Ski alpin:Lindsey Vonn auf ihrer letzten Mission

Alpine Ski World Cup Women's SuperG

Geübt im Feiern: Lindsey Vonn zelebriert einen ihrer zahlreichen Siege.

(Foto: dpa)
  • Lindsey Vonn hat ihre Verletzung überstanden und will an diesem Wochenende in Aspen/USA in ihre 16. Ski-Weltcup-Saison angehen.
  • Viele rechneten mit ihrem Karriereende. Für Vonn war die Rückkehr nur eine weitere Herarusforderung, die sie meistern wollte.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen im Ski-Alpin.

Von Johannes Knuth

Vor einem Jahr waren die Handwerker zu Gast bei der Skirennfahrerin Lindsey Vonn, in ihrem Haus in Vail/Colorado. Vonn hatte gerade eine Zeit voller Mühen hinter sich gebracht. Sie schaute zurück auf 14 Jahre im alpinen Ski-Weltcup, auf Dutzende Siege, auf Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympia. Vonn hatte sich Kreuzbänder gerissen und Knochen gebrochen, sie hatte sich geschieden und war nun mit Tiger Woods liiert, einem Sport-Multimillionär, sie war längst ihre eigene Marke, die sich vom Alltag des Skisports gelöst hatte.

Jetzt stand sie also in ihrem Haus in Vail, ihrem ersten, das sie sich nach Jahren der Wanderschaft zwischen Skipisten und Hotelzimmern gekauft hatte, und sah zu, wie die Handwerker einen gläsernen Trophäenschrank über den Kamin schraubten. Vonn hatte bereits 17 große und kleine Kristallkugeln gewonnen, für Siege im Gesamtweltcup und in den Disziplinen-Wertungen. Die Handwerker sagten, sie könnten einen Schrank für 19 Kugeln bauen - oder einen zusätzlichen, darin hätten 23, vielleicht 24 Trophäen Platz.

"Bauen Sie den zusätzlichen Schrank", sagte Vonn.

Vonn jagt eine Bestmarke

Wenn die Skirennfahrer am kommenden Wochenende in Lake Louise (Männer) und Aspen (Frauen) wieder in den Betrieb einsteigen, wird auch Lindsey Vonn die Geschäfte aufnehmen, nach einer Knöchelverletzung. Es ist ihre 16. Saison im Weltcup. Sie kann zum fünften Mal die Gesamtwertung gewinnen und noch ein paar weitere Trophäen für ihren Glasschrank, vor allem aber macht sich Vonn in diesen Tagen noch einmal auf eine Reise, auf ihre letzte Mission im alpinen Skirennsport.

Lindsey Vonn, 31, ist die beste Skifahrerin der Gegenwart, sie ist auch die beste Skifahrerin der Geschichte, zumindest, wenn man sich durch die ganzen Statistiken wühlt: 19 Kugeln, vier Gesamtweltcup-Siege, sechs WM-Medaillen, darunter zwei goldene; Bronze (Super-G) und Gold (Abfahrt) bei den Winterspielen 2010, 67 Weltcup-Siege, so viele wie keine andere Frau.

Die meisten Weggefährten von früher haben ihre Karrieren stillgelegt oder sind in den Teilzeit-Ruhestand eingetreten, Maria Höfl-Riesch, Nicole Hosp, Tina Maze, Anja Pärson, Vonn ist mittlerweile umgeben von Mittzwanzigern und Teenagern. Nach ihrer zweiten Knieoperation, im Frühjahr 2014, fragte ihre Familie die Athletin Vonn: Willst du weiter Ski fahren? Oder willst du laufen können, wenn du älter bist?

"Ich war in diesem Sommer zum ersten Mal seit längerer Zeit allein", erzählte Vonn vor Kurzem der New York Times. Ihre Familie hatte sie mal wieder gefragt, ob es nicht langsam reiche mit dem Skifahren, und Vonn spürte, dass sie in ihrem Sportlerleben tatsächlich an einer Kreuzung angekommen war. Sie trainierte also, stellte fest, dass sie noch einmal drei Jahre lang gerne den Weltcupbetrieb dominieren möchte, bis 2018, bis zu den Winterspielen in Südkorea. Und dass sie noch einen dieser ewigen Rekorde einfangen kann, die 86 Weltcupsiege des Schweden Ingmar Stenmark. "Ich habe jetzt die Gelegenheit, ein Ausrufezeichen hinter meine Karriere zu setzen", sagte Vonn.

