Ski alpin:Dicke Luft

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Giant Slalom

Offenbar abgelenkt: Stefan Luitz belegte im Riesenslalom von Alta Badia einen enttäuschenden 20. Platz.

(Foto: Tom Pennington/Getty Images/AFP)

Die Sauerstoff-Affäre um Stefan Luitz schlägt dem Skirennfahrer in Alta Badia sicht- und hörbar aufs Gemüt.

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth, Alta Badia

Mit der Startnummer eins hatte Stefan Luitz den Riesenslalom am Sonntagmorgen eröffnet; die Eins wird nur den besten Skirennfahrern zugelost, sie können sich so auf einer noch unbefleckten Piste austoben. Aber Luitz konnte mit diesem Privileg diesmal in etwa so viel anfangen wie ein Zauberer, der einfache Kartentricks verlernt hat.

Er navigierte erst solide, dann völlig erratisch über die steile Piste. Später sagte er vor Kameras, dass er noch ein wenig verunsichert gewesen sei, vom Vorjahr, als auf der Gran Risa sein Kreuzbandriss gerissen war. "Das war nicht mein bestes Skifahren", sagte er, "aber woran das liegen könnte, haben wir jetzt genug diskutiert." Dann zog er sich seine Sonnenbrille ins Gesicht, schimpfte, als er im Gespräch mit seiner Freundin fotografiert wurde, und zog von dannen mit einer Miene, die in etwa so eisig war wie der Rennhang. Die Sonne war gerade hinter den Wolken verschwunden.

Der Österreicher Marcel Hirscher hat am Ende den Riesenslalom von Alta Badia gewonnen, er legte unwirkliche 2,5 Sekunden zwischen sich und den ersten Verfolger. Luitz hatte als 20. und bester Deutscher sogar 4,31 Sekunden Hypothek, doch das war schon zur Nebensache geworden, bevor es sich ereignet hatte. Sportdirektoren, Trainer, Generalsekretärinnen, Athleten, sie alle wurden am Rande der Weltcups in Südtirol zu Luitz' Sieg vor zwei Wochen in Beaver Creek vernommen, bei dem es längst nicht mehr um Tränen und Champagner geht, sondern um Sauerstoffflaschen und Anti-Doping-Regeln. Der Weltverband Fis gab am Wochenende bekannt, dass er Luitz den Sieg wieder abnehmen will; der 26-Jährige hatte am Renntag künstlichen Sauerstoff inhaliert, unerlaubterweise. Luitz hat nun bis zum 26. Dezember Zeit, die Strafe anzunehmen oder anzufechten. Denkbar ist beides, auch eine lange, juristische Schussfahrt ins Ungewisse.

Angefangen hatte alles in Beaver Creek, beim Riesenslalom auf rund 3000 Metern Höhe. Viele Skiprofis nutzen künstlichen Sauerstoff in derartigen Lagen, zur Prophylaxe, auch wenn die Wirkung umstritten ist. Jenseits des Wettkampfs ist diese Hilfe jedenfalls erlaubt. Der deutsche Männer-Cheftrainer Mathias Berthold sagte nun am Samstag, eine Firma habe den Sauerstoff in Beaver Creek im Teamhotel angeliefert, ein Betreuer habe sie zum Rennen mitgenommen - im Glauben, die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) habe den Gebrauch auch dort gestattet. Das stimmt auch, Berthold und Alpindirektor Wolfgang Maier waren laut eigenen Angaben dennoch verunsichert, als sie die Flasche am Hang sahen. Man habe das Regelwerk abklopfen wollen, die Internetverbindung sei aber schlecht gewesen. Sie holten Rat bei drei Ärzten ein - alles okay, hieß es dort. Jedoch hatten alle übersehen, dass die Fis die künstliche Beatmung im Wettkampf ganz eindeutig untersagt. Klar, man hätte sich dieses Wissen schon selbst verschaffen müssen, sagt Berthold, er hätte schon deshalb skeptisch sein müssen, da außer den Deutschen niemand Sauerstoff zum Wettkampf karrte. So spüre er vor allem eines: "Ärger über die eigene Blödheit". Blödheit?

