Ski alpin:Der gnadenlose Herr Dreßen

Ski alpin Weltcup

Durchknüppel - so nennt Thomas Dreßen die Taktik, mit der im nebeligen Gröden in tiefer Hocke auf Platz drei raste.

(Foto: Alessandro Trovati/dpa)

Als Dritter im Super-G auf der Saslong in Gröden bestätigt der Speedskifahrer sein Potenzial - der größere Test auf ihn wartet aber beim Abfahrtsklassiker.

Von Gerald Kleffmann, Gröden

Am Morgen sah es noch aus, als könnte dieser Renntag problemlos über die Bühne gehen. Der Langkofel lag zwar noch eingebettet in einem Kranz aus Nebel, aber Lücken am Himmel machten Hoffnung - welch trügerische Bergwelt! Kaum war das Super-G-Rennen in Gröden, das den Auftakt der europäischen Speedsaison im Skiweltcup der Männer darstellt, aufgenommen, wurde es unterbrochen, nach vier Startern. Zwei Deutsche waren darunter gewesen, Andreas Sanders, der Hüne aus Ennepetal, und der unverwüstliche Josef Ferstl, der hier in Südtirol schon gesiegt hatte. Nebel oberhalb der Strecke, die verkürzt worden war, um die Sicherheit an diesem Freitag zu gewährleisten, nötigten die Organisatoren zu einer ersten Pause, die Thomas Dreßen, wie er später berichtete, zu einem Ausflug nutzte. Auf den Trainerturm sei er gestiegen, mit dem Österreicher Max Franz, "wir haben ein bissl blöd dahergeredet", verriet der 26-jährige Bayer, "wir haben Spaß gehabt" - ehe er ernst machte.

Es war am Ende ein zäher Wettbewerb, noch ein zweites Mal wurde er fast eine Stunde lang unterbrochen, aber als die notwendigen 30 Starter der 64 Teilnehmer losgefahren waren, war das Rennen (das nach dem 48. Fahrer endgültig abgebrochen wurde) gültig - und der nächste Erfolg von Dreßen verbucht. Dritter wurde er mit 0,22 Sekunden Rückstand hinter dem österreichischen Filigrankurver Vincent Kriechmayr (1:13,84 Minuten) und dem norwegischen Holzfäller Kjetil Jansrud (+0,05). Der neue für die deutschen Speedfahrer zuständige Trainer Andreas Evers hatte noch am Donnerstag gesagt, er sehe in Dreßen jene Art Sportler, die "Champions" ausmache; der Österreicher kann das durchaus einschätzen, einst coachte er Größen wie Hermann Maier, Bode Miller und Beat Feuz. Der Kopf mache den Unterschied zu Mit-Fahrern aus, meinte Evers, Gnadenlosigkeit helfe - und diese strahle Dreßen, der sich als Sieger der Kitzbüheler Streif quasi unsterblich gemacht hat, aus. Was vor allem aktuell aus einem Grund bemerkenswert ist: Er war ja berufsunfähig gewesen und ein komplettes Jahr weg.

Erst am 30. November hatte er in Lake Louise sein erstes Rennen bestritten, nachdem er eine Verletzung im Knie mit diversen Rissen, erlitten bei einem Sturz in Beaver Creek 2018, überstanden hatte. Ach ja, gesiegt hatte er dann sofort, so sah sein bescheidenes Comeback aus. Auch wenn er danach die Ränge 10, 27 und 19 einfuhr, war sein Sieg ein imposantes Signal. Aber da dürfte sicher noch mehr kommen. Manchmal werden ja in kleinen unscheinbaren Begebenheiten grundlegende Wesenszüge eines Menschen sichtbar, so wie bei Dreßen in Gröden. Er hatte ein dickes Knie, einfach so. Seine Reaktion? "Das sind halt solche Tage, von denen der Arzt immer gesagt hat, dass die mal sein können, wo es einfach mal anschwillt." Nachdem er als Nummer 18 im Super-G gestartet, nach mäßiger Zwischenzeit aber dank furioser Schlusslinie aufs Podest gerast war und aufs Knie angesprochen wurde, sagte er, habe er sich gedacht: "Scheiß drauf!" Er entschuldigte sich für den Ausdruck, aber diese Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber kam aus dem Herzen. Wie seine Taktik. Im Starthaus habe er mitbekommen, dass Fahrer, "die in der Hocke gefahren sind, die ihre Position gehalten haben, Zeit aufgeholt haben". Sein Plan folglich für den zweiten Rennabschnitt: "Ich habe mir vorgenommen, einfach alles in Hocke durchzuknüppeln." Und dann hat er alles durchgeknüppelt. Punkt.

Die Hemdsärmeligkeit, mit der Dreßen sich im Weltcup zurückgemeldet hat, ist nicht gespielt, nicht zur Schau getragen, denn mit sich selbst geht er ja auch eher robust ins Gericht. Noch vor seinem Triumphrennen in Lake Louise hatte er in Copper Mountain Probe-Abfahrten unternommen, da habe er gemerkt, "dass ich vom Kopf her die Geschwindigkeit noch nicht verarbeiten kann". Er erklärte sein Befinden mit einem Vergleich: "Jeder, der das erste Mal auf der Autobahn fährt nach dem Führerschein und das erste Mal 200 fährt, dem kommt das auch schnell vor, und so war das bei mir. Ich habe mich einfach erst mal wieder an die Geschwindigkeit gewöhnen müssen." Keine drei Wochen danach war er in Gröden der Schnellste vor dem Zielhang, beim Abschwingen im Zielraum war der Jubel entsprechend euphorisch über die aufgeleuchtete Ziffer 3. Wobei er auch diesen Platz einzuordnen wusste: Gut fürs Selbstvertrauen und Punktekonto, aber auch auf einer verkürzten Strecke ohne heftigste Herausforderungen zustande gekommen; bei der Klassiker-Abfahrt an diesem Samstag (11.45 Uhr) auf der Saslong warten bekanntermaßen andere Tücken, etwa die berühmten Kamelbuckel und die ruppige Ciaslat-Wiese. Auch das betonte übrigens Evers: Große Fahrer wollen mehr. Dreßen will sehr viel mehr.

Für ihn ist der dritte Rang (Sander wurde 12., Ferstl 27., Dominik Schwaiger 29.) daher nur ein Schritt zum nächsten Etappenziel: "Ich bin erst richtig schnell, wenn ich nicht überlegen muss, was ich zu tun habe, sondern wenn das intuitiv passiert." Diese Gnadenlosigkeit - die hat man in sich oder nicht.

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