Ski alpin:Kalte Zehen, warme Gedanken

Österreich hüpft am letzten Tag, eine Slowakin fällt mit Urgewalt auf, Deutschlands liebster Skifahrer hat einiges zu besprechen: Die WM erlebte zwar keinen Zuschauerrekord, aber verdiente Sieger.

Von Johannes Knuth

Ski alpin: Marcel Hirscher.

Marcel Hirscher.

(Foto: Jonathan Nacktstrand/AFP)

Gold-Fieber

Die Ski-WM in Are begann für Marcel Hirscher in etwa so wie die WM vor zwei Jahren: im Bett. Er leide an Ohrweh, Kopfweh, Gliederschmerzen, sagte der Österreicher bei seiner Ankunft in Schweden. Vermutlich ein grippaler Infekt. Oder doch eine Großereignis-Allergie? Hirscher wurde zwei Tage später im Riesenslalom jedenfalls Zweiter, und wiederum zwei Tage später im Slalom führte er einen ersten Lauf auf, der aus einer anderen Welt war. Im zweiten Durchgang musste er nicht mal mit voller Schubkraft der Goldmedaille entgegensteuern, seiner siebten bei einer alpinen WM. Damit stellte der 29-Jährige die Bestmarke seines Landsmannes Toni Sailer ein (gegen den zuletzt Missbrauchsvorwürfe aufgekommen waren, aber das ist eine andere Geschichte). Nebenbei beschaffte Hirscher dem österreichischen Team im letzten Rennen die noch fehlende Goldmedaille - wobei in Michael Matt und Marco Schwarz am Sonntag auch zwei Landsmänner auf dem Podium standen, zur Absicherung. "Unser Präsident hüpft herum und hat seinen Spaß", sagte Hirscher, mit Blick auf Verbandsboss Peter Schröcksnadel, "von daher ist jetzt alles gut."

Alpine Skiing - FIS Alpine World Ski Championships - Men's Giant Slalom

Henrik Kristoffersen

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Brusttrommler

Wenn man Henrik Kristoffersen im Zielraum beobachtet, ist das oft so, als tobe sich ein Pubertierender aus. Beim Riesenslalom in Are erst wieder: Der 24-Jährige trommelte auf die Brust, als er im zweiten Durchgang die Bestzeit geschafft hatte, jubelte, als Marcel Hirscher an seiner Zeit scheiterte - und sackte zusammen, als Alexis Pinturault fast schneller war. Aber nur fast. Endlich wieder ein Erfolg für den hochbegabten Norweger, der vor fünf Jahren olympisches Slalom-Silber gewann, danach aber oft am scheinbar übermächtigen Hirscher verzweifelte. "Es war an der Zeit, wir haben sooo hart gearbeitet", sagte Kristoffersen. Und dann hatte er gleich den Hauptpreis gezogen, gleichbedeutend mit seiner ersten WM-Medaille. Die Norweger verließen Are am Ende an erster Stelle im Medaillenspiegel, gleichauf mit der Schweiz (zwei Gold-, je eine Silber- und Bronzemedaille). Allerdings passt Kristoffersen nicht mehr so recht in das Bild der heilen norwegischen Skifamilie, in der sich alle helfen. Er prozessiert weiter gegen den eigenen Verband, der ihm nicht das Recht auf einen eigenen Helm-Sponsor einräumen will, vor zwei Jahren warfen sie ihn mal aus der Trainingsgruppe. Aber gut: Ein cholerischer Norweger, das hat Seltenheits- und Unterhaltungswert im Skisport.

Ski alpin: Ilka Stuhec.

Ilka Stuhec.

(Foto: Jonathan Nacktstrand/AFP)

Leichte Tage

Wenn manche Karrieren sich dem Ende entgegen neigen, gehen andere erst so richtig los, Ilka Stuhec ist da nicht das schlechteste Beispiel. Die Slowenin gewann vor einem Jahrzehnt diverse Titel bei Nachwuchs-Weltmeisterschaften, doch dann füllte sich erst mal ihre Krankenakte, die der Länge von Tolstois "Krieg und Frieden" nicht um viel nachsteht. Sie musste für eine Weile ihr eigenes Team finanzieren, lieh sich Geld, ihre Mutter präparierte die Ski. Das kleine Familienunternehmen war oft am Rand der Erschöpfung, aber vor drei Jahren lief es plötzlich. Stuhec gewann 2017 WM-Gold in der Abfahrt, ließ sich nicht von einem Kreuzbandriss im folgenden Winter stören, verteidigte in Are ihren Abfahrtstitel - das hatte zuletzt Maria Walliser vor 30 Jahren geschafft. "Ich habe manchmal auch schwere Tage", sagte Stuhec, aber sie habe gelernt, sich an den guten Dingen festzuklammern, und was sie in ihrem Sport noch erreichen könne. Und zu lächeln, so sieht man sie sehr oft. "Ich liebe meinen Job einfach", sagte sie, "auch wenn es dabei manchmal sehr kalt ist." Wer so lange auf seinen Moment warten muss, den können ein paar kalte Zehen nicht schrecken.

