Ski alpin:Fast schon kitschig

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Perfekt taktiert: Thomas Dreßen wählte die Startnummer 1 – und setzte gleich eine Zeit, die kein Konkurrent mehr unterbieten konnte.

(Foto: imago images/Sammy Minkoff)

In Kitzbühel noch eine "gscheite Watschn" kassiert, nun der Abfahrtssieg in Garmisch-Partenkirchen: Thomas Dreßen glänzt mit Tugenden, die an Markus Wasmeier erinnern - der ihm Großes prophezeit.

Von Johannes Knuth, Garmisch-Partenkirchen

Da standen sie nun, die Gegenwart und Historie des deutschen Alpinsports, und lagen sich in den Armen: Thomas Dreßen, der Sieger der Kandahar-Abfahrt am vergangenen Wochenende, und Markus Wasmeier, der vor 28 Jahren als erster und bis vor Kurzem letzter Deutscher an selbiger Stelle triumphiert hatte - und der nun die Laudatio auf seinen Nachfolger halten sollte. Auch im Skisport kommt ja selten etwas weg.

Schulter an Schulter standen sie also auf einer Bühne im Pressezelt und beschlossen dann, ein Hohelied auf den jeweils anderen anzustimmen. "Vom Erfolg her weiß man ja, was er alles gewonnen hat", sagte Dreßen über Wasmeier, aber da sei auch das Menschliche. Wasmeier habe ihn etwa vor rund einem Jahr unangekündigt im Krankenhaus besucht, als Dreßen sich von seiner schweren Knieverletzung erholte. Wasmeier erinnerte wiederum daran, dass er nun mal wisse, wie sich ein Athlet in solchen Phasen fühle: wenn sich die Schulterklopfer von einst nicht mehr blicken lassen. Und wie er so in Plauderlaune war, pries der 56-Jährige nicht nur Dreßens Fertigkeiten ("scho a wuider Hund"), er hob ihn kraft seines Amtes als Skilegende gleich in den Stand einer ebensolchen in spe. "Er löst mich jetzt in allen Dingen ab", sagte Wasmeier, der Doppel-Olympiasieger von 1994, irgendwann "kimmt dann noch Olympia". Als könne Dreßen so selbstverständlich Erfolge aneinanderreihen, wie Claude Monet einst Wasserlilien malte.

Bis zu olympischen Meriten ist es noch ein weiter Weg für den 26-Jährigen vom SC Mittenwald, aber Historie, Gegenwart und Zukunft bündelten sich am Wochenende in Garmisch-Partenkirchen schon mal prächtig. Dreßen sicherte sich seinen vierten Weltcupsieg, den zweiten dieses Winters bereits nach Lake Louise, diesmal hauchzart vor dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde (0,16 Sekunden zurück) und dem Franzosen Johan Clarey (0,17). 8000 Zuschauer veranstalteten am Samstag ein kleines Volksfest; sie ließen nicht nur den Sieger hochleben, sondern auch fünf weitere Deutsche unter den besten 30 sowie den Italiener Peter Fill, der seinen 355. und letzten Weltcup bestritt. So ein Emotionsfeuerwerk schadet auch nicht, wenn man sich wie Garmisch gerade um die Ausrichtung der alpinen Ski-WM 2025 bemüht, die im Mai vergeben wird. "Fast schon zu kitschig" sei das alles, scherzte Wolfgang Maier, der Alpindirektor im Deutschen Skiverband. Aber wer 28 Jahre auf einen Heimsieg wartet, hält auch das gerade noch aus.

Thomas Dreßen erspäht bei der Pisteninspektion Linien, die nicht viele erkennen

"Es war immer ein Traum, dass ich hier mal gewinne", sagte Dreßen, aber "dass das heuer schon funktioniert, ist natürlich der Wahnsinn". Er meinte: in seiner Comeback-Saison und nur eine Woche nach dem verpatzten Auftritt in Kitzbühel, wo er 17. im Super-G und 26. in der schweren Streif-Abfahrt geworden war. Damals hatte DSV-Cheftrainer Christian Schwaiger noch gesagt: "Ich glaube, dass die Entscheidung des Skimodells für diese Abfahrt und Verhältnisse nicht gut war." Dreßen habe sich ja schon im Training in Schwierigkeiten verheddert und vor dem Rennen dann "nur minimale Dinge" an der Materialabstimmung vorgenommen. Manchmal, sagte Schwaiger, "muss man ein bisschen mehr ins Risiko gehen".

