Ski alpin:Frauen, die sich trauen

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Christina Geiger: Achte in Flachau, ihr bestes Resultat seit drei Jahren (Foto: Getty Images)

Als Maria Höfl-Riesch ihre Karriere beendete, klaffte im deutschen Slalom ein Loch - nun erleben die Frauen einen zarten Aufschwung. Ausschlaggebend: Mut zum Risiko.

Von Johannes Knuth, Flachau

Die ersten Rufe hallten verhalten durch die kältegeschwängerte Nacht, sie gewannen langsam an Kraft, und am Ende klangen sie fast überschwänglich. "Wer liegt in Führung?", krächzte der Stadionsprecher. "Christinaaa Gaaigaaa!!", schwappte es von der Tribüne ins Ziel, wo Christina Geiger aus Oberstdorf gerade die schnellste Fahrt des zweiten Laufs gelungen war. Und oben warteten nur noch wenige auf ihren Einsatz, die Besten . . .

Es war am Ende ein ungewohnter Ausgang, den der Slalom am Dienstagabend in Flachau nahm. Die Siegerin hieß nicht Mikaela Shiffrin, die zwölf der vergangenen 13 Slaloms auf ihre Seite gezerrt hatte, sondern Frida Hansdotter aus Schweden, die oft tief in Shiffrins Schatten gestanden hatte. Die Amerikanerin entschuldigte sich derweil für ihre sparsame Freude über ihren dritten Platz. Sie dampfe halt noch vor Ärger über den ersten Lauf, als sie die Kanten ihrer Skier zu hart in den Schnee gepresst hatte. "Furchtbar", sagte Shiffrin. Im Gesamtweltcup baute sie ihre Führung trotzdem aus, auf 365 Punkte vor der Schweizerin Lara Gut.

"Was du im Training siehst, siehst du im Rennen selten."

Und auch das Slalom-Ressort der Deutschen malte in Flachau an einem ungewohnten Bild: dem eines zarten Aufschwungs, auf den man "eine Zeit lang gehofft hat", sagte Alpindirektor Wolfgang Maier. Fünf Fahrerinnen fanden sich im zweiten Durchgang ein, Lena Dürr (14.), Maren Wiesler (20.), Marina Wallner (23.), Marlene Schmotz (27.). Christina Geiger trug als Achte gar ihr bestes Resultat seit drei Jahren in die Wertung, sie sicherte sich die Zulassung zur WM, dazu warme Publikumsbekundungen. "Das gibt Selbstvertrauen", sagte Geiger, "und an dem hat es ein bisschen gefehlt." Was ein bisschen wohlwollend umschrieben war.

Die einst starke Techniksparte der deutschen Frauen hatte sich in den vergangenen Jahren, nun ja, mehr als nur ein bisschen schwer getan. Als Maria Höfl-Riesch vor drei Jahren ihren Ausstand gab, war das, als ziehe man den Sichtschutz vor einer Großbaustelle weg: Nur Viktoria Rebensburg war in der Elite vertreten, im Slalom klaffte ein großes Loch. Im November 2015 in Aspen schaffte keine DSV-Fahrerin die Versetzung in den zweiten Durchgang, das hatte es seit 15 Jahren nicht mehr gegeben. Und jetzt? "Wir sind schon auf dem richtigen Weg, in der Breite stärker geworden", findet Markus Anwander, Cheftrainer der Frauen. Die Jüngeren hätten davon profitiert, dass man vor einem Jahr die Nachwuchsgruppe mit den Profis verschmolz. Aber Anwander sieht derzeit oft noch zwei Versionen seiner Mannschaft, und "was du im Training siehst", sagt er, "siehst du im Rennen selten".

Anwander vermisst oft noch die Abenteuerlust, die es für eine Mitgliedschaft in der Spitze braucht. Geiger reichte in Flachau insofern eine gelungene Arbeitsprobe ein: "Entweder ich fahre richtig schnell, oder ich fliege raus", sagte sie, "noch mal so einen runterbremsen wie im ersten Lauf wollte ich nicht." Geiger war 2010 Juniorenweltmeisterin, ihr stecken einige Jahre des Misserfolgs in den Knochen, Flachau war also ein Achtungserfolg. Dürr wiederum, die als Sechste in Killington in der Weltspitze hospitiert hatte, wehte es im zweiten Durchgang zurück, mal wieder. "Im Inneren ist es sicherlich der Gedanke, dass ich das Ergebnis des ersten Durchgangs absichern will, dass ich nicht nach vorne schaue, sondern dass ich eher die paar Punkte halte", glaubt Anwander. Aber kann man das einfach trainieren: ein Rennpferd zu sein, wie er es fordert?

Man kann, findet Anwander. Zum Beispiel, wenn man "bei jedem Trainingslauf versucht, deutlich übers Limit zu gehen". Bis zum nächsten Slalom in einem Monat - dann schon bei der WM - will er diese Inhalte verstärkt durchnehmen, wobei er die größten Lernfortschritte derzeit woanders begutachtet: bei der jüngeren Garde, "die noch gar nicht so in Erscheinung getreten ist". Die trage derzeit eher "dieses Rennpferd-Gen" in sich. Marina Wallner etwa, die nach einer Kreuzbandverletzung in Flachau couragiert fuhr und der einer von zwei noch vakanten WM-Plätzen im Slalom zufallen könnte, auch ohne Norm. Die offizielle Ausschreibung haben nur Geiger und Dürr erfüllt. So richtig trauen sie im DSV dem Aufschwung freilich noch nicht. Dafür, sagte Maier, habe sich die Auswahl zuletzt "sehr sprunghaft" präsentiert.

Die Frauen, im DSV lange ein Team der Gegenwart, sind auch in diesem Winter eher eine Auswahl für die Zukunft. Im Riesenslalom, die Kerndisziplin der Alpinen, bilden sie derzeit nur drei Fahrerinnen für höhere Weihen aus: Katrin Hirtl-Stanggaßinger, 18, Jessica Hilzinger, 19, Lucia Rispler, 18. Man leide in der Nachführarbeit auch darunter, dass es der Nachwuchs in Zeiten längerer Schulzeiten und kürzerer Winter schwer habe, den Weg in den Schnee zu finden, sagt Anwander. Und im Speed-Ressort stecken die Talente noch in der Schule des Misserfolgs, wie viele Vorgänger. Kira Weidle etwa, die im Vorjahr die Gesamtwertung im zweitklassigen Europacup gewann - im Weltcup verpasst sie noch oft die Zulassung für die besten 30. Dieser Übergang, sagt Anwander, sei "wie eine große Mauer. Da muss ich gegenrennen und sie irgendwann einreißen".

Die nächste Gelegenheit bietet sich in Zauchensee, mit einer prominenten Vorfahrerin: Lindsey Vonn will am Samstag in der Abfahrt ihr Comeback geben.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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