Ski alpin:Jahrgangsbeste im Hotelzimmer

Ski alpin: Weltcup-Siegerin Federica Brignone.

Weltcup-Siegerin Federica Brignone.

(Foto: Gabriele Facciotti/AP)

Nach dem vorzeitigen Ende der Weltcupsaison stehen zwei überraschende Gesamtsieger fest: die Italienerin Federica Brignone und der Norweger Aleksander Aamodt Kilde.

Von Johannes Knuth

Wenn es noch einer Szene bedurft hatte, die das turbulente Ende dieses turbulenten Winters illustrieren sollte, dann spielte sie sich vor Kurzem in Kvitfjell ab. Der Ski-Weltverband Fis hatte die Saisonfinals der alpinen Rennfahrer in Cortina gerade abgesagt, wegen der Corona-Epidemie, die damals schon schwer über Italien hing. Einige Sieger in den Disziplinenwertungen standen somit unerwartet früh fest und sollten nun auch gleich vor Ort prämiert werden, wie die Schweizer Beat Feuz und Mauro Caviezel. Allerdings hatten es die Kristallkugeln, die jedem Sieger in einer personalisierten Fassung überreicht werden, so spontan nicht an den norwegischen Weltcup-Standort geschafft. Die Fis machte sich im Umkreis also hastig auf die Suche nach einer Ersatztrophäe.

Der ehemalige norwegische Skirennfahrer Aksel Lund Svindal konnte aber ebenso wenig aushelfen wie Landsmann Kjetil-André Aamodt, der bei der Gelegenheit ausrichtete, man habe ihm seine Pokale vor einer Weile gestohlen. Bevor die Verantwortlichen allerdings in die Verlegenheit gerieten, sich beim örtlichen Fischereiklub eine Trophäe vom letztjährigen Lachsangeln leihen zu müssen, wurden sie bei Henrik Kristoffersen fündig. Der Norweger borgte ihnen seine Kugel, die er 2016 für seinen Erfolg in der Slalomwertung erstanden hatte.

Am Donnerstag war die Saison dann endgültig vorbei, ohne weitere Spontanzeremonien: Die fürs Wochenende geplanten Weltcups in Are und Kranjska Gora wurden ebenfalls abgesagt, nachdem die Behörden in Schweden und Slowenien wegen der Virus-Ausbreitung interveniert hatten. Somit standen auch die restlichen Kugel-Gewinner vorzeitig fest, neben den Schweizern Feuz (Abfahrt), Caviezel (Super-G) und Corinne Suter (Abfahrt, Super-G): Petra Vlhova (Slalom, Parallel) gewann als erste Slowakin überhaupt eine alpine Weltcup-Wertung, Henrik Kristoffersen triumphierte im Riesenslalom und Slalom. Und in der Gesamtwertung, in der immerhin rund drei Viertel der Rennen stattgefunden hatten, gab es ein überraschendes Siegerpaar, das von seinen Erfolgen im Hotelzimmer erfuhr: Federica Brignone aus Italien und den Norweger Aleksander Aamodt Kilde.

Unverdient waren die Erfolge der neuen Jahrgangsbesten freilich nicht. Die Konkurrenz hatte Kilde schon vor Jahren als Hochbegabung geadelt; er hatte 2016 die Weltcup-Wertung im Super-G gewonnen und profitierte früh von der Kultur des Austauschs im kleinen norwegischen Team, unter der Regie von Svindal und Kjetil Jansrud. Wobei diese Ausbildung auch vorsah, dass die Meister den Lehrling in den folgenden Wintern ein paar Fehler machen ließen - zu viel Risikoeinsatz im Rennen etwa - um ihm danach eine bessere Lösung aufzuzeigen. In diesem Winter war Kilde nicht nur in den schnellen Disziplinen konstant in der Spitze, auch wenn er nur einen Super-G gewann; er sammelte auch im Riesenslalom Punkte, den er schon als Junior beherrscht hatte. In Kranjska Gora hätte er noch einmal kräftig zittern müssen, der Franzose Alexis Pinturault hätte 54 Punkte Rückstand im Slalom und Riesenslalom durchaus aufholen können. "Es ist schade, dass wir nicht bis zum letzten Rennen kämpfen konnten", sagte Kilde am Donnerstag, "aber die Gesundheit der Leute ist jetzt das Wichtigste." Seinen Gesamtsieg fand er "fantastisch und sehr surreal".

Brignone hatte sich mit ihrem Aufstieg noch etwas mehr Zeit gelassen. Sie gewann 2011 WM-Silber im Riesenslalom, aber Verletzungen zwangen sie immer wieder in den Wartestand. 2015 gewann sie ihren ersten Weltcup, erst im vergangenen Sommer konnte sie eine Vorbereitung gänzlich störungsfrei absolvieren. Prompt stand sie elfmal auf dem Podest, gewann zwei Riesenslaloms, zwei Kombinationen, einen Super-G. Das reichte am Ende nicht nur für den Gesamtweltcup, sondern auch für die Wertungen in Kombination und Riesenslalom. Brignone ist sogar die erste alpine Gesamtsiegerin aus Italien, was sie angesichts der Corona-Epidemie in Italien in den entsprechenden emotionalen Rahmen bettete: "Ich hoffe, dass ich ein Lächeln in unser Land bringen konnte."

Dass Brignone so oder so eine würdige Siegerin war, sah auch Mikaela Shiffrin so. Die hätte wohl die Gesamtwertung gewonnen, hätte sie nicht nach dem Unfalltod ihres Vaters bis zuletzt pausiert, nun teilte sie mit: Alle Sieger stünden "durch und durch" verdient an der Spitze. Sie selbst sei in Are immerhin ein paar tolle Schwünge im Training gefahren, das habe ihr bei der Trauerbewältigung geholfen. Manchmal lässt sich ein Sieg eben nicht in Kristallkugeln aufwiegen.

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