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Ski alpin:Guter Cop, böser Cop

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Dank ihres Talents konnte Viktoria Rebensburg lange auf härteres Training verzichten. Nun fährt sie hinterher und wird wegen mangelnden Einsatzes von ihrem Verband kritisiert.

Jürgen Graller ist seit mehr als 15 Jahren im alpinen Profigeschäft als Trainer unterwegs, seit drei Jahren steht er dem Team der deutschen Frauen vor, und in dieser Zeit hat er nicht nur Sportler angeleitet, sondern auch selbst seine Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel, dass es in kniffeligen Zeiten in einem Sportlerumfeld "einen good cop und einen bad cop", brauche, wie er kürzlich im Gespräch erzählte. Einen Betreuer also, der einem Athleten im sportlichen Krisenfall zurede und einen, der ihm ein wenig Feuer macht. Die Trainer, die mit dem Athleten täglich am Hang arbeiten, sollten dabei den Part des wohlmeinenden Ordnungshüters übernehmen: Ansonsten, findet Graller, "kannst du aus der Emotion heraus brutal viel zerstören". Aber wenn ein fachkundiger Beobachter von draußen ein wenig "draufhaut", als bad cop - dann sei das schon in Ordnung, unter Umständen.

Wolfgang Maier, der Alpindirektor im Deutschen Skiverband (DSV), ist in der Vergangenheit nicht selten in die Rolle des strengen Aufsehers geschlüpft, auch öffentlich. Und weil Viktoria Rebensburg, die Olympiasiegerin von 2010 im Riesenslalom, in diesem Winter in ihrer Lieblingsdisziplin den Anschluss an die Weltspitze verloren hat, sieht sich Maier jetzt mal wieder zu einem verbalen Weckruf genötigt. "Mit dem derzeitigen Aufwand ist das Leistungsniveau auf dem Podium nicht mehr zu halten", sagte er dem Sportinformationsdienst: "Sie muss Trainingsinhalt und -umfang intensivieren. Wir haben die rasante Leistungsentwicklung in der Disziplin Riesenslalom unterschätzt." Wobei Maier mit "wir" offenbar in erster Linie die Athletin meint.

Rebensburg galt früh als großes Versprechen, mit 17 Jahren debütierte sie bei der WM, mit 20 Jahren war sie bereits Olympiasiegerin - noch bevor sie ihren ersten Erfolg im Weltcup schaffte. Sie fuhr nicht immer technisch piekfein, aber rasant, manche verglichen sie mit Bode Miller, dem amerikanischen Ski-Freigeist. Nur: Die Risikobereitschaft, sich auch im Training ans Limit zu tasten, gehe der 30-Jährigen inzwischen ab, findet Maier: "Sie hat ihr Potenzial über die Jahre aufgrund ihres unsagbaren Talents abgerufen, aber die Weltspitze gleicht das jetzt mit konsequenter Arbeit aus."

Petra Vlhova, die zuletzt in Are Weltmeisterin im Riesenslalom wurde vor Rebensburg, bestreitet dem Vernehmen nach zwischen zehn und zwölf intensive Trainingsläufe täglich. Rebensburg soll sich oft mit vier begnügen. Wobei Cheftrainer Graller kein Freund von derartigen Vergleichen ist. Vlhova sei sechs Jahre jünger, sie sei ein anderer Athletentyp, "du darfst das nicht kopieren". Graller strebt vielmehr an, dass ich "aus dem, was ich hab, das Maximum raushole." Wobei er zugibt: "Wir müssen schon schauen, dass wir die Umfänge erhöhen - wenn sie fit ist." Zuletzt hatte Rebensburg einen Infekt auskuriert.

Viktoria Rebensburgs letzter Riesenslalom-Sieg liegt bereits zwei Jahre zurück, die Disziplin ist bei den Frauen nicht erst seit diesem Winter schwer umkämpft. Rebensburg wurde bislang einmal Vierte in Courchevel, ansonsten war sie oft chancenlos. "Zu brav" sei sie gefahren, gab sie zuletzt nach Rang sieben im italienischen Sestriere zu. Aber sie sehe sich auf dem richtigen Weg. Nach Wolfgang Maiers jüngsten Wortmeldungen war sie zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

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SZ vom 22.01.2020 / Sid, SZ
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