Umso beachtlicher der Lernfortschritt in Garmisch. Dreßen probierte am Freitag, im einzigen Abfahrtstraining, ein Skimodell, das er zuletzt im vergangenen Herbst getestet hatte, in der Vorbereitung. Das habe ihm aber gleich wieder "ganz gut getaugt", sagt er. Später, bei der Startnummernvergabe, griff Dreßen zur Nummer 1, obwohl noch höhere Ziffern verfügbar waren. Die Besten wagen sich fast nie als Erste ins Rennen, sie studieren lieber zwei, drei Fahrten der Mitbewerber; je nach Wetter fungiert der Erste auch mal als Schneepflug. Aber für den Samstag waren nun Sonne und phasenweise zweistellige Plusgrade vorhergesagt - da würde vielleicht sogar die schattige Kandahar nach den ersten Läufern aufweichen.

In Wahrheit hielt die Piste dann auch bei Plusgraden prächtig, aber Dreßen spielte seinen Plan so oder so aus. Er wusste, dass er als erster Starter eine noch unbefleckte Piste vorfinden würde, und auf dieser konnte er eine "extrem runde" Linie in den Zielhang zeichnen, die er sich im Training beim Amerikaner Travis Ganong abgeschaut hatte. Er holte vor den Toren etwas weiter aus, war mit dem Schwung dafür früher fertig und ließ die Ski plan übers Eis gleiten, wo andere sich später noch um die Kurven zwängten oder über die Spurrillen der Vorfahrer ratterten. Das sei eben eine Fertigkeit, "über die nur ganz wenige Abfahrer in der Welt verfügen", sagte Sportdirektor Maier: dass Dreßen bei der Pisteninspektion eine Linie erspähe, die nicht viele erkennen - und die dann verblüffend oft in die Realität überführe.

Es ist wahrhaftig erstaunlich, wie dieser 26-Jährige immer wieder einen Sport zähmt, in dem die Ü-30-Altersklasse am stärksten ist. Oder wie er sich eine Woche nach einer "gscheiten Watschn" (Cheftrainer Schwaiger) darauf besinnt, nicht alles so streng und perfekt bestreiten zu wollen wie zuletzt in Kitzbühel, wie Dreßen nun erzählte - und dafür in seine alte Lockerheit schlüpfte, vor dem Start und auch sonst "a bissel a Gaudi" hatte. Als könne man das einfach anknipsen wie einen Lichtschalter. Dreßen erinnerte freilich daran, dass es nicht immer so unbeschwert in ihm aussehe. Ende Dezember war sein Knie so angeschwollen, dass er eine Abfahrt in Bormio ausließ; sein Physiotherapeut, den ihm sein Sponsor Red Bull bereitgestellt hat, habe über Silvester und Neujahr Extraschichten eingelegt. Etiketten wie "wuider Hund" verstellen manchmal die Sicht darauf, dass sie in Dreßens Umfeld längst nicht alles in den Dienst der Gegenwart stellen, sie denken langfristiger.

"Thomas ist der Mann des Tages und der Zukunft", bekräftigte Josef Ferstl feierlich, der am Samstag als Zwölfter zweitbester Deutscher war und auch noch ein paar Winter vor sich hat. Sollte Garmisch-Partenkirchen die WM 2025 erhalten, würde er jedenfalls noch einmal "die Arschbacken zammenkneifen und drauf hinarbeiten", sagte der 31-Jährige. Dreßen wäre 2025 ohnehin im besten Abfahreralter, mit dann 31. Fast schon kitschige Aussichten.

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