Ach ja, und wegen ihrer Gesundheit: In der Zukunft wird die Medizin viel weiter sein, erklärte sie ihrer besorgten Familie damals, man werde ihr einfach neue Knie einsetzen. Alles kein Problem.

Die zwei Gesichter der Lindsey Vonn

Es gibt zwei Lindsey Vonns, das muss man wissen, um zu verstehen, was sie antreibt: eine, die früh die Beste sein wollte, die manisch alles dafür tat und deshalb so gut wurde. Und eine Vonn, die jetzt, auf dem Plateau ihres Erfolges, es nicht mehr nötig hat, alles für den Erfolg zu opfern und deshalb so gut ist. Vielleicht so gut wie nie zuvor.

Die alte Vonn hieß noch Lindsey Kildow. Sie war elf Jahre alt, als sie in Vail eintraf, dort, wo sie heute ein Haus besitzt. Ihre Eltern waren von Minnesota nach Colorado umgezogen, sie hatten Lindseys Familie entwurzelt, zwei Buben, drei Mädchen, alles für Lindsey, alles für den Erfolg. Also tat Lindsey fortan alles für den Erfolg, verwandelte sich in das, was die Amerikaner später eine "Speed Machine" tauften. Sie drillte ihren Körper, trainierte so hart, dass sie im Training stürzte, und als sie nicht noch mehr Leistung aus ihrem Körper pressen konnte, schnallte sie sich Männerski an, steife, für Frauen schwer zu beherrschende Bretter. Plötzlich war sie eine Sekunde schneller als zuvor.

Sie heiratete Thomas Vonn, einen ehemaligen Skifahrer, mit dem sie nun durch den Skizirkus tourte, mit eigenen Betreuern und Technikern. Sie sei in gewisser Weise besessen, sagte Vonn damals, "du darfst keine Waffen auf der Skipiste verwenden, aber manchmal wünsche ich mir, dass ich wenigstens Boxhandschuhe hätte". Sie entfremdete sich von alten Freunden, kam der Perfektion dafür umso näher, es war ein Opfer, das sie bewusst brachte. Nicht zuletzt, weil ihre Familie viel in sie investiert hatte. Und diese Schuld, so sah Vonn das, zahlte sie nun mit Trophäen zurück.

"Ich liebe es, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten etwas zu schaffen"

2010 gewann Vonn in der olympischen Abfahrt von Vancouver, es war ihr größter Erfolg, an den sich bald erste Tiefs reihten. Sie trennte sich von Thomas, 2013, bei der WM in Schladming, riss ihr Kreuzband, sie wollte, sie musste unbedingt für Olympia 2014 fitwerden. Dann stürzte sie erneut, wieder ein Kreuzbandriss. Im vergangenen Winter kam sie zurück, gewann acht Rennen, wichtiger war ihr aber, dass sie im Ringen mit den Tücken ihres Sports nicht nachgegeben hatte, trotz Depressionen, wie sie später zugab. Bei der WM in Vail, ihrer WM, gewann sie eine Bronzemedaille im Super-G. Vonn sagte: "Passt schon."

Vor einem Monat, vor dem ersten Rennen des Winters in Sölden, schob sich eine gut gelaunte Lindsey Vonn vor die Fernsehkameras. Der Knöchel zwickte, das Rennen kam zu früh, aber Vonn trainierte schon wieder, das hatten ihr die Ärzte nicht zugetraut. "Ich liebe es, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten etwas zu schaffen", sagte sie.

Dann erzählte sie von ihrer Trainingseinheit, "heute Morgen auf dem Berg hatte ich das größte Grinsen im Gesicht", sagte sie, mit einem großen Grinsen im Gesicht, "das ist das, was ich tue, seitdem ich zweieinhalb Jahre alt bin". Vonn, so hat es den Anschein, hat die Balance aus An- und Entspannung gefunden, sie schottet sich nicht mehr ab, hat ein wenig zu sich selbst gefunden. Und sie hat noch ein wenig Platz in ihrem Trophäenschrank.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: