Dauer-Elfmeterschießen. Im Speziellen beim Slalom gilt das. Und wer nur einmal an der falschen Seite der Stange vorbeifährt, hat das Rennen verloren.

Die alpine Elfmeter-Spezialistin Lena Dürr hatte Zeit, gut neun Monate, um genau zu sein. Das Sommertraining in Südamerika ist absolviert, und ein Lächeln in Gesicht und Stimme zu erkennen. Olympia aufarbeiten? "Ich bin noch dabei", sagte sie unlängst bei der offiziellen Einkleidung des Deutschen Skiverbands in Herzogenaurach. Nach dem ersten Lauf führte sie, dann wurde sie Vierte: "Das war der Tag mit den brutalsten Emotionen in meinem Leben. So ein Hoch und so ein Tief innerhalb von drei Stunden ist mir sonst noch nicht passiert", sagte sie. Bisweilen beschäftige sie noch die Frage: Was wäre wenn?

Seit 4. November trainieren die DSV-Frauen in Levi in Finnland - dort, wo der Ski-Winter 2022 nun am Samstag (10 Uhr) und Sonntag (10.15 Uhr) mit einem Slalom-Doppelschlag beginnt. Für die Skirennfahrerinnen hätte die Saison planmäßig Ende Oktober starten sollen, doch die Wettkämpfe in Sölden, Zermatt-Cervinia und Lech/Zürs wurden kurzfristig abgesagt. Der Hintergrund: Schneemangel. Nun also geht es nach Levi, ein Name, der immer häufiger auf Münchner Spielplätzen zu hören ist - aber eben auch einen Klassiker für Stangenfahrer in Lappland bezeichnet. In dem Fall für Stangenfahrerinnen wie Lena Dürr.

Ein Weltcupsieg, so Dürr, "ist natürlich das große Ziel"

Levi dürfte die 31-Jährige in besserer Erinnerung haben als Peking. In viel besserer. 15 Jahre hatte die Oberbayerin damit verbracht, einem Podestplatz im Slalom hinterherzufahren - und nun gelang ihr dies 2021 zweimal an einem Wochenende. Zwei dritte Plätze holte Dürr vor ziemlich genau einem Jahr in Finnland - und darf seither als beste deutsche Skifahrerin bezeichnet werden. Platz 17 im Gesamtweltcup, Platz drei in ihrer Disziplin Slalom, in der sie 437 ihrer insgesamt 473 Punkte verbucht hatte. Geschlagen von nur zwei noch Besseren.

Was wäre wenn? Die Frage bleibt, und doch hilft bei der Einordnung die Rückschau in die Vorbereitung 2021. "Vor einem Jahr habe ich alles neu aufgerollt und alles hinterfragt, auch mich selber", so Dürr. Nun ist sie mit dem Goldenen Ski des DSV ausgezeichnet, als beste Skifahrerin des vergangenen Winters. "Die Ausgangslage ist jetzt eine ganz andere und auch das Gefühl ist ein anderes als letzten Sommer". Mit anders meint sie: besser.

Besser als sie waren im Slalom zuletzt nur Petra Vlhova und Mikaela Shiffrin. Nicht unwahrscheinlich, dass die Slowakin und die US-Amerikanerin auch kommende Saison das ein oder andere Rennen unter sich ausmachen. Und doch, erklärt Dürr, hoffe sie darauf, "dass wir sie mal knacken können, die beiden". Ein zweiter Platz ist ihr bereits gelungen. Ein Weltcupsieg, so Dürr, "ist natürlich das große Ziel".

Und so beginnt es einmal mehr, das Elfmeterschießen des Skisports, dessen Kunst darin besteht, die Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Pfosten zu finden, welche zwar zur Seite kippen, aber gnadenlos fest in den (Kunst)Schnee geschraubt sind. "Ich bin tendenziell jemand, der versucht, eine engere Linie zu fahren", erklärte Dürr, ehe sie sich aufmachte nach Levi zum Start in diese Saison, deren Höhepunkt bei der Ski-Weltmeisterschaft in Courchevel (6. bis 19. Februar 2023) zu erwarten ist. Der Slalom der Frauen ist für 18. Februar geplant, ein Jahr und neun Tage nach jenem Rennen, bei dem Lena Dürr bis zur letzten Zwischenzeit Olympiasiegerin gewesen war.

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