FIS World Ski Championships - Women's Giant Slalom

Petra Vlhova.

(Foto: Francis Bompard/Getty Images)

Petra aus der Slowakei

Groß, kräftig, ein kantiger Schwung - Petra Vlhovas Slalomläufe erinnern oft an einen Sportwagen, der mit all der Urgewalt unter der Haube nicht einfach zu lenken ist. Aber wenn die Slowakin ihre Kraft auf die Piste bringt, dann ist sie unverschämt schnell. Und diese Kraft schöpft sie immer häufiger aus: Sie war in diesem Winter bislang die einzige, die Mikaela Shiffrin im Slalom bezwang, und dann in Are: Silber in der Kombination, Bronze im Slalom, Gold im Riesenslalom. "Heute", sagte die 23-Jährige nach ihrem ersten großen Erfolg, "habe ich allen gezeigt, wer Petra aus der Slowakei ist." Noch ist sie nicht so konstant wie Shiffrin, aber Vlhova rückt der Branchenführerin näher, in jeder Hinsicht. Auch sie unterhält ihr eigenes Team, mit Livio Magoni an der Spitze, der einst Tina Maze zu Erfolgen führte. Beim Trainingseifer stehe sie Shiffrin um nichts nach, sagen sie im deutschen Team, das oft mit Vlhovas Clan trainiert. Und der Rummel um sie ist fast schon größer - zumindest in der Slowakei, wo Sportler Nationalhelden sind und Reporter sich schon mal Geschichten ausdenken, wenn sie alles berichtet haben, was es zu berichten gibt. Petra aus der Slowakei - man wird sich den Namen merken müssen, auch fernab ihrer Heimat.

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(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Wettertrubel

Die WM in Are war ein hinreißendes Schauspiel, das die herausragende Bedeutung der alpinen Bewegung gefestigt hat. Den Eindruck konnte man zumindest gewinnen, wenn man dem Bilanzgespräch des Ski-Weltverbands Fis lauschte. Die Organisation sei hervorragend gewesen, der Zuspruch der Zuschauer befriedigend (auch wenn das Ziel von 120 000 Gästen klar verfehlt wurde). Das Wetter? Das war erst sehr kalt, dann sehr stürmisch und schließlich sehr warm. Aber das könne man natürlich nicht beeinflussen, sagte Fis-Generalsekretärin Sarah Lewis. Da müsse man sich als Athlet den Bedingungen eben anpassen. Was freilich eine originelle Interpretation war, wenn man erlebte, bei welch grenzwertigen Bedingungen die Fis manche Rennen in Are durchpeitschte. Aber klar, der Kalender ist voll, die Athleten reisten kurz vor der WM im Wettertrubel an, an diesem Dienstag steht bereits ein Parallelslalom in Stockholm an. Danach geht es nach Bulgarien und Slowenien für die Männer, für die Frauen in die Schweiz, nach Russland, Tschechien. Und dann zum Saisonfinale nach Andorra. Gut fürs Meilenkonto, schlecht für die müden Knochen.

Alpine Skiing - FIS Alpine World Ski Championships - Men's Slalom

Felix Neureuther.

(Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Tief Felix

Über die Kunst, sich als Athlet zu einem günstigen Zeitpunkt vom Spitzensport zu verabschieden, könnte man mittlerweile auch einen hübschen Roman schreiben. Vermutlich sogar einen längeren als "Krieg und Frieden". Bei Felix Neureuther zum Beispiel mehrten sich zuletzt die Indizien, dass der 34-Jährige nach diesem Winter aufhören wird - seine Comeback-Saison nach Kreuzbandriss war ja doch pannenreicher verlaufen als gedacht. In Are schied Neureuther im zweiten Slalom-Durchgang aus. Bis dahin war er aber so gut gefahren, dass er es sich später offenbar anders überlegte, nicht zum ersten Mal. Vielleicht mache er auch weiter, sagte er. Aber nur, wenn sich ein paar Dinge ändern würden, in der zuletzt schwachen deutschen Technik-Auswahl und im Verband. Welche Dinge das sein sollen, sagte er nicht. Im DSV hieß es zunächst nur, dass das alles gar nicht so dramatisch sei und man das in Ruhe mit Neureuther besprechen werde. Die Erwartung dahinter ist offenbar: dass auch Neureuther ein paar Dinge ändert.

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