Ski alpin:Mutmacher am Polarkreis

FIS Ski World Cup

Endlich im Angriffsmodus: Lena Dürr auf dem Weg zu ihrem vierten Platz in Are, ihrem bislang besten Slalom-Resultat im Weltcup.

(Foto: Pontus Lundahl/Reuters)

Lena Dürr galt einmal als eines der größten Talente im Deutschen Skiverband, doch die 29-Jährige tat sich nach ihren ersten Erfolgen lange schwer. Jetzt verfehlt die Slalom-Spezialistin in Are das Podest zwei Mal nur knapp - und fühlt sich wie im "Traum".

Von Johannes Knuth, Are/München

Lena Dürr ist gerne in Are und Levi, den alpinen Weltcup-Standorten kurz vor und hinter dem Polarkreis. Die Stimmung dort sei sehr "speziell", hat sie oft erzählt, und das kann jeder bestätigen, der schon einmal dort war. In Are kriecht die Sonne oft nur für ein paar Stunden hinter dem gefrorenen See am Fuße des Zielhangs hervor, die dunkelroten Holzhäuser erinnern an ein Astrid-Lindgren-Buch, alles fühlt sich ein wenig entrückt an oder zumindest so, dass man spürt: Es gibt größere Dinge als rote und blaue Slalom-Tore.

Es war also wohl kein gewaltiger Zufall, dass Lena Dürr in der schwedischen Skigemeinde nun ihr bislang bestes Wochenende auf der alpinen Weltcup-Tournee erlebte. Fünfte wurde sie am Freitag, die 29-Jährige egalisierte damit ihr bis dahin bestes Resultat im Slalom, ihrer Spezialdisziplin. Am Samstag beschloss sie den zweiten Slalom sogar als Vierte, 13 Hundertstelsekunden hinter der Schweizerin Wendy Holdener. "Im ersten Moment ist das schon bitter, weil ich so nahe dran war am ersten Podium im Slalom", sagte Dürr - es wäre auch das erste für den Deutschen Skiverband bei den Frauen seit acht Jahren gewesen, als Maria Höfl-Riesch Dritte in Lienz wurde. Aber auch so, befand Dürr, seien die Tage in Schweden "wirklich ein Traum" gewesen. Endlich hatte sie ihr Können über mehrere Läufe aneinandergeknüpft, "das ist genau das, was mir in den vorherigen Rennen einfach nicht gelungen ist". Und das war sogar noch ein wenig untertrieben.

Es bündelt Dürrs Geschichte ja schon seit einigen Wintern, dass Begabung und Ertrag oft nicht so ganz zusammenpassten. Sie war bereits 2010 Zweite bei der Junioren-WM im Riesenslalom, zeitgleich mit einer gewissen Federica Brignone. Die Trainer im DSV schwärmten von dieser frechen Athletin vom SV Germering, Dürr gewann 2013 dann auch einen Weltcup, einen Parallelslalom in Moskau, ihren einzigen bis heute. Aber im Alpinsport rutschen auch große Begabungen oft in ein Tal: weil sie sich an größeren Erwartungen messen, bei der Tüftelei am Material vertun, sich verletzten. Dürr war nie schwer lädiert, aber sie fand lange nicht aus ihrem Tief heraus, und nicht immer hatten sie im DSV das Gefühl, dass sich die Athletin dabei bedingungslos allen Problemstellen widmete. Sie hospitierte zwar ab und an in der Elite, vor zwei Jahren wurde sie Elfte im WM-Slalom - in Are - aber am Samstag fand sie sich erst zum 13. Mal unter den besten Zehn bei einem Weltcup ein. Nicht ganz die Biografie, die wohl auch Dürr einmal im Sinn hatte.

Seit einem Trainerwechsel fährt Dürr sicherer - und selbstbewusster

Wie löst man das auf: Wenn ein Athlet im Training überzeugt, im Rennen aber ein Fehler das Selbstvertrauen zum Einsturz bringt? Jürgen Graller, der vor knapp vier Jahren das Frauen-Team des DSV übernahm, hat seitdem einiges angeschoben, aber selbst der zupackende Österreicher wirkte oft ratlos, wenn Dürr in einem Lauf vier Sekunden auf die Besten verlor. Und jetzt also die "sehr positive Überraschung", wie Graller befand?

Graller führt im Gespräch erst einmal das Offensichtliche an: Der mittelsteile Hang in Are, der schmierige Schnee, "das hat ihr zu 100 Prozent gepasst". Ansonsten habe der Aufschwung viel mit Georg Harzl zu tun, einem Österreicher, 44, der im Österreichischen Skiverband bis zuletzt die Nachwuchsabteilung der Männer leitete. Harzl verantwortet seit diesem Winter das Technikteam der deutschen Frauen, er legt großen Wert auf eine saubere Skitechnik und hohe Trainingsumfänge, die Dürr aber offenbar Sicherheit spendeten: Früher kippte sie nach einem Fahrfehler oft mit dem Oberkörper nach vorne, mittlerweile fährt sie aufrechter, stabiler, fehlerfreier. Und aus dieser Sicherheit erwächst irgendwann auch wieder Selbstvertrauen, wie ein Schneeball, der immer größer wird. Am Freitag war Dürr Sechste nach dem ersten Lauf, im zweiten übernahm sie zunächst sogar die Führung. Das war ihr in den vergangenen Jahren fast nie gelungen.

So wie Harzl die Gruppe führe, sagt Graller, er schmunzelt, das habe schon was von "Zuckerbrot und Peitsche". Aber der Trainer finde bei seinen Ansprachen eine gute Balance, er stehe "zu 100 Prozent" hinter den Athletinnen, und diese würden das Vertrauen erwidern: Andrea Filser etwa, die sich nach vielen Rückschlägen in diesem Winter allmählich im Weltcup etabliert, in Are nun 25. und 21. wurde, oder Jessica Hilzinger, die am Wochenende allerdings zwei Mal ausschied. Aber selbst dann, sagt Graller, verliere Harzl nicht die Nerven. Keine unwichtige Kernkompetenz.

Sie werden im DSV jetzt keine Festtagsumzüge planen, noch immer sind ja viele ihrer jungen und nicht mehr ganz so jungen Athletinnen verletzt, mit denen Graller schon viel weiter sein wollte. Aber der Chefcoach glaubt, dass zumindest Dürr "auf einem guten Weg" sei, die Karrierebestleistung sei ja nur das eine. Sie liegt in der Weltrangliste jetzt auf Rang sechs, sie darf also auch beim Saisonfinale am kommenden Wochenende in Lenzerheide im ersten Lauf früh starten, mit Mikaela Shiffrin und Katharina Liensberger, die am Samstag ihren ersten Slalom-Weltcup gewann. So gute Voraussetzungen hatte Dürr selten.

Und auch wenn die Saison danach vorbei ist: Der erste Slalom des nächsten Winters soll wieder in Levi, Finnland stattfinden. Kurz hinter dem Polarkreis.

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