Slalom in Kitzbühel:Ein Brite? Ein Brite!

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Edeltechniker: Dave Ryding findet im Schneetreiben von Kitzbühel die perfekte Linie. (Foto: Marco Trovati/dpa)

Dave Ryding gewinnt in Kitzbühel auf dem wohl schwersten Slalom-Hang des Weltcups: mit 35 Jahren, erstmals in seiner Karriere, als erster Brite im alpinen Weltcup überhaupt. Sein Erfolg erzählt auch einiges über die Kunst des Durchhaltens.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Die Stimmung im Ziel war bis dahin ein wenig dahingeplätschert, doch gerade, als der eine oder andere Zuschauer unter einer fluffigen Schneedecke zu verschwinden drohte, preschte der Fahrer mit Startnummer 15 heran. Dave Ryding hatte den ersten Lauf schon als Sechstschnellster beendet, nun raste er noch mutiger über den Hang, knapp vier Zehntelsekunden knöpfte er dem bis dahin führenden Norweger Lucas Braathen ab - die Führung. Das riss auch das Publikum aus seiner höflichen Stimmung, und so war spätestens jetzt klar, wer sich das Gros der 1000 Karten für den Slalom am Kitzbüheler Ganslernhang gesichert hatte, für mehr als 200 Euro das Stück: die Briten, die derzeit offenbar in nicht zu geringer Zahl im Tiroler Winterort urlauben.

Die Emotionen schwappten nun hin und her, Ryding trommelte mit den Fäusten in der Luft, seine Landsleute jubelten immer lauter. Die Freude wurde nicht kleiner, als ein Läufer nach dem anderen aus dem Kurs fiel, der im ersten Lauf noch schneller gewesen war, bis hin zum Italiener Alex Vinatzer. Dann war niemand mehr übrig, der Ryding seinen ersten Sieg im alpinen Weltcup streitig machen konnte, den ersten eines Briten überhaupt. Und so war der Prämierte auch angemessen gerührt, als er später resümierte, dass ihm dieser Sieg "die Welt" bedeute, nach all den Entbehrungen.

Gruß an den Anhang von der Insel: Dave Ryding bei der Siegerehrung am Ganslernhang. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

So unwirklich Rydings Triumph auf den ersten Blick wirkte, er passt zu den bisher aufgeführten Slaloms des Winters. So verflixt eng geht es dort zu, dass viele Fahrer lieber alles riskieren und ausscheiden, als auf Rang 20 ins Ziel zu trudeln. Clement Noel war auch deshalb in Madonna kurz vor dem Ziel aus dem Kurs gerutscht; Henrik Kristoffersen ereilte vor einer Woche das gleiche Los in Wengen. Und am Samstag, da wehte es nun also einen 35-jährigen Briten nach vorne, aus Bretherton im Nordwesten Englands, in der Grafschaft Lancashire, die bislang bekannt war für die Nähe zur Irischen See und einen Eintopf mit Hammelfleisch und Zwiebeln. Ganz sicher nicht für alpine Weltcup-Sieger.

Ohne Medaillen versiegt im britischen Sport sehr schnell die Förderung

Rydings Biografie liest sich so ungewöhnlich, wie man es erwartet für ein Land, in dem Skifahrer mangels Schneefall auf Bürstenmatten trainieren. Bis zu seinem achten Lebensjahr übte er auf einem derart ausstaffierten Berg, zwölf Sekunden Fahrzeit, immer und immer wieder. Als er seine ersten Schwünge in den Schnee zirkelte, war er zwölf, die Eltern fuhren nun häufiger in die Skiferien nach Frankreich. Eine professionelle Karriere war längst außer Reichweite, nach allen Maßstäben der Branche. Aber was andere an kindlicher Prägung mitbrachten, habe er mit "Einsatz, Opfer und Hingabe" wettgemacht - auch auf die Gefahr hin, dass er bei diesem Unterfangen leer ausgehen könnte, erzählte Ryding vor fünf Jahren in Kitzbühel. Damals war er als Zweiter erstmals auf einem Weltcup-Podest vorstellig geworden, hinter Österreichs Überfahrer Marcel Hirscher.

