Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Feiertag in Lake Louise

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Ein Jahr nach seiner schweren Knieverletzung besiegt Thomas Dreßen schon wieder die gesamte Weltelite.

Von Johannes Knuth, Lake Louise/München

Wenn man in den vergangenen Tagen die Wortmeldungen aus Kanada vernahm, drängte sich der Eindruck auf, dass der Skirennfahrer Thomas Dreßen noch immer einer menschgewordenen Baustelle glich. Der Meniskus zwickte, die Vorbereitung sei bis zuletzt eh durchwachsen verlaufen, richtete er aus. Und "wie es der Teufel so will", habe er sich auch noch erkältet. Dem standen die gebirgshohen Erwartungen gegenüber, die Dreßen oft verfolgen, seitdem das Etikett des Kitzbühel-Triumphators an seinem Namen baumelt. Aber Dreßen beteuerte, dass er schon zufrieden sein könne, "wenn ich am Samstag Punkte hole", in der ersten Abfahrt dieses Winters. Ein Ertrag unter den besten 30 sollte es erst mal sein. Und falls er sich irgendwo um Platz zehn einfinden sollte, würde er sich auch ein Bier aufmachen er. Aber auch nur dann.

Nun war fürs Erste nicht bekannt, welche Folgen Dreßens erster Platz am Samstag für den Getränkekonsum hatte. Aber der Sieger machte später glaubhaft geltend, dass er mit seinem Erfolg nicht nur die Szene überrumpelt hatte, sondern auch sich selbst. "Wahnsinn, dass das so aufgegangen ist", sagte er mit kratziger Stimme. Das erste Rennen nach der Knieverletzung vor einem Jahr in Beaver Creek - und schon hatte der 26-Jährige vom SC Mittenwald wieder alle Branchengrößen abgehängt, allen voran den Italiener Dominik Paris (0,02 Sekunden zurück) und die Schweizer Beat Feuz und Carlo Janka (beide 0,26). Das war, ressort- und sportartübergreifend, schon am Samstag der Bringer des Wochenendes aus deutscher Sicht, noch vor dem Super-G am Sonntagabend; beim Sieg des Österreichers Matthias Mayer wurde er dann auch guter Zehnter.

Alpine Abfahrer wissen um die Zerbrechlichkeit ihres Tuns

Nebenbei war es Dreßens dritter Abfahrtssieg in seiner Karriere - das war zuvor noch gar keinem deutschen Skirennfahrer gelungen, nicht mal Urahnen wie Markus Wasmeier und Josef Ferstl senior. Und dass Dreßen diese Geschichte auch noch auf den Tag genau ein Jahr nach seinem schweren Sturz erschaffen hatte, führte ihn zu der Annahme, "dass dieser Sieg eigentlich fast der schönste ist". Fast schöner als sein Triumph in Kitzbühel also, als er vor knapp zwei Jahren an die Spitze der Abfahrtswelt geschossen war.

Alpine Abfahrer haben ein spezielles Gespür für derartige Feiertage, sie wissen um die Schönheit, aber auch um die Zerbrechlichkeit ihres Tuns: Ein Flüchtigkeitsfehler, schon zerbröckelt alles wieder, die Form, die unmittelbare Zukunft, die eben noch so schön vor einem lag. Dreßen erlebte das vor einem Jahr: Er war fabelhaft gut in Form, steuerte im Schneetreiben von Beaver Creek dann etwas zu optimistisch aus dem Steilhang hinaus - Kreuzband, Innenband, Innen- und Außenmeniskus, Knorpel, die linke Schulter, "alles war im Arsch", erinnerte er sich zuletzt. Auch wenn das in seinem Idiom ("Kreuzbanderl und Innenbanderl") eher so klang, als rede er über einen leichten Winterschnupfen. Er schaute sich den Sturz damals jedenfalls nur einmal an, am selben Tag noch - dann sollte die Sache abgehakt sein. Der Kopf heilt ja immer mit, fast nirgends ist das so wichtig wie im Abfahrtssport, wenn Athleten wie lebende Kanonenkugeln immer wieder über Autobahnen aus Eis schießen.

Aber ganz so einfach ließen sich die Erinnerungen auch nicht auslöschen. Mal schmerzte der Meniskus, mal jagte Dreßens Körper in den Abfahrtstrainings wieder über Wellen, Kurven und Sprünge, doch der Kopf war für diese Hatz noch nicht bereit. "Ich war so inkonstant, was Technik und Zeiten angeht", erinnerte er sich am Wochenende, die Skepsis vor seinem Wiedereinstieg in den Weltcup war da schon berechtigt. Aber mei, sagte Dreßen zuletzt oft, es gebe ja Schlimmeres, und wenn man die Schicksalsschläge in seiner Vita kennt, ist das keine hohle Phrase. Und mei, natürlich verlief die Vorbereitung bis zuletzt zäh, aber so dimmte Dreßen auch die Erwartungen herunter - und fand so zu alter Leichtigkeit zurück. Als er am Samstag zum Start rutschte, habe er den Betreuern gesagt: "Jetzt gfrei i mi wieder aufs Rennen, oder? Lassen wir's krachen!"

Das ist mittlerweile eben auch eine von Dreßens Kernkompetenzen: dass er als halbe Baustelle auf Skiern schneller sein kann als die standhaftere Konkurrenz. Er hatte einst schon als Junior WM-Silber in der Abfahrt gewonnen, aber seine Fahrweise war noch "mit viel Risiko verbunden", wie der deutsche Cheftrainer Christian Schwaiger einmal sagte. Erst als sie Dreßens Kurventechnik stabilisierten, wuchs daraus Vertrauen und Sicherheit. Die Trainer ließen ihn selbst bei seinem Meisterstück in Kitzbühel mit gedrosseltem Motor fahren - man wolle an Dreßens gewaltiger Begabung ja noch ein paar Jahre lang Freude haben, sagten sie. In Lake Louise profitierte er nun auch davon, dass seine Skier auf dem trockenen Schnee prächtig liefen. Aber er trug die Geschwindigkeit eben auch so sauber durch den Kurs wie kein anderer, mit diesem Gespür, wann er der Ideallinie folgen muss und wann nicht. Das können nicht viele, schon gar nicht mit 26 Jahren.

Die erste Saison nach Felix Neureuthers Rücktritt hatte zäh begonnen für den Deutschen Skiverband, Viktoria Rebensburg wurde am Samstag im Riesenslalom in Killington Siebte, aber jetzt? Josef Ferstl (14.) und der aus Österreich zum DSV gewechselte Romed Baumann (15.) überzeugten am Samstag ebenfalls, und Dreßen, mei, der befand amüsiert: "Ich glaube, wir können uns jetzt mal sicher sein, dass die Form passt." Aber es gebe noch immer viel zu tun, fügte er an, und für seine Comeback-Saison, da "hab i mir ganz ehrlich überhaupts nix vorg'nomma".

Das hatte vor Lake Louise ja auch ganz gut geklappt.

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SZ vom 02.12.2019
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