Ski alpin:Feuer am Oasch

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Nicht einmal eine halbe Sekunde Rückstand auf das Podium: Marlene Schmotz rast beim Riesenslalom in Courchevel auf Platz neun. (Foto: Andreas Pranter/imago)

Marlene Schmotz unterstreicht als Neunte im Riesenslalom von Courchevel, dass sie die Lücke hinter Viktoria Rebensburg ein wenig schließen könnte.

Von Johannes Knuth, Courchevel/München

Wenn Jürgen Graller, der österreichische Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen, die Fertigkeiten seiner Athletinnen lobt, tut er das oft in mehreren Stufen. Die Basis ist der "schnelle Schwung", die Steigerung der "Mega-Schwung". Eine der höchsten Auszeichnungen hat Graller mal seiner Slalom-Hoffnung Marina Wallner zukommen lassen. Die, befand Graller, sei "oafach a Dirndl, wos mit Feuer am Oasch fahrt". Marlene Schmotz, eine weitere Begabung aus seiner Auswahl, hatte bis zuletzt noch nicht ganz die Feuer-am-Oasch-Stufe erklommen, aber die 25-Jährige, sagte Graller zuletzt, sei, immerhin, ein "junges dynamisches Mädel", das "nicht viel nachdenkt".

Man könnte auch sagen: Schmotz ist verflixt schnell.

Am Dienstag, beim Riesenslalom in Courchevel, fuhr die 25-Jährige so, wie sie ihre Trainer zuletzt im Training immer wieder beeindruckt hatte. Sie schob sich mit Startnummer 39 im ersten Lauf unter die besten 30, sicherte sich so die Teilnahme am zweiten Durchgang. Da zog sie fast alle Schwünge auf den Skikanten durch, im Flachen wie im Steilen, technisch edel, aber auch auf der frechen, nicht zu runden Linie. Schmotz, das war bald klar, war einer dieser Läufe gelungen, nach denen man im Anschluss genüsslich im Ziel verfolgt, wie sich die teils arg prominente Konkurrenz nach und nach an dem Richtwert abarbeitet. Mikaela Shiffrin, die Großmeisterin aus den USA, fiel völlig überraschend fast eine Sekunde hinter Schmotz zurück, auch Ex-Weltmeisterin Tessa Worley aus Frankreich und die Sölden-Siegerin Alice Robinson waren langsamer.

Viktoria Rebensburg wird Vierte - und hat wieder Spaß

"Ich hab' einfach das gezeigt, was ich kann", sagte Schmotz später am BR-Mikrofon - endlich auch mal im Rennen, sollte das wohl auch heißen. In Zahlen gegossen sah das so aus: Laufbestzeit im zweiten Durchgang, Platz neun insgesamt, ihr bislang stärkster Ertrag im Weltcup nach einem 14. Rang zuletzt im Slalom in Killington. Viktoria Rebensburg, ihre hochdekorierte Teamkollegin, befand sich als Vierte auch in unmittelbarer Nachbarschaft. Einen derartigen Doppelpack im Riesenslalom hatten die deutschen Frauen zuletzt vor sechs Jahren geschafft, mit Rebensburg und Maria-Höfl Riesch.

Der Dienstag in Courchevel unterstrich am Ende das, was sie im Verband schon seit einer Weile glauben: dass Marlene Schmotz aus Fischbachau eine ist, die die Lücke hinter Viktoria Rebensburg im deutschen Team ein wenig schließen könnte. Sie gewann 2015 bei der Junioren-WM schon Silber im Slalom, den sie eigentlich lieber mag als den Riesenslalom; sie erlitt aber auch schon einen Sprunggelenksbruch und einen Kreuzbandriss im Frühjahr 2017, der ihr bis zum Vorwinter zu schaffen machte. Aber Schmotz bewältigte den Weg zurück so, wie sie fährt: Sie stürzte sich ohne den Ballast der Zweifel in die lange Reha. Die Trainer belohnten sie im vergangenen Februar in Are mit dem WM-Debüt, im Riesenslalom wurde Schmotz 19. "Freut mich", sagte Viktoria Rebensburg am Dienstag, "dass im Riesenslalom mal wieder was nachkommt."

Als Graller vor zweieinhalb Jahren die deutsche Auswahl übernahm, war Rebensburg in der Weltspitze oft eine Alleinunterhalterin. Mittlerweile, hatte Graller zuletzt beim Saisonstart in Sölden mit Recht reklamiert, sei man "ansatzweise wieder auf der Landkarte präsent" - dank Kira Weidle, die in Lake Louise erneut starke Abfahrten zeigte, dank Christina Ackermann, die im Slalom in Killington zuletzt Vierte wurde, und eben dank Schmotz. "Die fährt gerade richtig gut Ski, total unbekümmert, auch technisch sehr gut", hatte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier schon in Sölden gesagt, wo Schmotz den zweiten Lauf des Riesenslaloms verpasst hatte. Man werde in diesem Winter auch sonst ein paar neue Talente im Weltcup präsentieren, versprach Maier, aber denen müsse man auch zwei, drei Jahre Zeit gewähren. Andere Jahrgänge habe man wiederum "total verloren" - wie die 1998er-Klasse, die bei den olympischen Jugendspielen noch diverse Medaillen gewonnen hatte.

Das Niveau im großen Weltcup-Geschäft ist dann doch noch mal ein enormes, bei den Frauen sieht man das derzeit nirgendwo so sehr wie im Riesenslalom. Die Italienerin Federica Brignone sicherte sich in Courchevel ihren ersten Saisonsieg, vier Hundertstelsekunden vor der 24 Jahre alten Norwegerin Mina Fürst Holtmann und Wendy Holdener, der Schweizer Slalomkönnerin, die sich im Riesenslalom erstmals unter den ersten Drei einfand. Rebensburg und Weltmeisterin Petra Vlhova lagen wiederum nur vier Hunderstel dahinter. Und Shiffrin, die bis zuletzt so unverwüstlich wirkte wie in all den Wintern zuvor, kämpfte nach ihrem 17. Rang mit den Tränen. "Ich finde normalerweise immer einen Grund, wenn es nicht klappt", sagte sie. Aber am Dienstag fielen ihr nicht allzu viele Motive ein.

Und Rebensburg? Deren Wut über den unglücklichen vierten Platz war bald verraucht. Sie hatte sich zu Saisonbeginn zunächst nur in der Abfahrt und im Super-G so richtig wohlgefühlt, nun war ihr auch ihre Lieblingsdisziplin mal wieder gelungen, nach den Rängen 13 (Sölden) und sieben (Killington). Die kniffelige Abstimmung von Skischuh, Platte, Bindung und Ski sei ihr zuletzt wieder geglückt, sagte sie, "ich habe endlich wieder das Gefühl, dass ich wieder die Chefin bin, wenn ich da runterfahre. Jetzt macht es wieder Spaß". Und wenn man weiß, wie sehr Rebensburg sich von ihrem Gefühl beim Fahren leiten lässt, dann muss das für die nähere Zukunft nichts Schlechtes bedeuten. Für den Samstag zum Beispiel, bei der nächsten Abfahrt in Val d'Isère.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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