Ski alpin:Der Panther und die Aufsteigerin

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Letzter Tanz um den Gesamtweltcup: die Saisonsieger Alexis Pinturault (links) und Petra Vlhova. (Foto: Bühner/imago; Gabriele Facciotti/AP)

Die Skirennfahrer Alexis Pinturault und Petra Vlhova stellten in ihren Karrieren bald alles in den Dienst des großen Ziels: die Besten zu sein, unbedingt. Beim Saisonfinale gewinnen der Franzose und die Slowakin erstmals den Gesamtweltcup.

Von Johannes Knuth, Lenzerheide/München

Exzellenz, hat der New Yorker einmal geschrieben, entfacht ihr eigenes Wetter. Die Rede war damals von Mikaela Shiffrin, der erfolgreichsten Skirennfahrerin der jüngeren Historie, aber die Weisheit gilt längst auch für Alexis Pinturault. Eine Begabung, die sich beizeiten dem Transzendentalen nähert, gewinnt immer die Sympathien, ganz gleich, wem die Beobachter sonst ihre Zuneigung schenken. Pinturault schleicht meist über den Schnee, wie ein Panther, so ist auch sein Spitzname. Das sieht oft langsam aus, ist aber verflixt schnell: Während andere mit ihrem Schwung kämpfen, hat der Franzose seinen schon beendet.

Es hat ein paar Jahre gedauert, aber am Wochenende, beim Saisonfinale in Lenzerheide, gab der 30-jährige Edeltechniker seiner Karriere den bislang kraftvollsten Schliff: Er erstand die große Kristallkugel für den Triumph in der Gesamtwertung, den, wie Pinturault sagt, "heiligen Gral des Skisports", dem er lange hinterhergerannt war, wie der Filmheld Indiana Jones dem biblischen Kelch. Marco Odermatt, der Schweizer Himmelsstürmer, hatten dem Panther zuletzt zwar noch mal ganz schön im Nacken gesessen, aber am Samstag erstickte Pinturault mit seinem Sieg im Riesenslalom, seinem 34. Erfolg im Weltcup, die letzten Zweifel.

Weil Odermatt dabei nur Elfter wurde, schnappte Pinturault sich sogar noch die kleine Kugel für die Riesenslalom-Wertung, auch das zum ersten Mal. Zwar hatte der Schweizer viele Punkte verloren, weil Super-G und Abfahrt in Lenzerheide zuvor dem Wetter zum Opfer gefallen waren, andererseits: Im Vorjahr hatte Pinturault schon wie der Champion ausgesehen, sechs Rennen standen noch aus, vier im Slalom und Riesenslalom, die ihm so liegen. Dann beendete Corona die Saison, der Speed-Experte Aleksander Aamodt Kilde gewann die Gesamtwertung. Am Samstag war nun also Pinturault dran, als erst dritter Franzose nach Jean-Claude Killy (1967, 68) und Luc Alphand (1997), und wie er im Ziel so zusammensackte, sprachlos, floss noch mal alles zusammen: Da kauerte dieser Athlet mit dem breiten Kreuz, der trotz seiner Exzellenz auf Skiern auch eine Zerbrechlichkeit in sich trägt, wie die L'Équipe schrieb; eine Fragilität, die ihm oft bessere Resultate verhagelte. Nun war er am Ziel einer Reise, die stets nur einem Vorhaben gehorcht hatte: der Beste zu sein.

Vlhova und Pinturault stammen aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen - heute haben sie einige Gemeinsamkeiten

Pinturault ist ein Kind des noblen Ferienortes Tarentaise in den Savoyen, der Vater führt dort ein Fünf-Sterne-Hotel, und der Sohn nutzte früh alle Möglichkeiten, die sich ihm boten: Nicht mit großen Worten, aber großem Bewegungsdrang, und mit gewaltigem Ernst. Denn Sport, diktierte der strenge Vater, betreibe man zum Gewinnen. Mit 17 war er Juniorenweltmeister im Riesenslalom, vor einem gewissen Marcel Hirscher, aber während der Österreicher dann sieben Mal den Gesamtweltcup gewann, schien Pinturault oft am gewaltigen Druck zu verzweifeln, den er sich selbst auflud. Bis auf einen WM-Titel in der Kombination stehen bei Großevents bis heute viele zweite und dritte Plätze in seiner Vita. Bei der WM in Cortina schied er, der Beste nach dem ersten Lauf, im Finale aus.

