Ski alpin:Flüche im Forst

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Mal fährt sie um den Sieg mit, mal geht alles in die Hose, was in die Hose gehen kann: Skirennfahrerin Kira Weidle, 23, kämpft mit den Tücken, sich in der Abfahrtsweltspitze zu etablieren

Von Johannes Knuth, Altenmarkt-Zauchensee

Jürgen Graller hat es am Wochenende wieder getan, es half ja nichts. Der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen rutschte am Samstag nicht gleich ins Ziel, wo seine Läuferinnen warteten, die sich gerade auf der schweren Abfahrt in Zauchensee abgemüht hatten. Er nahm noch einen Umweg durch ein Waldstück, wie er später erzählte - so wie er das oft macht, wenn sich der Ausgang eines Alpinrennens so gar nicht mit seinen Erwartungen im Vorfeld deckt. Wenn man noch vor Wut dampft, umgehend ins Ziel rutscht und dort seine Emotionen auslässt, hat der 48-Jährige über die Jahre gelernt, "dann kannst du da als Trainer extrem viel zerstören". Seine Spontantherapie sieht mittlerweile so aus: "Man überlegt lieber zweimal, geht in den Wald und schreit einen Baum an", sagt er. "Und dann läuft das schon wieder."

So wie am vergangene n Wochenende also, im Salzburger Land.

Da waren die Deutschen erwartungsvoll in die dritte Abfahrt des Winters gezogen, auf der Kälberlochpiste, die zwar ohne die 72 Prozent steile Startrampe gefahren wurde, in der zeitweise schwere Wolken hingen, die aber auch so ein anspruchsvolles Kurvengewirr bereithielt. Grallers Fahrerinnen, allen voran Kira Weidle und Viktoria Rebensburg, waren mit den Tücken im Vorfeld gut zurechtgekommen: Rebensburg trotz ausgestandenen Infekts, Weidle hatte im ersten Training sogar die Bestzeit in den Schnee gemalt. "Ich dachte, da kann nichts in die Hose gehen", sagte Graller, "und dann ist alles in die Hose gegangen." Rebensburg wurde 23., Weidle 24., was sie aber nicht auf die Wolken, sondern auf sich selbst schob ("Das war nicht mein bestes Skifahren"). Michaela Wenig war als 19. noch die beste Deutsche, der Groll über die "Nullnummer" (Graller) war am Abend aber schon wieder verraucht - nicht nur dank der Flüche im Forst. Graller hatte derartige Formdellen schon vor der Saison prophezeit, vor allem mit Blick auf Kira Weidle: "Es kommen jetzt einfach noch Höhen und Tiefen", hatte er ihr gesagt, "du wirst in manchen Rennen eine draufkriegen." Dann fügte er an: "Das ist aber ganz normal."

Gemeint war, normal für eine 23-Jährige, die jetzt, da sie im vergangenen Winter nach oben gekommen ist, mitten in einer noch viel anspruchsvolleren Knobelaufgabe steckt: oben zu bleiben.

Kira Weidle vom SC Starnberg war den Zeitplänen ihres Sports schon immer ein wenig voraus, mit 19 debütierte sie im Weltcup, und in der vergangenen Saison unterstrich sie schon den Eindruck, den sie seit einer Weile im Verband haben: dass sie die schnellen Disziplinen, den Super-G und vor allem die Abfahrt, für mehr als einen Winter prägen könnte. Sie wurde zweimal Dritte, in Lake Louise und Garmisch-Partenkirchen, sie fand sich immer wieder unter den besten Zehn ein, der 13. Platz in der WM-Abfahrt in Are war ihr schlechtestes Ergebnis in der Abfahrt im gesamten Winter. Wenn 13. Plätze die schlechtesten Erträge sind in diesem Geschäft, in dem so viele externe Einflüsse das Geschehen durcheinanderwirbeln können - Material Wind, Tagesform, Schneebeschaffenheit, Stürze - dann ist das mindestens beachtlich.

Diesen Trend, sagte Weidle nun in Zauchensee, wolle sie in diesem Winter "bestätigen und festigen". Auch im Super-G habe sie noch Nachholbedarf, jener kurvigeren Speed-Disziplin, in der die Fahrer ohne Trainingslauf ihr ganzes Können vorführen müssen, in einem Versuch. Intern, sagt Graller, habe Weidle ihr Ziele sogar noch mutiger formuliert, aber sie geht nicht damit hausieren. Auch das spricht für sie. Zum Saisonauftakt wurde sie nun schon wieder Sechste und Achte in der Abfahrt, im Super-G 19. und 24., obwohl sie im Sommer unter Rückenproblemen gelitten hatte. Aber sie merke mittlerweile auch, dass sie Strecken allmählich besser kenne, sagte Weidle - die Erfahrung ist ja der wichtigste Rohstoff im Hochgeschwindigkeitssport; die Weltbesten, mit denen Weidle sich misst, sind oft fünf, sechs Jahre älter. Am Samstag stach sie noch zu direkt in die lang gezogene Panoramakurve, anstatt den Schwung runder und später anzusetzen, wie die Schweizerin Corinne Suter es tat, die auch erst 25 ist und ihren ersten Weltcup gewann. Am Sonntag schied Weidle im Super-G aus, dem ersten Teil der alpinen Kombination. Wie auch Rebensburg und die Weltcup-Gesamtführende Mikaela Shiffrin aus den USA; die Italienerin Federica Brignone gewann. "Wenn man irgendwas unbedingt will", sagte Graller, "funktioniert es im Normalfall fast nie."

Der Österreicher vertiefte sich am Wochenende aber nicht in allzu tiefe Sorgen. Im Gegenteil. Weidle habe "für ihr Alter schon extrem viel gelernt", sagte Graller, vor zwei Jahren in Lake Louise etwa, als sie etwas zur sehr vom Hochmut beseelt war und vom Cheftrainer zu einer mahnenden Unterredung gebeten wurde. Und was er mittlerweile auch wohlwollend feststellt: "Sie hat so eine gute Arroganz. Nicht dass sie überheblich ist oder wirklich arrogant ist, sondern dass sie weiß, dass sie gut ist und gewisse Sachen einfach im Griff hat." Die Strecke in Lake Louise etwa, beim Saisonauftakt, obwohl das Training zäh gelaufen war. Und auch nach einem Wochenende wie jetzt, sagte Graller, "da hat sie keinen Vollstress". Auch wenn es ihm selbst wohl noch den einen oder anderen Umweg durch den Wald abnötigen wird.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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