Ski alpin:Ausgebremst

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Ein Bild aus ihrer erfolgreichsten Saison: Michaela Wenig, hier beim Weltcup in Crans Montana Anfang 2019. (Foto: Mario Buehner/imago/GEPA pictures)

Nach neun Jahren im alpinen Weltcup hat Michaela Wenig vom SC Lenggries ihre Laufbahn beendet. Ihr Körper macht die Strapazen des Profisports nicht mehr mit.

Von Johannes Müller, Lenggries

Als es Michaela Wenig bei der Einfahrt in die Ciaslat weit von der Ideallinie nach außen treibt, scheint die Chance auf eine gute Platzierung passé. "Ich habe bei der ersten Welle einen großen Fehler gemacht und mir in dem Moment gedacht, jetzt ist es vorbei", erzählt die Lenggrieserin im Rückblick. Dass sie anschließend nicht aufsteckt, sondern mutig in tiefer Hocke weiterfährt, beschert ihr im Ziel die große Überraschung. Wenig wird Fünfte an diesem 18. Dezember 2018 in Gröden, ihr bestes Ergebnis im alpinen Ski-Weltcup. 38 Hundertstelsekunden fehlen zu einem Podestplatz. "An diesem Tag war die innerliche Lockerheit ausschlaggebend, die mir während des Rennens geblieben ist."

Keine zweieinhalb Jahre nach diesem Rennen und im Alter von erst 28 Jahren hat Michaela Wenig ihre Profi-Laufbahn vorzeitig beendet. Seit Längerem plagten sie Probleme mit der Hüfte. Nach mehreren operativen Eingriffen glaubte sie nicht mehr daran, den erneuten Anschluss an die erweiterte Weltspitze zu schaffen. "Das Problem ist einfach, dass ich aufgrund der Vernarbungen gewisse Positionen in der tiefen Hocke nicht mehr schmerzfrei einnehmen kann", erläutert Wenig. "Wenn man auf höchstem Niveau fahren will, muss man diese Winkel einnehmen und die dort herrschenden Kräfte aushalten können." Sie versuchte es lange, bis sie einsah, dass eine Rückkehr zu alter Stärke nicht möglich ist. Weiterzufahren, nur um dabei zu sein, sei nicht der Anspruch, den sie an sich selbst habe.

Geboren 1992 in Bad Tölz, wuchs Wenig im Lenggrieser Ortsteil Winkl zu Füßen des Skigebiets Brauneck auf und entwickelte früh eine Leidenschaft für den Skisport. "Wenn man aus unserer Region kommt, wächst man mit dem Skifahren auf. Mich hat man einmal auf die Bretter gestellt und die Begeisterung war sofort da." Seit dem Bambini-Alter ist sie im traditionsreichen Skiclub Lenggries aktiv.

"Es war für mich immer ein außergewöhnliches Gefühl von Freiheit, die Piste so für mich allein zu haben. Ein Gefühl, beinahe so, als hätte ich Flügel."

2007 wurde die damals 15-Jährige in den Kader des Deutschen Skiverbands (DSV) berufen, das Debüt im Weltcup folgte im November 2012. Ein Jahr später fuhr sie in der Abfahrt von Beaver Creek erste Weltcuppunkte ein. Die Saison 2015/16 verpasste sie nach einer Erkrankung am heimtückischen Pfeifferschen Drüsenfieber fast komplett, trotzdem entwickelte sie sich danach kontinuierlich weiter und steigerte ihr Resultat im Gesamtweltcup von Jahr zu Jahr. Die Saison 2018/19 wurde ihre erfolgreichste, der fünfte Platz in Gröden brachte ihr die Qualifikation für ihre ersten Weltmeisterschaften im schwedischen Are. Dort gelang ihr im Frühjahr Rang zwölf in der Abfahrt.