Die Wende, sagen sie in Frankreich, kam schon 2017 in St. Moritz. Pinturault gewann damals keine WM-Medaille im Einzel, er verlor kurz sogar die Lust am Sport. Kurz darauf stellte er wirklich alles in den Dienst des Erfolgs: Er zog ein Privatteam auf, mit zwei Trainern, Physiotherapeut und einer Servicekraft für die Skipräparation; teils vom Verband finanziert, teils von Sponsoren - wie Hirscher und Shiffrin. Er verlegte seinen Lebensmittelpunkt ins Salzburger Land, in die Nähe von Hirschers einstiger Trainingspiste, um dem Weltcup im Winter näher zu sein, und wenn er wie zuletzt bei der WM in der Wahlheimat trainieren wollte, chauffierte ihn ein Helikopter halt schnell dorthin. Ein letztes Puzzlestück ist ein Van, der während der Rennen neben der Piste parkt, mit Herd, Laufrad und Liege. Nicht zum Camping, wie Pinturault scherzt, sondern zur Regeneration.

Es ist auch ein weiterer Beleg, wie der Skirennsport heute funktioniert: Mit einem Graben zwischen den Besten und manchen Profis, die im Sommer Zweitjobs nachgehen, um ihre Spesen zu bezahlen. Wobei es sie noch gibt, die Aufsteigergeschichten.

Blass unter der Brille, glücklich im Herzen: Petra Vlhova und Alexis Pinturault, gezeichnet nach einem langen Weltcup-Winter. (Foto: Steiner/imago, Facciotti/AP)

Vlhovas Eltern waren nie so reich wie die Pinturaults, und der heilige Ernst, mit dem sie ihre gewaltigen Trainingsumfänge abspult, speist sich immer auch aus den Opfern, die die Familie für die Karriere der Tochter brachte. Ansonsten schlägt auch die 25-Jährige ihr Winterlager mittlerweile in den Alpen auf, in Südtirol, und auch Vlhova hat heute genug Sponsoren beisammen, um ihr eigenes Team zu unterhalten, gelenkt von Livio Magoni: Einem Italiener mit leiser Stimme, der mit allen Wassern gewaschen ist; der in diesem Winter etwa einen Lauf im Riesenslalom so schwer setzte, um Vlhovas Konkurrentinnen zu verunsichern, wie er sagte. Oder war das wieder eines seiner Psychospielchen?

Ansonsten war Magonis Plan recht einfach: Vlhova bestritt alle 31 Rennen des Winters. Kaum machbar, aber man habe einkalkuliert, dass die Athletin durch einige Tiefs schreiten werde, so der Coach. Sie habe ja schon eine WM-Goldmedaille gewonnen, 2019 im Riesenslalom. Oder auch die Slalom-Wertung im Vorjahr, die fiel diesmal an die Österreicherin Katharina Liensberger. "Der Gesamtsieg war unser großes Ziel", sagte Vlhova in Lenzerheide, noch nie hatte ein slowakischer Athlet jemals die große Kristallkugel im Alpinsport gewonnen. Und nun?

Vhlovas Reise ist noch längst nicht zu Ende, auch Shiffrin wird im Olympiawinter nicht schwächer zurückkehren - die Amerikanerin gewann nach vielen Rückschlägen zwar keine Weltcup-Wertung, bei der WM aber schon wieder vier Medaillen. Odermatt und der zuletzt verletzte Kilde werden ebenfalls schwer motiviert sein, zwei Fahrer übrigens, die nicht auf die Kraft von Privatteams setzen, sondern auf das Kollektiv der Nationalkader. Schöne Aussichten, so oder so.

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