Ski alpin:Ein Engländer!

Alpine skiing - FIS World Cup alpine skiing - Men's slalom

"Ich bin sicher, niemand hat einen sechsten Platz von einem Briten erwartet": Auch Dave Ryding selbst staunte über seinen Auftritt in Levi.

(Foto: Lehtikuva/Reuters)

Eine Karriere, die auf Matten begann, findet einen erstaunlichen Höhepunkt: Dave Ryding ist nun ein Top-Ten-Skifahrer. Und das als Angehöriger einer Nation, die mit Alpinsport wenig am Hut hat.

Von Gerald Kleffmann

Dort, wo Dave Ryding, 29, das Skifahren lernte, ist eigentlich nie Schnee. Der Hang, auf dem er als sechsjähriger Junge die ersten Schwünge wagte, sieht trist aus, wie eine Fotogalerie im Internet nicht verleugnen kann. Aneinander geklebte Kunststoffmatten dienen im Pendle Ski Club als Untergrund. Der Ausblick bietet keine tiefen oder wildromantischen Täler, sondern eine eher grünbraune Ebene mit einigen Erhebungen wie im Teutoburger Wald.

Dave Ryding, der immer noch in der Nähe seines Geburtsorts Bretherton zwischen Blackpool und Blackburn lebt, ließ sich davon nicht abschrecken. Mit acht Jahren nahm er erstmals an einem Rennen in seiner schneelosen Heimat teil. So begann die Karriere jenes Mannes, den sie zu Hause Rocket Ryding rufen, weil er wie eine Rakete fahre. Am vergangenen Sonntag konnte sich die alpine Skiwelt davon überzeugen, dass das nicht geflunkert ist. Ryding wurde Sechster, im offiziell wichtigen Weltcup-Slalom in Levi, Finnland. Auf echtem Schnee. Mit renommierten Gegnern. Der fünfmalige Gesamt-Weltcupsieger Marcel Hirscher, Österreichs Hero, gewann. Felix Neureuther, Deutschlands Hero, wurde Vierter. Mit 16 Hundertstel Sekunden Vorsprung - auf die Rakete.

Der beste Brite seit Alain Baxter

Dave Rydings Coup ist zwar keine Geschichte, die aus dem Nichts kommt. Er fährt schon seit Jahren ernsthaft und konkurrenzfähig mit. Aber seine Herkunft macht ihn zu einem Exoten im Skitross. Bislang konnte er respektable hintere Plätze erzielen, aber nie einen Top-Ten-Rang. "Ich bin hocherfreut", sagte Ryding in Levi der BBC selbst staunend, "ich bin sicher, niemand hat einen sechsten Platz von einem Briten erwartet." Weil die internationalen Erfolge seines Verbandes nicht allzu zahlreich sind in dieser sehr unenglischen Sportart, ließ sich seine Bestleistung problemlos und schnell einordnen.

Ryding ist der beste Brite seit dem vierten Platz von Alain Baxter beim Slalom in Åre vor 15 Jahren; der Schotte ging seinerzeit durch seine wegen eines positiven Dopingtest nachträglich aberkannte Bronzemedaille bei den Winterspielen in Salt Lake City unrühmlich in die Historie ein. Der letzte Insel-Vertreter, der ähnlich weit vorne landete, war der Schotte Finlay Mickel als Zehnter beim Lauberhornrennen in Wengen 2006. Bester Brite jemals war Konrad Bartelski als Zweiter in Gröden - vor 35 Jahren. Legendär damals war der französische Fernsehkommentator, der rief: "Ce n'est pas possible! C'est un anglais!" - Das ist nicht möglich! Das ist ein Engländer! Wie beinhart britische Fahrer zu sich selbst sein können, belegte Bartelski. 1975 war er bei der Abfahrt in Megève schwer gestürzt, mit einer Gehirnerschütterung im Hubschrauber abtransportiert worden. Vier Wochen später fuhr er wieder.

Einer von zwei Athleten im britischen Ski-Team

Dass England verständlicherweise nicht die Hochburg des Skisports ist, drücken auch zwei Fakten aus: Bei den Winterspielen in Sotschi war Ryding nur einer von zwei britischen Athleten, die das Ski-Team bildeten. Und laut der BBC muss Ryding ohne Unterstützung der ansonsten großzügig angelegten britischen Sportförderung auskommen. Offiziell fährt er natürlich für den Verband British Ski & Snowboard (BSS), der arbeitet wie die großen Verbände, nur ist alles viele Nummern kleiner. Aber Ryding hat auch Sponsoren, Partnerschaften mit Skigebieten, in denen er mit seinen Coaches Tristan Glasse-Davies (Head Coach) und Alasdair Morton (Techniktrainer) üben kann. Bis zum Alter von 15 leitete ihn sein Vater an.

Ryding ist quasi in sein Schicksal gerutscht, vieles hat sich automatisch ergeben. Sein erstes Rennen auf Schnee bestritt er erst mit zwölf Jahren. Vor allem seine Begeisterung und sein Arbeitsethos haben ihm letztlich dorthin gebracht, wo er jetzt ist. Jahr für Jahr fuhr er mit den Eltern Carl und Shirley sowie seiner Schwester Joanna nach Samoëns in Frankreich zum Skifahren, sein Talent wurde durch das viele Fahren in Können verwandelt. Er fiel auf. Er wurde im Schulteam aufgenommen, dann im nationalen Team. Seine Entwicklungsstationen ähneln denen der prominenten Fahrer aus den Alpen. Er ist aber doch der, der auf Matten begann. Die Disziplin Slalom lag nahe, weil nur sie überwiegend auf diesem Untergrund trainiert werden konnte. Die Hänge sind zu kurz.

Mentale Stärke brachte Ryding unter die Top 10

Ryding kämpfte sich tatsächlich über Europa-Cup-Rennen bis zur Weltcup-Elite hoch, doch es schien immer eine magische Grenzen zu geben, ein Leistungslimit. Heute führt er das darauf zurück, dass er zu spät professionell eingestiegen sei. Umso faszinierender, dass er sich in der Szene festgebissen hat und seine Limits regelmäßig nach oben schiebt. 2010 war er 27. im olympischen Slalom von Vancouver (und 47. im Riesenslalom), 2014 bereits 17. in Sotschi. Sein nächste Ziele sind gesteckt: Die WM im kommenden Februar in St. Moritz wären seine fünften Welttitelkämpfe. Die Winterspiele in Pyeongchang strebt er auch an, klar.

Der wichtigste Unterschied, warum er in seinem 39. Weltcup-Rennen so weit vorne landete, war seine mentale Stärke. So sieht er es selbst. Als Ryding, mit 1,80 Metern mit einer kompakten und für den Slalom idealen Statur gesegnet, nach dem ersten Durchgang Vierter war, ließ er sich nicht einschüchtern. Er habe sich auf sich fokussiert, schilderte er, höchstens an einen Top-15-Platz gedacht. Es wurde einer, aber ein außergewöhnlicher. Eine kurze Pause wolle er jetzt machen, dann wieder hart trainieren - "ansonsten kassiere ich beim nächsten Rennen einen Tritt in den Hintern", schrieb er im Internet. Genau diesen möchte er ja lieber den Konkurrenten verpassen. Am 11. Dezember in Val d'Isère bietet sich der Rakete die nächste Chance, durchzustarten.

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