Ski alpin:Einer, der niemanden kalt ließ

ALPINE SKIING - OESV, giant slalom, training SOELDEN,AUSTRIA,18.OCT.19 - ALPINE SKIING - OESV, Oesterreichischer Ski Ve

Meister der Neigetechnik: Ted Ligety im Oktober 2019 in Sölden.

(Foto: Andreas Pranter/Gepa/Imago)

Der Amerikaner Ted Ligety schreckte weder auf noch abseits der Piste vor Konventionen zurück, über Jahre hob er den Skirennsport auf ein neues Niveau. Bei der WM in Cortina d'Ampezzo bestreitet der 36-Jährige sein letztes Rennen.

Von Johannes Knuth, Cortina d'Ampezzo

Vor Kurzem tat der Skirennfahrer Theodore "Ted" Ligety noch einmal das, was er stets besonders gut konnte: Er trat eine Lawine los, und die hallte noch lauter als all die Schneemassen, die sie bei der WM in Cortina d'Ampezzo seit Tagen von den Hängen sprengen. "Rücktritt!", betitelte Ligety seine Botschaft in den sozialen Netzwerken, Glückwünsche rollten prompt heran; ein Reporter lud ein Foto hoch aus dem Oktober 2005, Ligetys zog damals gerade in sein drittes Jahr im Weltcup. Auf der Stirnseite seines Skihelmes, die die besten Fahrer schon mal für sechsstellige Summen an einen Sponsor vermieten, hatte er ein Klebeband gepappt und mit Filzstift seine wichtigsten Gönner erwähnt: "Mum and Dad."

Die Eltern, die die alpinen Exkursionen des Sohnes damals von Utah aus verfolgten, waren fest davon überzeugt, dass ihr Sohn bald ans College umziehen und später als Ingenieur arbeiten würde. Eines war gewiss nicht geplant: zwei Olympiasiege, fünf WM-Titel, 25 Siege im Weltcup, fünf in der Gesamtwertung im Riesenslalom; eine Disziplin, die Ligety über Jahre auf eine neue Stufe hieven sollte. Bald riefen sie ihn nur noch "Mr. Riesenslalom".

Und jetzt? "Ich möchte nicht mehr wochenlang von zu Hause fort sein", sagte der 36-Jährige in einer Medienrunde, seine Schaffenskraft lasse nach, den letzten Weltcup hat er vor fünf Jahren gewonnen. Ligetys Frau Mia brachte vor sieben Monaten Zwillinge zur Welt, Sohn Jax wird bald vier Jahre alt. Der Riesenslalom bei der WM am 19. Februar wird Ligetys letzter sein, Favoriten sind längst andere.

"Der hat uns wirklich Rätsel aufgegeben", sagt Felix Neureuther

Ligety war im Februar 2006 erstmals ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gestürmt: Die Amerikaner erwarteten damals Olympiasiege von Bode Miller, aber Miller, der große Freigeist, hielt von Titeln schon damals in etwa so viel wie die Italiener von schlechtem Essen. Er gewann nicht eine einzige Medaille, dafür stürmte Ligety zu Gold in der Kombination, mit 21 Jahren, pink umrandeter Skibrille und pinken Handschuhen.

Ein Ausrutscher? Eher die Ouvertüre zu noch Größerem. Die Riesenslaloms zerbrachen bald in zwei Welten, 2013 gewann Ligety in Sölden mit 2,75 Sekunden vor dem Italiener Manfred Moelgg, der größte Vorsprung in diesem Sport seit 34 Jahren. Die Konkurrenten studierten Videos von Ligetys Läufen, immer und immer wieder; "der hat uns wirklich Rätsel aufgegeben", sagt Felix Neureuther am Mittwoch ins Telefon, einer von Ligetys ärgsten Rivalen und engen Freunden in all den Jahren. Einmal, erinnert sich Neureuther, habe er mit Ligety in Copper Mountain trainiert, Ligety war 1,8 Sekunden schneller - pro Lauf. Neureuther solle sich aber nicht so grämen, sagte der Amerikaner: Bis dato sei niemand auch nur 2,5 Sekunden an seine Zeit herangekommen.

