Ski alpin:Ein Lockenkopf verzückt die Schweiz

ALPINE SKIING - FIS WC Kranjska Gora KRANJSKA GORA,SLOVENIA,13.MAR.21- ALPINE SKIING - FIS World Cup, giant slalom, men.

Winterzug auf Schienen: Marco Odermatt rast in Kranjska Gora unaufhaltsam auf seinen vierten Weltcupsieg zu.

(Foto: Christian Walgram/Gepa/Imago)

Der 23-jährige Marco Odermatt ist so gut, dass die Alpinwelt staunt. Beim Saisonfinale in Lenzerheide könnte er den Gesamtweltcup gewinnen - auch weil er mit einer Intuition fährt, die sich nicht antrainieren lässt.

Von Johannes Knuth

Wenn es läuft, wirkt sogar das Schwere leicht. Neulich erst wieder, beim Riesenslalom in Kranjska Gora: Da schlingerten fast alle Skirennfahrer in den Zielhang hinein, so tückisch und zerfurcht war er. Und Marco Odermatt? Der flog über alle Fallen hinweg, als seien die physikalischen Gesetze für einen Moment außer Kraft gesetzt. Später, als sie ihn nach seinem Betriebsgeheimnis fragten, lächelte Odermatt so verschmitzt, wie er oft lächelt, dann sagte er: "Ich weiß nicht... Irgendwie sind die Skier von oben bis unten gelaufen." So oder so ähnlich hat man das von ihm zuletzt oft gehört: "Irgendwie klappt es gerade." Oder: "Irgendwie bin ich schnell." Als sei das alles nur ein Spiel, irgendwie.

Um Marco Odermatt, hat Urs Lehmann, der Präsident des Schweizer Skiverbands einmal gesagt, "beneidet uns die ganze Skiwelt", und das ist noch nicht einmal übertrieben. Bei der Junioren-WM 2018 gewann Odermatt fünf Mal Gold, Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Slalom und mit dem Team - das war vorher noch niemandem gelungen. Und während viele Juniorenchampions von den gebirgshohen Erwartungen nach ihren Triumphen schon mal überrollt wurden, machte Odermatt einfach weiter. Er stand im Weltcup bislang 13 Mal auf dem Podium, zwei Mal gewann er einen Riesenslalom, seine stärkste Disziplin; er ist aber auch in den Schnellfahrten bärenstark, im Super-G zog er schon zwei Erfolge auf seine Seite. Die Schweizer stellten in den vergangenen Wintern eines der erfolgreichsten Teams der Alpinwelt, Lara Gut-Behrami gewann 2016 den Gesamtweltcup, aber niemand stillte das, was Odermatt weckt: "Die Sehnsucht nach dem nächsten großen Champion im Schweizer Skisport", wie die Neue Zürcher Zeitung einmal schrieb.

Viele Konkurrenten stellen fast alles in den Dienst des Sports. Odermatt pflegt auch sein Leben fernab davon

Jetzt könnte dieser 23-Jährige, blonde Locken, spitzbübisches Lächeln, sogar schon beim Saisonfinale in Lenzerheide den Gesamtweltcup gewinnen, den Hauptgewinn seines Sports, als erster Schweizer seit Carlo Janka vor elf Jahren. Zwar ist das Wetter im Schweizer Skiort gerade miserabel, die Abfahrten der Frauen und Männer für diesen Mittwoch fielen ersatzlos aus - das macht es Odermatt nicht gerade leichter, seine 31 Zähler Rückstand auf den Franzosen Alexis Pinturault zu tilgen. Danach wird er nur noch im Super-G und Riesenslalom starten, wohl nicht im Slalom, den Pinturault gut beherrscht, wobei dem Franzosen zuletzt doch ganz schön die Nerven flatterten. Und überhaupt: Was ist für einen wie Odermatt, bei dem gerade alles irgendwie läuft, schon kompliziert?

