Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Endlich Schneekönig

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Linus Straßer musste einige harte Winter auf seinen ersten Slalom-Sieg im Weltcup warten. Abhilfe schafften ein Plan seines Cheftrainers - und die Rückkehr zu alter Leichtigkeit.

Von Johannes Knuth, München

Am Tag darauf saß Linus Straßer schon wieder im Flugzeug, mit einer Chartermaschine des Ski-Weltverbandes ging es von Zagreb Richtung Adelboden, wo ab diesem Freitag schon wieder zwei Riesenslaloms und ein Slalom anstehen. Aber ein wenig hatte der 28-Jährige seinen Triumph am Abend zuvor schon noch genossen. Marco Schwarz und Manuel Feller, die Zweit- und Drittplatzierten aus Österreich, hatten Straßer einen schwarzen Mantel angelegt und eine Krone aufgesetzt, dann nahm er auf dem Thron Platz, auf dem sie in Zagreb ihren Slalom-Sieger präsentieren, den "Snow King". Ab und zu schienen seine feuchten Augen ein wenig melancholisch in die Ferne zu schweifen.

Damit hatten sie im Deutschen Skiverband (DSV) dann doch nicht so rasch gerechnet: dass Straßer nach seinem hochseriösen Saisonstart zwei derart flotte Läufe in den weichen Schnee am Zagreber Bärenberg malen würde, zu schnell für die versammelte Weltelite. Es war Straßers allererster Weltcup-Erfolg im traditionsreichen Slalom, er war diesem Erfolg einige Winter hinterhergejagt, und er war es auch, der in Zagreb das Leitmotiv vorgab: "Wenn man es unbedingt will, passiert es nicht", sagt er, "und wenn man es passieren lässt, dann passiert es auch." Der Österreicher Mathias Berthold, bis vor zwei Jahren Straßers Cheftrainer, assistierte in einer kleinen Grußbotschaft in den sozialen Medien: "Lange Anlauf geholt und jetzt voll durchgezogen!"

Begonnen hatte dieser Anlauf vor sechs Jahren, in Straßers erstem Winter in der alpinen Königsklasse. Dieser Jungspund vom TSV 1860 München kannte nur den Weg vieler forscher Debütanten, nämlich aufwärts, Stil und Auftreten erinnerten ein wenig an den jungen Neureuther, nur mit blonden Locken. Platz fünf im Slalom von Schladming war der vorläufige Höhepunkt, der DSV nominierte ihn für die WM in Beaver Creek, Fritz Dopfer gewann dort Silber im Slalom, Neureuther Bronze, Straßer wurde Zehnter - "da meint man, das geht einfach so weiter", hat er sich später erinnert. Stattdessen wurde er "ein bisschen schludrig" und lernte es auf die harte Tour: dass man sich jedes Rennen neu verdienen muss, im Training, bei der Abstimmung der Ski auf die ständig wechselnden Bedingungen.

Straßer wurde eine Weile nur noch 26., 40., oder kam gar nicht ins Ziel. Er arbeitete gewissenhafter, er tüftelte, er gewann 2017 seinen ersten Weltcup, ein Parallelevent in Stockholm, aber in vielen Rennen war es oft eine Kleinigkeit, "die wieder alles über den Haufen schmeißt", wie er damals erzählte. Das einst so starke deutsche Technik-Team war auf einmal vor allem mit sich selbst beschäftigt, und Straßer stellte fest: "Man kann sich als Leistungssportler mit seinem Kopf schon in dumme Dinge reinmanövrieren - und dann funktioniert irgendwann gar nichts mehr." Zum Beispiel, dass er sich nur noch an Resultaten maß, oder dem Getuschel, wann liefert der Straßer mal wieder? Nur: "Es nützt nichts", sagt Christian Schwaiger am Tag nach Straßers Erfolg am Telefon, "wenn du immer nur mit dem Kopf durch die Wand marschierst."

Schwaiger ist seit zwei Jahren Cheftrainer der deutschen Männer, wo er war, war meist der Erfolg, ob bei den deutschen Frauen, den deutschen Abfahrern, sogar bei den Briten. Er steht gerne am Hang, nah an den Athleten, und wenn es ein Problem gibt, hat er einmal gesagt, "habe ich immer gewusst, wie ich sie zurückbringe". Bei Straßer sah das vor, schnell zu sein, aber auch anzukommen - der ewige Balanceakt im Slalom, in dem die Tore so schnell auf die Fahrer zufliegen, dass oft das Unterbewusstsein Regie führt. Schwaiger aktivierte also seinen bewährten Stufenplan: Erst die Hausaufgaben erledigen, die Skitechnik nämlich, die bei allen Bedingungen erprobt gehört, im Flachen, Steilen, auf griffigem, eisigem und weichem Geläuf - da habe es Nachholbedarf gegeben. Zweitens: "Wenn man technisch sauber fährt, kommt das Selbstvertrauen automatisch - und dann eröffnen sich ganz andere Grenzen." Drittens: Wer sich einen derart hohen Grundspeed antrainiert, muss im Rennen nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand. Vor zwei Jahren, sagt Schwaiger, wäre Straßer in Zagreb "nie im Leben" so clever gefahren, aber jetzt: Statt stur auf die Tore zuzustürmen, suchte er die Fahrrinnen, die sich in den weichen Schnee gegraben hatten, und machte dort viel Tempo. So, wie es ihm ja liegt, dem "Instinktfahrer" (Straßer über Straßer), der schon früher am liebsten über die Buckel oder durch den Tiefschnee preschte.

Die größte Prüfung wartet freilich erst noch

Manchmal, sagt Schwaiger, habe das Team um Bernd Brunner, den leitenden Technik-Coach, Straßer von der Tauglichkeit dieses Plans, nun ja, sanft überzeugen müssen. Aber letztlich hätten sich beide Seiten die Fortschritte "sehr akribisch erarbeitet". Straßer entwickele sich gerade überhaupt zu einem Leader, sagt Schwaiger, "da kann sich jeder viel abschauen von der Art, wie er arbeitet"; er gewähre den Teamkollegen auch immer bereitwillig Hilfe. Straßer weiß ja selbst, wie das ist: wenn es mal nicht so läuft.

Die größte Prüfung wartet freilich erst noch: die Lockerheit zu konservieren, jetzt, da die Erwartungen in die Höhe schnellen und die WM im Februar näher rückt. Allzu viele Hoffnungsträger haben sie gerade nicht im DSV; nach Thomas Dreßen fällt nun auch Stefan Luitz mit einer Oberschenkelverletzung für vier Wochen aus. Auch Straßers Knieverletzung, sagt Schwaiger, die ihn in der Vorbereitung drei Monate in den Krankenstand versetzt hatte, sei noch nicht ganz ausgeheilt. Wobei Straßer nach seinem Coup in Zagreb sehr gefasst klang: Die Dichte im Weltcup sei "unglaublich, ich werde mein Bestes geben, alles andere kann ich eh nicht beeinflussen". Das klang auch nicht so, als wähne er sich nach seinem langen Anlauf bereits am Ziel.

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