Ganz so eindeutig erscheint die Sache mittlerweile nicht mehr. Das geht schon mit der Frage los, wie es sein kann, dass die Wada etwas erlaubt, was die Fis verbietet. Gemäß Punkt 23.2 des Wada-Codes verpflichten sich die Unterzeichner, wie die Fis, dass sie die zentralen Artikel "ohne wesentliche Änderungen" umsetzen. Dazu gehört auch die Liste mit "verbotenen Substanzen und Methoden", auf der die Sauerstoff-Inhalation ausdrücklich erlaubt ist. Zugleich gibt es aber einen Fragenkatalog der Wada, in dem es wiederum heißt: Verbände könnten die Sauerstoff-Inhalation in ihren Regeln verbieten. Das müssten die Athleten auf eigene Faust prüfen. Die Fis verweist auf Anfrage just darauf.

Dann ist da die Frage, wie Luitz' Verstoß zu werten ist. Als Doping? Regelbruch? Ein bisschen Doping? Die Wada sagt, der Einsatz der Sauerstoffmaske falle nicht unters Anti-Doping-Reglement. Den Fachverbänden stünde es aber frei, die eigenen - Obacht - "Disziplinarordnungen" zu ergänzen, solange das nicht in Konflikt mit dem Wada-Code stehe. Blöd nur, dass der Sauerstoff-Passus, der laut Wada ja gar kein Anti-Doping-Bruch ist, bei der Fis in den "Anti-Doping-Regeln" verankert ist. Fis-Generalsekretärin Sarah Lewis hielt das in Gröden dennoch nicht davon ab, Luitz bloß einen "Verstoß gegen das Reglement" zu attestieren, mehr nicht. Die Wada sagt auf erneute Nachfrage: Man werde die Anti-Doping-Regeln der Fis "überprüfen" - und sicherstellen, dass sie dem Wada-Code entsprechen.

Wie leicht man sich in diesem Paragrafendickicht verheddern kann, zeigt schon der Umstand, dass sich der DSV in Beaver Creek auch im Medizinischen Komitee der Fis erkundigt hatte. Das bestätigt Hubert Hörterer, der deutsche Vorsitzende, auf Anfrage. Sein Komitee berate die Fis zwar nur ab und an in Anti-Doping-Fragen, sagte Hörterer; er und einige Mitglieder des Komitees hätten von dem Sauerstoff-Passus aber gewusst. Nur angeblich das Mitglied nicht, an das der DSV geriet.

Und jetzt?

Kann sein, dass die Fis Luitz am Ende nur einen Regelbruch vorwirft und den Sieg aberkennt, auch wenn die verletzte Regel in ihrem Anti-Doping-Werk verankert ist. Das würde jedenfalls den DSV milder stimmen, der eisern beteuert, nicht gedopt zu haben. Es kann aber auch sein, dass der Verband sich wehrt, auch wegen des Paragrafendschungels - wenn nötig bis zum Internationalen Sportgerichtshof Cas, wie Alpinchef Maier in Gröden andeutete.

Sicher war am Wochenende nur eines: wie sehr das Ganze Stefan Luitz aufs Gemüt schlug. Er, der von seinem Sport immer wieder zu Boden gedrückt worden war wie von einer Ozeanwelle, der in Beaver Creek dann seinen ersten Weltcup gewann, eigentlich, im ersten Riesenslalom nach seinem zweiten Kreuzbandriss. Luitz hatte am Samstag im Teamhotel bereits kurz Auskunft gegeben, er sagte, er wolle sich auf das Skifahren konzentrieren, alles andere ausblenden, solche Sachen. Später wurde er noch gefragt, was er sich zu Weihnachten wünsche, es war eine unverfängliche Frage, aber das reichte, um den Vorhang vor seinen Gedanken etwas zu lüften. Luitz lachte ein wenig bitter, dann sagte er: "Dass das alles ein gutes Ende nimmt."

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