Wenn man Odermatt im Weltcup beobachtet, fällt sie sofort auf: diese Leichtigkeit, die ihn umhüllt wie einen wärmenden Skianorak. Gut, seine Eltern hatten früh die Schienen verlegt, wie bei so vielen Erfolgskindern: Vater Walter, ein früherer Rennfahrer, trainierte den Sohn im Skiclub Hergiswil, er fuhr den Sohn zu Rennen und präparierte abends die Skier, während die Mutter der Familie den Rücken freihielt. Aber Odermatt bewahrte sich stets seine Freiheiten, am liebsten fuhr er über Hügel und pflügte durch den Tiefschnee, bei den Rennen waren erst mal die anderen schneller. Als er sich vor fünf Jahren am Meniskus verletzte, beendete er die Saison vorzeitig und feierte mit seinen Freunden Fasching. Noch heute unternehme er viel in der Gruppe, hat er einmal erzählt, Tennis, Golfen, Wasserski, Skitouren. Viele seiner Konkurrenten stellen fast alles in den Dienst ihres Sports; Livio Magoni, der Trainer der Slowakin Petra Vlhova, hat einmal gesagt, dass er seine Athletin fast nur im Trainingsoutfit kenne. Odermatt pflegt auch sein Leben fernab davon.

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Super Giant Slalom

Bloß nicht zu viel Ernsthaftigkeit: Marco Odermatt durfte im Weltcup schon 13 Mal bei der Champagnerzeremonie mitmachen.

(Foto: Hans Bezard/Getty)

Vielleicht meistert er auch deshalb die Erwartungen so lässig: Weil ihm der Sport viel, aber nicht alles bedeutet; weil er so den Fokus aufs Wesentliche wahrt. Vor zwei Jahren rief ihn Marcel Hirscher, der siebenmalige Gesamtweltcupsieger aus Österreich, im Grunde als seinen Erben aus: Odermatt könne alles gewinnen, was er begehre. Odermatts Vater ärgerte das gewaltig, seinen Sohn aber irgendwie nicht so sehr: "Wenn ein 16-Jähriger gegen Roger Federer gewinnt", sagte Odermatt, "würde ich auch sagen, dass der in drei Jahren große Turniere gewinnt." Das kommt an beim Publikum, zumal in einem Sportbetrieb, in dem auch die Aussagen vieler Athleten immer glattgeschliffener sind, austauschbarer.

Odermatts Umfeld ist natürlich längst so hyperprofessionell wie bei vielen Mitstreitern, auf seiner Homepage sind mehr als zwei Dutzend Sponsoren vermerkt, Schweizer Versicherungen, Uhrenhersteller, Banken, das Brauseimperium von Red Bull. Die Österreicher haben Odermatt vor drei Jahren in ihr Athletenprogramm aufgenommen, er profitiert etwa von Experten des firmeneigenen Athletikzentrums, wie früher Hirscher, Lindsey Vonn und Aksel Lund Svindal. Wobei: Wenn man seine Fahrten studiert, dann fällt etwas auf, das sich kein Athlet in einer Leistungsfabrik antrainieren kann: diese Intuition, die Odermatt dazu bringt, die Skier nicht immer, aber immer im richtigen Moment auf der Kante laufen zu lassen, ruckelfrei, schnell. In Saalbach zuletzt, nach dem Super-G, bei dem es keine Trainingsfahrt gibt, nur einen Versuch, da sagte er: "Ich habe da attackiert, wo es möglich war, und bin dort clever gefahren, wo ich es musste." Im Ziel hatte er fast eine Sekunde Vorsprung auf Vincent Kriechmayr, den Weltmeister von Cortina. Eine kleine Welt.

Dieses Spielerische, die Abgeklärtheit, die sonst nur die Veteranen in sich tragen: Auch deshalb ist Odermatt in Lenzerheide wohl sogar ein wenig im Vorteil. Und selbst, wenn es diesmal nicht klappen sollte: Irgendwann wird es so weit sein, irgendwie.

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