Ski alpin:Kühlschränke gegen Edeltechniker

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Nicht nur die Speed-Rennen wie derzeit in Kitzbühel vitalisieren den alpinen Weltcup - auch der Kampf um die Gesamtwertung ist bei den Männern so spannend wie seit Jahren nicht.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Kjetil Jansrud, der sonst so feinsinnige Norweger, wurde jetzt ein bisschen drastisch, aber in Kitzbühel liegt er damit auch in diesen Tagen im Trend. Ein Erfolg hier sei "wie eine Droge mit all den Zuschauern und der Aufmerksamkeit", sagte der 34-Jährige, der in Kitzbühel vor fünf Jahren die vielleicht schwerste und in jedem Fall am schwersten glorifizierte Abfahrt gewonnen hatte. Nun saß er mit großen Augen im Pressezentrum, aufgeputscht vom neuerlichen Adrenalinschub, den ihm sein Sieg am Freitag im Super-G verschafft hatte - 16 Hundertstelsekunden vor Teamkollege Aleksander Aamodt Kilde und dem zeitgleichen Matthias Mayer. Letzterer hatte die Österreicher kurz vom süßen Geschmack des Heimsiegs kosten lassen. Aber dann kam Jansrud, der bis zuletzt einen durchwachsenen Winter erlebt hatte. "Wenn du nicht in Form bist, machst du lauter kleine Schritte in die falsche Richtung", sagte er. Jetzt war er mit einem Satz auf die Sonnenseite gehechtet.

Die Hauptattraktion stieg ja erst am Samstag, mit der Abfahrt, aber ein Trend dieser alpinen Saison wird wohl auch das 80. Kitzbühel-Wochenende überdauern: Die kühlschrankgroßen Schnellfahrer veranstalten nicht nur wie gehabt ihre Spektakel auf den Abfahrten des Weltcups - sie können sich sogar mal wieder was in der Gesamtwertung ausrechnen. Marcel Hirscher, der die große Kristallkugel zuletzt acht Mal hintereinander gewann, ist seit diesem Winter Ski-Pensionist. Und so ist in jener Wertung, aus der Hirscher oft schon im Januar viel Spannung entweichen ließ, ein vitaler Wettstreit entbrannt, in dem vor allem Kilde (700 Punkte) und der Samstags-Sieger Mayer (692) kräftig mitmischen. Neben dem Norweger Henrik Kristoffersen (691) und dem Franzosen Alexis Pinturault (642) natürlich, den feingliedrigeren Technikern, die sich am Sonntag beim Slalom wieder etwas absetzen können.

Kompakt in Kitzbühel: Super-G-Sieger Kjetil Jansrud. (Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Kildes Aufstieg bürgt dabei am meisten für diesen Trend. "Das Übertalent, das der Kristoffersen im Slalom und Riesenslalom ist", hatte der Deutsche Andreas Sander schon vor vier Jahren gesagt, "ist der Kilde im Speed." Er gewann damals die Weltcup-Wertung im Super-G, er schuftete im Sommer fünf Stunden täglich im Kraftraum und fuhr im Winter atemberaubende Schräglagen. Er profitierte auch von der Kultur des Austauschs im kleinen norwegischen Team, er lernte von Großmeistern wie Aksel Lund Svindal, der im vergangenen Frühjahr zurücktrat, und Jansrud, klar, dem Abfahrtsweltmeister von 2019. Man wisse seit den Neunzigerjahren, als die Alpinen in Norwegen noch nicht so üppig alimentiert waren, "dass wir alle nur schnell sind, wenn wir zusammenhalten", erinnerte Jansrud am Freitag.

Kilde war die vergangenen zwei Jahre allerdings in Probleme gestolpert, die selbst Übertalente erfassen: Er schaffte es oft nicht, Ski, Schuhe und Bindung stimmig auf die Eispisten im Weltcup abzustimmen. Aber mittlerweile, sagte der 27-Jährige am Freitag, "habe ich wieder Spaß am Skifahren". So sehr, dass er sich bislang nicht nur in Super-G und Abfahrt, sondern auch im Riesenslalom und in der Kombination verlässlich in der Spitze einfindet. "Die große Kugel war immer mein Ziel", sagte er, aber dass es diese Saison schon klappen könnte, hätte er nicht gedacht.

Und Aleksander Aamodt Kilde habe noch einen Wettbewerbsvorteil, ergänzte Jansrud, wie viele Norweger: "Wir waren immer gut darin, den Druck nicht in unseren Kopf zu lassen."

In Österreich hatten sie bis zuletzt auch einen, der diese Disziplin am allerbesten beherrschte: Marcel Hirscher. Aber der 30-Jährige ist eben nun zurückgetreten, und die Nachfolger tun sich wenig überraschend schwer, die gletschergroße Lücke mit Erfolgen auszuschmücken. Matthias Mayer (Super-G in Lake Louise, Kombination in Wengen und nun die Abfahrt in Kitzbühel) sowie Vincent Kriechmayr (Super-G in Gröden) beschafften zwar vereinzelte Siege, aber die Techniker und auch die Frauen waren bislang nicht ganz so konstant wie in den Vorwintern. Im Dezember schalteten sogar mehr Österreicher beim "Bergdoktor" ein (661 000 Zuseher) als beim zeitgleich stattfindenden Nachtslalom in Madonna di Campigilo (654 000), wie der Kurier pikiert vermerkte. Die TV-Quoten bei Skirennen waren bis dahin um insgesamt 14 Prozent gesunken, teilte der ORF mit, im Vergleich zum Vorwinter. Wobei sich das spätestens an diesem Wochenende ändern dürfte.

Und solange sie beim Stanglwirt, bei der einschlägigen Weißwurst-Party am Kitz-Wochenende, nicht 14 Prozent weniger Würste verkaufen ...

Die Deutschen haben in Thomas Dreßen übrigens auch einen, der sich mal für die Gesamtwertung bewerben könnte, seine Comeback-Saison nach schwerem Knieschaden kommt dafür aber zu früh. Am Freitag sah man, warum: Er habe "einen Scheißdreck zammg'fahren", grantelte der 26-Jährige, fernab der Linie, die man bei der Inspektion vereinbart habe - Platz 17. Josef Ferstl, im Vorjahr noch sensationell Super-G-Sieger, trieb es sogar auf Rang 36 zurück. Andreas Sander schlug sich als Achter dafür beachtlich, es war sein bester Ertrag, seit er zu Saisonbeginn aus einer Kreuzband-Verletzung zurückgekehrt ist.

© SZ vom 26.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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