Österreich gegen Deutschland, ein Duell zweier „Wahnsinniger“, und die beiden räumen das sogleich ein: zweiter Lauf beim Nachtslalom von Schladming, Manuel Feller aus Fieberbrunn gegen Linus Straßer aus München. Oder eben: Rainer Schönfelder gegen Bernd Schmelzer. Dieser jährlich wiederkehrende Weltcup-Abend ist für die Zuschauer traditionell nicht nur ein Duell auf der Skipiste Planai, sondern auch ein Duett in der Kommentatorenkabine des Bayerischen Rundfunks. Das Flutlicht strahlt, die Piste ist präpariert, 30 000 Gäste wärmen sich mit hochprozentigen Flügerln – und der frühere Rennfahrer Schönfelder hockt in einem Outfit mit roten Stoffriemen da und erklärt: „Wenn zwei Österreicher aufs Podium fahren, dann geh’ ich mit meinen Hosenträgern ins Bett.“
Skirennen sind als Zuschauererlebnis nicht zwingend leiwand, in Abfahrt und Super-G lässt der Spannungsbogen bisweilen so schnell nach wie ausgeleierte Hosenhalter. Im Riesenslalom und Slalom indes ist üblicherweise sportliches Drama zu erwarten. Und so ist es auch am Mittwochabend in Schladming.

Bobbahn in Cortina:Die umstrittenste Baustelle Olympias
Ein Jahr vor Olympia sind viele Sportstätten noch im Bauzustand. Der besondere Problemfall Italiens ist die Bobbahn von Cortina. Zu Besuch an einem Fleck, der einen stolzen Wintersportort um seinen guten Ruf fürchten lässt.
Ex-Fußballer Toni Polster ist da, Hauben-Koch Johann Lafer, und die frühere Weltklasse-Rennläuferin Maria Riesch darf in Schladming auch nicht fehlen. Verglichen mit dem Promiaufgebot in Kitzbühel vom Wochenende ist es in Schladming harmlos, dafür ist alles andere arg: die Piste, die Kurssetzung im zweiten Lauf, und dieses Publikum. Im Ort türmen sich in den Weltcuptagen Berge von Bierdosen, die jüngsten Gäste stützen sich bisweilen gegenseitig auf dem Weg zum zweiten Durchgang ins Stadion, so wild und feuchtfröhlich geht es zu. Wer eine Weltcupnacht in Schladming hinter sich hat, wird mit Schlager-Ohrwurm aufwachen, mindestens.
Wer sich diesem Wahnsinn entziehen möchte, und trotzdem zugleich daran teilhaben, dem seien die beiden Wahnsinnigen empfohlen, die das Ganze seit vielen Jahren live kommentieren. „Slalom hat ein bisschen was mit Tanzen zu tun“, erklärt Reiner Schönfelder, ehe das Rennen auf seinen Höhepunkt zusteuert. Linus Straßer führt nach dem ersten Lauf, schon zum insgesamt vierten Mal auf der Planai. Zweimal hat er das Rennen dann gewonnen, einmal fädelte er am zweiten Tor ein und schied aus. Und diesmal?
„Wenn du schon den Vorteil hast und den dann herschenkst ...“, sagt Linus Straßer – sein Trainer hatte den Kurs gesteckt
Die besten zehn Profis stehen noch oben, Tanguy Nef stürzt sich in den Hang, ein Landsmann von Marco Odermatt, der beim Riesenslalom am Vorabend Dritter wurde (hinter dem norwegischen Duo Alexander Steen Olsen und Henrik Kristoffersen). Nef sei „einer dieser unzähligen Schweizer, die förmlich wie die Schwammerl aus dem Boden wachsen“, erklärt Schönfelder, ehe Schmelzer die Vorlage zum Angriff nutzt: „Schweiz ist ja auch im Nationencup ein bisschen vor Österreich.“ Der Seitenhieb sitzt beim ehemaligen Skirennläufer, der unter anderem 2006 Olympiabronze im Slalom gewann und 2002 in Kitzbühel siegte. Damals war Österreich eine Macht im Skisport, inzwischen sind andere enteilt. „Danke Bernd“, sagt also Schönfelder, „das schneiden wir raus.“
Das Schöne am Live-TV: Es wird nichts und niemand geschnitten, höchstens Kurven, etwa von Clément Noël, der zu direkt durch die Slalomstangen fährt und ausscheidet. „Da bräuchte er a Glander“, erklärt Schönfelder, ein „Geländer zum Festhalten“, übersetzt Schmelzer. Bei Schönfelders Landsmann Fabio Gstrein spitzt sich das sportliche Drama zu. „So Bernd, jetzt musst a bissl a Ruah geben, jetzt muss ich mich konzentrieren“, erklärt Schönfelder. „Bleib geduldig Fabio, nicht herumtheatern“, doch Gstreins Fahrt erinnert mehr an eine Tragikomödie. Er ist nahe am Ausscheiden, ergeht es ihm wie allen Österreichern vor ihm? „Ich halt das nicht mehr aus“, sagt Schönfelder. „Da biegt sich alles, aber nicht da, wo es soll“, analysiert Schmelzer. Gstrein rettet sich mit Zwischenbestzeit ins Ziel, ehe der letzte Österreicher Manuel Feller startet.
In Schladming bebt nun der ganze Hang, im Fernsehen erfahren die Zuseher, dass Manuel Feller einst Schönfelders Zimmerkamerad war. Feller legt eine nahezu perfekte Fahrt hin, Schönfelder rastet aus, Schmelzer bemüht seine Beruhigungskünste: „Jetzt machen wir ganz kurz einmal die Tür auf, lüften und konzentrieren uns auf die letzten Drei.“ Warum kommentiert dieses Duo eigentlich nicht häufiger?
Dann steht Straßer oben. Die Kommentatoren zittern mit, Straßer riskiert alles, kämpft – und macht entscheidende Fehler. Er wird Vierter, zwei Österreicher stehen am Ende hinter dem Norweger Timon Haugan auf dem Podest. Straßer beschwert sich noch am BR-Mikro über seinen eigenen Trainer, der den Kurs im zweiten Lauf gesteckt hatte – und eine für seinen Geschmack zu stark drehende Linie gewählt habe. „Wenn du schon den Vorteil hast und den dann herschenkst ...“ Mal wieder der ganz normale Wahnsinn.