Ryding beschäftigte damals bloß einen Servicemann und einen Trainer; Hirscher arbeiteten phasenweise neun Mann exklusiv zu. Er litt auch darunter, dass die Briten den Alpinsport seit Jahren nicht mehr förderten: 2002 hatte der Schotte Alain Baxter in Salt Lake City Bronze im Slalom gewonnen und schließlich verloren, weil sein Nasenspray eine verbotene Substanz enthielt. Und ohne Medaillen versiegt im britischen Sport rasch die Förderung. Das änderte sich erst 2018, als die Briten im olympischen Team-Event Fünfte wurden.

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Beim Slalom-Klassiker in Kitzbühel geht der Sieg unerwartet an den Briten Dave Ryding. Linus Straßer muss sich mit Rang 14 zufrieden geben.

Vor vier Jahren verlor Ryding seine Partnerschaft mit einem österreichischen Ski-Gebiet

Nach seinem Erfolg vor fünf Jahren in Kitzbühel musste Ryding immerhin nicht mehr Tausende an Euro aufbringen, um sein Sportlerleben zu finanzieren, oder auf dem Flur seines Trainers Tristan Glasse-Davies übernachten. Er warb damals für das Skigebiet Pyhrn-Priel, die Region erhoffte sich auch einen Zufluss an Touristen aus dem Königreich. Die Partnerschaft ging bald darauf allerdings in die Brüche: Das Skigebiet kündigte Ryding alles auf, den Werbevertrag, auch die Privilegien, auf den Hängen und Anlagen des Landesnachwuchszentrums zu trainieren. "Wir sind sehr enttäuscht über diesen Schritt, können aber nichts dagegen machen", sagte der Geschäftsführer der Region damals den Oberösterreichischen Nachrichten. Wie bitte?

Nun, ein Miteigentümer der örtlichen Bergbahnen war damals ein gewisser Peter Schröcksnadel, Präsident des Österreichischen Skiverbandes und großer König eines kleinen Alpenreichs. Laut Berichten sei es Schröcksnadel aufgestoßen, dass Pyhrn-Priel einen großen Konkurrenten der österreichischen Skifahrer derart fördere. "Schröcksnadel vertreibt Ryding von seinem Berg", so lauteten Schlagzeilen, sie stehen bis heute unwidersprochen im Netz.

Wer vorne mitmischt im Weltcup, findet in Österreich allerdings schnell neue Partner, alle Berge gehören Schröcksnadel dann doch nicht. Die Region Obergurgl-Hochgurgl sprang dankend ein, freute sich über neue Gäste aus dem Königreich, blieb Ryding auch treu, als es eine Weile mal nicht lief. Ryding wechselte zu einem neuen Ski-Ausrüster, dann wieder zu seinem alten, die üblichen Spielchen in der Weltspitze. Im vergangenen Winter profitierte er wieder von alter Stärke und neuen Talenten im britischen Team, die ihr Vorbild im Training forderten. Für einen Weltcup-Erfolg reichte es trotzdem nicht; Ryding fährt technisch so elegant wie kaum ein Zweiter, das Risiko der Jungen ging er aber nie so recht ein.

Ryding mischt das Risiko perfekt ab, ein Sieg der Routine über Sturm und Drang

Das ist in Kitzbühel, wo es die Fahrer über unzählige Schräglagen und Wellen treibt, aber auch nicht nötig. "Das ist mit Abstand der schwerste Slalom-Hang im Weltcup", sagte der Deutsche Linus Straßer am Samstag, und solch ein "Schweinsberg" (Straßer) belohnt eher die, die es nicht übertreiben. Ryding mischte das Risiko diesmal perfekt ab, ein Sieg der Routine über Sturm und Drang. Und jetzt?

Michael Huber, der Chef des Organisationskomitees, der seine Doktorarbeit über die Geschichte des Skisports schrieb, betonte noch, dass es in Kitzbühel schon mal einen britischen Sieger gab: 1931, weit vor Erfindung des Weltcups. Damals siegte ein gewisser Gordon Clever in der Kombination (ehe er im Zweiten Weltkrieg so schwer an den Augen versehrt wurde, dass aus seiner Behandlung die Entwicklung der künstlichen Augenlinse hervorging). Für Rydings Gondel, die sie in Kitzbühel jedem Champion bei einer Zeremonie widmen, werde man das Publikum nun mit einem weiteren Gast aus dem Königreich verstärken, den er einzuladen gedenke, sagte Huber, bescheiden wie eh und je. Er meinte: Queen Elizabeth II.

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