Ski alpin:Furchtlos durchs Eis-Labyrinth

Ski alpin: Perfekte Balance: Kira Weidle lässt sich auch auf den schwersten Abfahrtsstrecken im Weltcup nicht mehr stressen.

Perfekte Balance: Kira Weidle lässt sich auch auf den schwersten Abfahrtsstrecken im Weltcup nicht mehr stressen.

(Foto: Johann Groder/Eibner/imago)

Platz zwei auf der alpinen Achterbahn in Zauchensee: Nach einem wechselhaften Saisonstart lässt Kira Weidle wieder vieles hinter sich - und beweist, wie sehr Skifahren auch Kopfsache ist.

Von Johannes Knuth

Das Skigebiet Altenmarkt-Zauchensee hat einige Besonderheiten zu bieten, und das ist nicht nur der Rolltreppe geschuldet, die die Touristen aus der Parkgarage direkt auf die Piste trägt, wie in einem Kaufhaus. Die Abfahrt ist eine der schönsten und schwersten auf der alpinen Frauen-Tournee, der Start kommt einem freien Fall gleich, die Fahrerinnen katapultiert es binnen Sekunden auf 120 Stundenkilometer und eine Achterbahn aus Eis, mit Kurven, Kompressionen und Sprüngen. Wer hier schnell sein will, muss immer wach sein, "alle sieben Zwetschgen" beisammenhaben, wie Jürgen Graller gerne sagt, der österreichische Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen. Und wenn man das auf Kira Weidle münzt, Grallers derzeit einzige Weltcup-Starterin in den schnellen Disziplinen, war das mit dem kompletten Satz an Steinfrüchten manchmal so eine Sache.

Mutig war Weidle schon immer, von ihr ist die Geschichte verbrieft, wie sie geradeaus den Hang einer Skisprungschanze heruntersauste, da war sie elf. Dieses Eis-Labyrinth in Zauchensee, wo Weidle vor sechs Jahren im Weltcup debütierte, war ihr aber noch nie so richtig gelungen. Bis jetzt.

Umso mehr sonnte sie sich in ihrer Freude über Platz zwei in der Abfahrt - mit Abstand die beste deutsche Leistung des Wochenendes, neben Alexander Schmids 14. Rang im Slalom von Wengen, wo der Norweger Lucas Braathen von Rang 29 im ersten Lauf zum Sieg raste. Weidle lag am Samstag nur eine Zehntelsekunde hinter der Schweizerin Lara Gut-Behrami, es war ihr bislang bester Ertrag im Weltcup, "sehr viel" bedeutete ihr das. Nicht nur hatte sie fast alle Konkurrentinnen hinter sich gelassen, sondern auch, was ja oft noch komplizierter ist, die eigenen Erwartungen.

Die Erwartungen alleine zu tragen, das sei "eine Situation, mit der ich erst mal umgehen lernen musste", sagt Weidle

Wer mit 19 auf der Abfahrt im Weltcup debütiert, ist den handelsüblichen Zeitplänen weit voraus, und nicht immer war Weidle dabei so sehr in ihrer Balance wie jetzt. Nach ersten Achtungserfolgen mussten die Trainer sie erst mal erden. Danach, erinnerte sie sich jetzt, habe sie den Erfolg manchmal "ums Verrecken" gewollt, vor zwei Jahren in Zauchensee etwa: Weidle war in den Trainingsläufen die Schnellste, wollte es im Rennen besonders gut machen, reihte dann besonders viele Fehler aneinander. Seitdem, sagte sie, "bin ich auch ein bisschen reifer geworden".

Das manifestierte sich unter anderem bei der WM vor einem Jahr in Cortina d'Ampezzo, mit Silber in der Abfahrt. Das folgende Sommer- und Herbsttraining verlief tadellos, "die eigene Erwartung war sehr hoch", erinnerte sich Weidle. Und so wollte sie ihre Sache zu Beginn des Winters wieder besonders gut machen, wurde dann Siebte und Zehnte in Lake Louise, stürzte in Val d'Isère im Training, wurde in der Abfahrt 39., war jedenfalls nicht dort, wo sie sich mittlerweile verortet: in der absoluten Weltklasse.

Manche verheddern sich ja umso mehr, je schneller sie sich aus solch einem Tief befreien wollen, aber das ist mittlerweile eine Stärke der 25-Jährigen: dass sie rasch wieder zu sich selbst findet. "Es ist eine reine Kopfsache", sagte Weidle. "Skifahren konnte ich im Herbst auch schon. Das Umsetzen vom Training ins Rennen ist das Problem." Sie habe zuletzt mit ihrem Umfeld Kriegsrat gehalten, ihr "Mindset" noch mal verändert, mit der Erkenntnis, "dass man jeden Tag für sich nimmt".

Ihr half auch, dass sie seit einer Weile mit einem Mentaltrainer zusammenarbeitet, Weidle trägt seit einem Jahr ja fast alle deutschen Hoffnungen bei den Schnellfahrerinnen, nach den Abschieden von Viktoria Rebensburg und Michaela Wenig: "Vor allem, wenn es mal nicht so läuft", sagte sie, "ist das eine Situation, mit der ich erst mal umgehen lernen musste und jetzt auch langsam kann."

Ski alpin: Alles im Griff: Die 25-Jährige präsentiert die Trophäe für den zweiten Platz - besser war Weidle im Weltcup noch nie.

Alles im Griff: Die 25-Jährige präsentiert die Trophäe für den zweiten Platz - besser war Weidle im Weltcup noch nie.

(Foto: Harald Steiner/Gepa/imago)

In Zauchensee mischte Weidle Mut und Risikobereitschaft jedenfalls perfekt ab. Im schweren unteren Teil wählte sie nicht die ganz freche Linie, "weil es sich eh schon alles etwas schneller angefühlt hat", sagte sie. Eine weise Entscheidung, die Sofia Goggia, der zuletzt viermaligen Abfahrtssiegerin, nicht gelang: Die Italienerin warf es in einer Kompression brutal ab. Am Sonntag, im Super-G, war sie wieder dabei, allerdings nur auf Rang 19. Weidle beendete diese Übung als 16., womit sie beinahe ihre beste Platzierung im Weltcup einstellte.

Langfristig ist sie von der Ambition erfüllt, auch in dieser kurvigeren Speed-Disziplin bei den Besten konkurrenzfähig zu sein. Sollte das gelingen, würde sie womöglich eine dritte Disziplin in ihr Renn-Portfolio aufnehmen, hatte sie vor der Saison erzählt - um auch im Gesamtweltcup eine Bewerbung vorzulegen: "Ich habe hoffentlich noch ein paar Jahre vor mir", sagte sie, "da lasse ich mir das zumindest offen."

Und jetzt? Erst einmal die Weltcups in Cortina, der Stätte ihres bislang größten Erfolgs, dann in Garmisch-Partenkirchen. Und dann die Winterspiele mit all ihren Erwartungen und Corona-Sorgen. "Das lasse ich noch gar nicht so an mich ran", sagte Weidle, souverän, zumindest öffentlich. Alles Kopfsache eben.

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