Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Neureuthers Ausfall ist für den DSV eine sportliche Tragödie

Der beste deutsche Skifahrer fehlt verletzt bei Olympia, dem Verband bleibt im Ski alpin nur noch eine ernstzunehmende Medaillenkandidatin. Es ist typisch für Neureuther, dass er dem Kreuzbandriss sogar Positives abgewinnt.

Kommentar von Matthias Schmid

Matilda weiß noch nicht, was ein Ligamentum cruciatum anterius ist. Sie weiß auch nicht, dass ihr Vater ein prominenter Skifahrer in Deutschland ist und dass sich dieser nun dieses Ligamentum cruciatum anterius gerissen hat. Der Kreuzbandriss von Felix Neureuther ist für den Deutschen Ski-Verband (DSV) eine sportliche Tragödie. Der 33-Jährige war im Ski alpin neben Viktoria Rebensburg der einzige ernstzunehmende Medaillenkandidat aus Deutschland bei den Winterspielen im Februar; Podestplätze von Thomas Dreßen oder Stefan Luitz im koreanischen Pyeongchang wären so überraschend wie Schnee im Juli.

Der Kreuzbandriss verliert aber auch für Neureuther schnell an Bedeutung, wenn er an sein erst wenige Wochen altes Baby denkt. "Wenn man es positiv sehen will", sagte Neureuther in einer ersten Videobotschaft vom Hotelbett aus, "kann ich jetzt sehr viel Zeit mit meiner kleinen Tochter verbringen."

Sein Optimismus, seine Chuzpe waren Neureuthers wichtigste Begleiter in seinem bisherigen Leben als alpiner Skiprofi. Er hat sich in den Anfangsjahren nicht nur stets mit seinen erfolgreichen Eltern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther vergleichen lassen müssen, er fuhr auch gegen das Vorurteil an, sein Körper sei für die Strapazen des Ski-Zirkus nicht geeignet. Er hatte immer mit vielen größeren und kleineren Wehwehchen zu kämpfen, an Knöchel, Knie und Schulter. Vor allem sein Rücken war so malad, dass Neureuther nach drei Bandscheibenvorfällen phasenweise nicht mehr allein aufstehen konnte.

Bei Olympia hat Neureuther nie eine Medaille gewonnen

Und dennoch hat er seinen Körper - mithilfe vieler Spritzen - immer wieder so hingekriegt, dass er Rennen und Medaillen gewinnen konnte. Er ist ja mit einem Skigefühl wie nur wenige gesegnet, und dieses Skigefühl erlaubt ihm, wenig zu trainieren, aber viel zu gewinnen. Zuletzt holte er bei der Weltmeisterschaft in St. Moritz in diesem Jahr als Dritter die einzige Medaille für den DSV. "Der Felix hat uns den Arsch gerettet", sagte damals der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier.

Nur mit Olympia wollte es bei Neureuther nicht so recht klappen, eine Medaille hat er dort nie gewinnen können. Was für viele ein Makel war, weil seine Mutter zweimal Olympia-Gold hatte erringen können, war für ihn selbst nie ein Problem. 2014 sollte er als große Goldhoffnung anreisen, doch bei der Fahrt zum Flughafen kam er auf der A95 von der Fahrbahn ab und prallte gegen eine Leitplanke. Er kam mit einem Schleudertrauma im russischen Sotschi an und verpasste die erhoffte Medaille im Slalom.

Neureuther nahm den Unfall mit Humor, weil er sein Glück nie von Medaillen abhängig machte. Im Sommer nun war sein Rücken so gut in Form wie lange nicht, Neureuther fuhr so viel Ski wie lange nicht und gewann gleich den ersten Weltcup-Slalom im finnischen Levi. Doch über die Aussichten bei Olympia wollte er nicht groß sprechen, es gab wichtigere Dinge, die ihn beschäftigen, als die Möglichkeit, sich dort eine Plakette um den Hals hängen zu lassen. Die Geburt seines ersten Kindes natürlich und die Bedrohungslage in Korea. Für Matilda hatte er sich sogar überlegt, auf Olympia in einer Krisenregion zu verzichten, weil ihm die verbale Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un unheimlich erschien.

"Soll ich da Slalom fahren und es fliegen Raketen über mich drüber?", fragte er sich im Herbst. Nun stellt sich die Frage zumindest für ihn nicht mehr. Felix Neureuther nimmt das mit Fassung und es ist typisch für ihn, dass er dem Kreuzbandriss sogar etwas Positives abgewinnen kann.

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