Wenig liebte den Adrenalinkick auf der Piste. Die Speed-Disziplinen, bei denen Rennläuferinnen Geschwindigkeiten von mehr als 130 Stundenkilometern erreichen, waren ihr Metier. Fünfmal war sie deutsche Meisterin in Abfahrt und Super-G. "Es war für mich immer ein außergewöhnliches Gefühl von Freiheit, die Piste so für mich allein zu haben. Ein Gefühl, beinahe so, als hätte ich Flügel."

Nach vielen Versuchen fehlt am Ende die Überzeugung, dass sie noch ihr Bestes hätte geben können

Wären da nur nicht die Hüftschmerzen gewesen. Nach der Saison 2018/19 entschied sich Wenig zu einer Operation, die erhoffte Besserung blieb aus. Die folgende Saison brach sie frühzeitig ab für eine zweiten OP, erneut ohne den erhofften Effekt. Langsam reifte die Entscheidung, die Karriere zu beenden. "Ich habe mir viel Zeit dafür genommen, habe therapeutisch nochmal sehr viel probiert die letzten Monate. Aber wenn ich Sport mache, dann aus der vollen Überzeugung, mein Bestes geben zu können." Diese Überzeugung fehlte.

Es ist müßig, darüber zu sinnieren, was ohne Verletzung möglich gewesen wäre. Jürgen Graller, ihr Cheftrainer im DSV, bezeichnet sie als Vorzeigeathletin, die immer auf ihre Ziele fokussiert war. "Mitch hatte ein Riesenpotenzial im Gleiten und ist daher in einigen Passagen ganz hervorragend gefahren." Defizite im technischen Bereich hätten die Hüftoperationen unumgänglich gemacht, "weil eine technische Entwicklung nur mit einem großen Trainingsaufwand möglich gewesen wäre". Wie Wenig darum kämpfte, weiter auf hohem Niveau fahren zu können, rang den Teamkolleginnen Respekt ab. "Mitch war eine extreme Kämpferin und ein Vorbild für mich", sagt Kira Weidle, die seit 2016 im Weltcup antritt. Es habe sie beeindruckt, wie sich die Lenggrieserin immer wieder zurückgekämpft und wie hart sie für ihre Träume gearbeitet habe.

Bleiben werden ihr die Erinnerungen an die Reisen mit dem Weltcupzirkus, die Zeit mit dem Team und die Freundschaften. "Wir haben in den letzten Jahren ein super funktionierendes Team und unglaublich viel Spaß gehabt. Man sieht die Teamkollegen ja teilweise mehr als die eigene Familie, sie sind wie eine kleine Zweitfamilie", erzählt Wenig. Ihre Ausstrahlung innerhalb dieser Familie ist nicht zu unterschätzen. "Im Team war sie ein Traum, eine absolute Bereicherung, weil sie sehr sozial eingestellt ist. Sie hat immer für eine gute Stimmung gesorgt", erzählt Graller. Und Kira Weidle ergänzt: "Sie ist ein toller Mensch. Wir hatten sehr viel Spaß zusammen, konnten auch über andere Dinge als das Skifahren reden. Sie war nicht nur Teamkollegin, sondern auch eine Freundin."

Nun muss sich Wenig an einen Tagesablauf gewöhnen, der nicht mehr vom Streben nach sportlichen Höchstleistungen geprägt ist. "Es ist erstmal eine Herausforderung, zu Hause zu sein und alles etwas ruhiger angehen zu lassen", sagt sie. "Das ist man als Athlet nicht gewohnt." Konkrete Zukunftspläne habe sie noch nicht gefasst. Neben dem Leistungssport hat sie ein Bachelorstudium in Sportmanagement abgeschlossen. Seit 2014 gehörte sie dem Zoll-Ski-Team an und könnte ihre Laufbahn als Beamtin fortsetzen. Gespräche darüber würden momentan geführt. Sie freue sich jedenfalls auf alles Neue, das nun kommt. Das klingt fast nach jener inneren Lockerheit, die sie damals schon in Gröden so gut ins Ziel gebracht hat.

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