Ski alpin:Der Hubschrauber kreist über der Kandahar

FIS Men’s Downhill

Schwer gestürzt: der US-Amerikaner Steven Nyman.

(Foto: AFP)

Bei der Abfahrt in Garmisch gerät der Sieg von Travis Ganong zur Nebensache - drei Fahrer stürzen schwer. War die Piste diesmal zu gefährlich?

Von Johannes Knuth, Garmisch-Partenkirchen

Manchmal ist der alpine Skisport schwer zu ertragen. Wenn Bänder reißen, Knochen brechen, wenn eine Abfahrt in kalte, heiße und wieder bitterkalte Momente kippt, wie am Freitag in Garmisch-Partenkirchen.

Aber aus all dem Schmerz wächst manchmal auch Schönheit, wenn auch eine ambivalente. Am Freitag konnte man sie in den Gesichtern der Besten lesen. Der Amerikaner Travis Ganong, Erster, der Norweger Kjetil Jansrud, Zweiter, und der drittplatzierte Italiener Peter Fill lächelten in die Kameras, ein wenig matt halt, und alle schienen sie erleichtert zu sein, die Prüfung auf der Kandahar hinter sich gebracht zu haben.

Drei Fahrer waren schwer gestürzt, zwei nicht mehr ohne Hilfe aufgestanden, der Franzose Valentin Giraud Moine und Ganongs Landsmann Steve Nyman. Die Abfahrten im alpinen Weltcup können Karrieren zerbeulen, sie können Karrieren aber auch auf ein neues Level heben, weil jeder Fahrer auf dem Weg dorthin durch unzählige Gefahren watet. Das ist der Pakt, den jeder unterzeichnet - auch Ganong, der am Freitag auf der Kandahar gewann, als erster Amerikaner überhaupt.

Sturz, Meniskusschaden, Hubschrauber

Es ist bislang ein holpriger Winter für die Abfahrer. Da ist zum einen die Diskussion um die neue Startreihenfolge. Die Spitzenfahrer sind jetzt länger im Fernsehen präsent, ein Fahrer aus der Weltspitze muss aber stets mit der Startnummer 1 starten und den Testpiloten geben. Die Abfahrten in Santa Caterina und Wengen fielen dem Wetter zum Opfer; letztgenannte wurde am Freitag nachgeholt, es war erst die vierte des Winters. Und die zeigte prompt die Nebenwirkungen eines Gewerbes, in dem die Fahrer mit Kräften ringen, für die sie nicht immer gemacht sind.

Die ersten Fahrer hatten sich schon vor dem Rennen abgemeldet. Christof Innerhofer war im Training mit gebrochener Wade gefahren, wie bei seinem zweiten Platz im Super-G von Kitzbühel. "Ich habe sie getapt", sagte er, als spreche er über ein Möbelstück. Am Freitag verzichtete er dann aber doch. Dafür traf es Nyman, der 34-Jährige rauschte unkontrolliert an den Kramersprung, die Piste war durch wärmere Temperaturen griffiger und im Vergleich zum Training schneller geworden. Er geriet in Rücklage - Sturz, Knieschaden, Hubschraubereinsatz. Kurz darauf verlor der Kanadier Erik Guay vor dem Seilbahnsprung die Kontrolle über seinen rechten Ski, er strampelte in der Luft, es war ein grausamer Anblick. Am Ende verhinderte Guays Airbag wohl Schlimmeres. Er fuhr mit Prellungen ins Ziel. Dann Giraud Moine, er rauschte nach dem Freien Fall ins Netz. Nach Angaben der Veranstalter kugelte er sich beide Knie aus und erlitt Bänderverletzungen. Landsmann Guillermo Fayed wurde später mit einer Knochenstauchung abtransportiert. Auch Andreas Sander, als 14. der beste Deutsche, wäre im Kramersprung beinahe verunfallt. "Ich habe gar nicht glauben können", gestand er später, "dass ich den Sprung stehe."

Und so kam die Frage auf, während sich nervöse Stille übers Ziel senkte: Hatten die Veranstalter eine sichere Piste präpariert?

Die Fahrer wurden zunächst nicht ganz handelseinig. "Es war ein schönes Rennen, am absoluten Limit war es nicht", fand Fill, der Dritte. Jansrud, der Zweite, wähnte sich indes schon "am Limit". Jede Gefahr für sich sei ertragbar gewesen, die schnellere Piste, die weiten Sprünge, "aber wenn du das alles kombinierst", sagte er, "führt ein kleiner Fehler zu großen Konsequenzen". Die Organisatoren, fand er, sollten zumindest den Kramersprung entschärfen, für die Abfahrt am Samstag (12 Uhr). Ganong bemängelte auch den Fahrbelag: Weil die eisige Riesenslalompiste für den Sonntag die Abfahrt kreuzte, wechselten sich Eis und weicher Schnee ab. Markus Waldner, Renndirektor des Ski-Weltverbands, widersprach: Die Fahrrinne des Riesenslaloms habe keinen Einfluss auf die Stürze gehabt, er schob sie auf Pilotenfehler. Die schwere Abfahrt auf der Streif vor einer Woche habe viel Kraft gekostet, "ich habe die Läufer mental müde erlebt", sagte er: "Die Bedingungen waren super, aber die Kandahar verzeiht nichts." Was der Kanadier Dustin Cook anders sah: "Wechselnde Bedingungen sind niemals okay", richtete er aus der Ferne aus.

Und Ganong? Der Klassenbeste stand am Freitag tief im Schatten der Debatten, er nahm es tapfer hin. Ganong ist aufgewachsen in Squaw Valley, das bekannt ist für seine Tiefschneepisten; er profitiert bis heute von dem dort erlernten Gespür für wechselhaftes Gelände, wie auf der Kandahar. Der 28-Jährige hatte sich in den vergangenen Jahren immer mal wieder in der Nähe der Podien aufgehalten, 2014 gewann er die Abfahrt in Santa Caterina, 2015 wurde er Zweiter in der WM-Abfahrt. Ansonsten fehlten oft nur Winzigkeiten zum Erfolg. Bis zum Freitag, einem seiner schönsten Tage in diesem manchmal schaurigen Theater des Abfahrtsports.

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