Ski alpin:Lindsey Vonn: Nur noch dreizehn bis Stenmark

Ski alpin: Lindsey Vonn ist gut drauf - sie darf wieder Trophäen küssen.

Lindsey Vonn ist gut drauf - sie darf wieder Trophäen küssen.

(Foto: AP)
  • "Ich habe nichts mehr zu verlieren, das macht mich gefährlich": Lindsey Vonn schnappt sich die nächste Bestmarke des Skisports.
  • Die Dämonen in ihrem Kopf ist sie trotzdem nicht los.

Von Johannes Knuth

Die Frage war nicht besonders spektakulär, aber manchmal sind es ja einfache Fragen, die interessante Antworten provozieren. Vor ein paar Wochen schleppte sich die Skirennfahrerin Lindsey Vonn keuchend durch die Interviewzone in Åre in Schweden, nach dem ersten Lauf des Riesenslaloms. Die Wortspenden von Skirennfahrern fallen in diesen Momenten oft sparsam aus, die Athleten sagen, dass sie sich gut fühlen, und wenn der Lauf schlecht war, sagen sie, dass es ja noch einen zweiten Lauf gebe.

Ob sie im zweiten Lauf überhaupt noch etwas riskieren werde, wurde Vonn also gefragt, sie führte ja, kurz zuvor war zudem die Schweden Sara Hector von der Piste abgekommen, Kreuzbandriss, Saison-Aus. "Ich fahre lieber schnell und stürze, statt vorsichtig zu fahren und anzukommen", sagte Vonn, sie könne gar nicht anders: "Deswegen hatte ich ja die Karriere, die ich bis jetzt hatte."

Das Jahr 2015 hat es ganz gut gemeint mit der Skirennfahrerin Lindsey Vonn, und wenn man die ersten Tage des neuen Jahres heranzieht, könnte es 2016 noch ein wenig besser für sie laufen. Vonn war am Wochenende aus dem Weihnachtsurlaub auf die Weltcup-Tournee zurückgekehrt, nach Zauchensee in Österreich.

Lindsey Vonns Weltcup-Karriere in Zahlen

13 Siege bis zu Stenmark

Siege im Weltcup

Ingemar Stenmark (Schweden) 86

Lindsey Vonn (USA) 73

Annemarie Moser-Pröll (Österreich) 62

Vreni Schneider (Schweiz) 55

Hermann Maier (Österreich) 54

Vonns Weltcup-Siege nach Disziplinen (in Klammern die Platzierung in ewigen Bestenlisten):

Abfahrt: 36 (1.)

Super-G: 26 (1.)

Riesenslalom: 4 (34.)

Slalom: 2 (44.)

Kombination: 5 (5.)

Gesamtweltcup: 4 (2.)

Sie hatte Weihnachten mit "Familie, Freunden und Hundewelpen" verbracht (vermutlich in absteigender Wichtigkeit), sie hatte schließlich die Müdigkeit so weit aus dem Körper getrieben, dass sie in Zauchensee schon wieder beide Hauptpreise gewann: Am Samstag die Abfahrt, die sie wegen der verkürzten Piste in zwei Läufe geteilt hatten, am Sonntag den Super-G, vor der (noch) im Gesamtweltcup führenden Lara Gut (0,70 Sekunden zurück) und Cornelia Hütter aus Österreich (1,25). Es waren ihre Saisonsiege sechs und sieben, es war, fand Vonn, "ein perfektes Wochenende".

Erfolge von Lindsey Vonn waren in den vergangenen Jahren keine Seltenheit, aber mittlerweile sind sie ein derart gewöhnliches Schauspiel, dass man oft vergisst, wie außergewöhnlich ihre Taten doch sind. "Rekorde", hat Vonn einmal gesagt, "sind der Grund, weshalb ich Ski fahre", und sie ist dieser Berufung mit einer derart großen Entschlossenheit nachgegangen, dass die verfügbaren Bestmarken langsam ein knappes Gut werden. Annemarie Moser-Prölls Rekord für die meisten Abfahrts- siege hat Vonn am Samstag egalisiert.