Wie Ligety durch die Winter carvte, schwärmt Neureuther, "das hatte man damals nicht für möglich gehalten". Er fuhr weitere Wege, presste seine Hüfte dafür enger an den Hang, die Skier immer auf der Kante, nahezu ruckelfrei. So beschleunigte er bei jedem Schwung, selbst auf den steilsten Hängen, dabei sei Ligety oft nicht mal mit voller Kraft gefahren, sagt Neureuther. 2013, bei der WM in Schladming, gewann er im Riesenslalom, im Super-G und in der Kombination. Am meisten aber, sagt Neureuther, habe ihn beeindruckt, wie Ligety mehrmals die Ausrüster wechselte, von Völkl zu Rossignol und Head - die Dominanz bröckelte nicht, wie bei einem Formel-1-Piloten, der ein Auto besser macht, indem er sich einfach hineinsetzt. Das Herz fürs Tüfteln, das in die Ingenieurslaufbahn fließen sollte, lebte Ligety nun eben im Sport aus, er stimmte Skier, Bindung, Platte und Schuhe so lange aufeinander ab, bis er dem Rest um Sekunden davonpreschte. Ein Geschäftsmodell, das der Österreicher Marcel Hirscher später perfektionierte.

Ligety rüttelte auch abseits der Piste an vielen Traditionen, als er etwa eine eigene Ausrüsterlinie gründete, weil er die Mode der Konkurrenz für "super idiotisch" hielt. Als der Ski-Weltverband (Fis) die Radien der Riesenslalomskier veränderte - ohne Sinn und Rücksprache mit den Fahrern, wie Ligety fand - legte er sich öffentlich mit den Offiziellen an. Die Fis nahm die Reform später zurück, das Verletzungsrisiko war nicht wie erhofft gesunken. Wobei Ligety längst da ertüftelt hatte, wie er die umstrittenen Skier noch besser steuern konnte als alle anderen. Manche Kollegen fanden, dass der Amerikaner weniger die Interessen aller vertrat, sondern vor allem sich selbst - eine These, die Ligety vor zwei Jahren im Gespräch vehement bestritt. Er fuhr damals ab und zu auf der wiederbelebten US-Pro-Tour, einer Rennserie, die dem Weltcup vor 30 Jahren schon Konkurrenz gemacht hatte. "Wenn es nur den Weltcup gibt, muss niemand auf die Fahrer hören", sagte Ligety, "da wir jetzt eine Wahl haben, setzt das die Verbände unter Druck, sich zu verändern."

Pentaphoto

Enge Rivalen - und Freunde: Ted Ligety (rechts) und Felix Neureuther beim Weltcup-Finale 2014 in Lenzerheide.

(Foto: Pentaphoto/Nordica/oh)

Viele Sportlergrößen stilisieren sich ja früher oder später in ihren Karrieren, Oliver Kahn starrte an den Reportern vorbei, wenn er sprach, Robert Harting zerriss seine Trikots, Usain Bolt machte den Sternendeuter. Ligety blieb Ligety, er wollte Skifahren und Spaß haben, mehr nicht. Es war schon eine große Geschichte, wenn er bei den Neureuthers übernachtete und Rosi Mittermaier dem Ted dann die Unterhosen bügelte. Bei allen Kontroversen und Provokationen: "Er war für den Skisport schon sehr wichtig", sagt Neureuther; Ligety ließ niemanden kalt, allzu viele Vertreter dieser Spezies befinden sich heute nicht mehr in der freien Sportlerwildbahn. 2014 gewann er in Sotschi im Riesenslalom sein zweites Olympiagold, das hat bei den amerikanischen Alpinen bislang nur Mikaela Shiffrin geschafft. Der Fortschritt, den er stets befeuert hatte, wandte sich nun immer häufiger gegen ihn: Konkurrenten wie Hirscher preschten noch direkter auf die Tore zu, mit noch mehr Kraft - Kraft, die Ligety nicht mehr hatte, nach diversen Operationen an Knien und Rücken.

Er wollte der Ski-Szene schon noch erhalten bleiben, sagte Ligety jetzt, vor allem aber wolle er jetzt mit seiner Familie Spaß am Berg haben. Jetzt als Unterstützer seiner eigenen Kinder.

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