Sie wird der Österreicherin diese Marke bald gänzlich entwenden. Die große Skirennfahrerin der 70er Jahre nahm die feindliche Übernahme mit professioneller Zustimmung. "Es wäre schön gewesen", sagte Moser-Pröll, "wenn ich mich mit ihr direkt, also Mann gegen Mann, hätte messen können." Sie sagte tatsächlich Mann gegen Mann. Ganz abwägig ist das freilich nicht, Vonn erwirtschaftet ihre Erfolge seit Jahren auf schnelleren Männer- skiern. Und dann ist da ja noch diese letzte Marke, die sie jagt, diese Zahl, die der Schwede Ingemar Stenmark in die Annalen seines Sports gemalt hat: 86 Weltcup-Siege. Vonn verfügt seit Sonntag über 73.

Die Knochen knarzen, aber sie packt es

Lindsey Vonn schreibt in diesen Tagen die ersten Zeilen im letzten Kapitel ihres Sportlerlebens, ein paar Monate, nachdem sie beschlossen hatte, ihre Karriere bis zu den Winterspielen 2018 zu strecken. Die Knochen knarzen, aber der Geist ist frisch. Vonn ist den anderen in den Ergebnislisten so weit enteilt, dass sie tatsächlich wieder wie eine Außenseiterin fahren kann: "Ich habe nichts mehr zu verlieren", findet sie, "das macht mich gefährlich. Ich habe keine Angst, zu stürzen oder langsam zu sein."

Der Super-G am Sonntag war ein gutes Fallbeispiel, er war recht einfach ausgeflaggt, wer gewinnen wollte, musste sich von der ersten bis zur letzten Sekunde mit Hingabe in den Kurs werfen. Viktoria Rebensburg gelang das hervorragend, an der Zwischenzeit lag sie drei Zehntelsekunden vor Vonn. Doch kurz vor der Zielpassage rutsche die beste Deutsche über eine Bodenwelle und fuhr in den Tiefschnee, am Ende wurde sie Elfte.

Irgendwann, sagte Rebensburg, werde sie eine derartige Fahrt auch mal ins Ziel bringen: "Vielleicht ist diese Dame da dann ja mal schlagbar", sie schaute zu Vonn, der einzigen, die im Ringen mit der Schwerkraft bis zur letzten Sekunde als Siegerin hervorgegangen war. "Manchmal stürzt man", aber Stürze und Rückschläge, weiß Vonn, "sind Teil des Spiels". Auf und neben der Piste.

Als Zwölfjährige war sie mit ihrer Familie von Minnesota nach Vail umgesiedelt, die Geschwister wurden aus ihrem Umfeld entwurzelt, alles für Lindsey, alles für den Erfolg. Als sich erste Risse durch die Ehe der Eltern zogen, hatte sich in Lindsey Vonn, die damals noch Kildow hieß, längst eine Haltung verfestigt: Nur der maximale Erfolg ist genug, schließlich hatte die Familie das Maximale für sie geopfert.

Vonns Haltung trug sie zu Siegen, Medaillen. Die Skirennfahrerin Vonn war lange ein 24-Stunden-Unternehmen, das aus Training, Tüfteln, Foto-Shootings, Auftritten in Fernseh-Shows und noch mehr Training bestand, befüllt vom Streben nach Rekorden. Vonn gewann oft und stürzte, so lief halt das Spiel mit der Gefahr, zwei Mal riss ihr Kreuzband. Rekorde sind auch heute, im Herbst der Karriere, ihr Treibstoff. Auch wenn sie die Verbissenheit von einst abgestreift hat. Sie lässt ihr Leben ausleuchten, die hellen und die dunkleren Seiten, auch das gehört zum Spiel.

Zuletzt sagte sie dem Tages-Anzeiger, dass sie noch immer Antidepressiva nehme, gegen die Dämonen im Kopf, die sie seit einer Weile begleiten. Sie hat kein Problem (mehr) damit, über ihre Schwächen zu reden, sie macht es, so hat es den Anschein, sogar ganz gerne. "Ich muss mich nicht ändern oder verstellen", sagte sie kürzlich. "Ich bin, wer ich bin."

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