Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Auf Wasmeiers Spuren

Nach 28 Jahren landet wieder ein Deutscher auf dem Podest der Lauberhornabfahrt: Thomas Dreßen zeigt als Dritter mal wieder seine beste Leistung, wenn es zählt.

Von Johannes Knuth

Vom Zielraum der alpinen Skirennen bis ins Dorfzentrum von Wengen dauert es zu Fuß eine halbe Stunde; der Weg führt an einem Wasserfall vorbei und an tiefgrünen, schneebehangenen Bäumen, es ist ein bisschen wie im Märchenwald. Für die Skirennfahrer ist diese Panoramaroute im straff getakteten Januar natürlich zu umständlich, sie nehmen nach ihren Rennen entweder den Skilift - oder den Helikopter, der am Samstag die drei Besten zur Siegerehrung in den Ort chauffierte. Thomas Dreßen hatte am Wochenende von allen Besuchern im Berner Oberland also die mit Abstand beste Aussicht auf das fast schon zu kitschige Panorama, mit Eiger, Mönch und Jungfrau.

Hoch hinaus, das passt gerade ohnehin ganz gut zu seinem Skifahrerleben.

Beinahe hätte der 26-Jährige vom SC Mittenwald am Samstag auch noch bei der Siegerehrung die höchste Stufe erklommen. Er war nahezu mängelfrei die Lauberhornabfahrt hinuntergerast, die sich seit Jahrzehnten fast unverändert durch die zerklüftete Landschaft schlängelt; als habe sie "der Herrgott erschaffen", wie der langjährige Organisator Fredy Fuchs einmal gesagt hat. In Wengen gewinnen jedenfalls nur die, die viele Anläufe in den Knochen haben: Der Schweizer Beat Feuz, 32, siegte am Samstag zum dritten Mal, diesmal vor dem Italiener Dominik Paris, 30, dem zweiten überragenden Abfahrer des Winters. Aber dann kam schon Dreßen, der auf der leicht verkürzten Piste seinen nächsten Erfolg verbuchte - nach Platz eins zum Saisonauftakt in der Abfahrt von Lake Louise und Rang drei im Super-G in Gröden. Das hatten ihm damals nicht viele zugetraut, nicht mal Dreßen sich selbst.

Und jetzt also auch noch: Dritter in Wengen. Dort, wo Markus Wasmeier als vorerst letzter Deutscher das Podium bestiegen hatte, Platz zwei vor 28 Jahren. Und dort, wo sich am Samstag wieder Tausende unterhalb des Hundschopf-Sprungs versammelten und eine Welle der Bewunderung zu jedem Fahrer hinaufschwappen ließen. Manche mag das irritieren, Dreßen bedankte sich später, offenkundig noch vor Freude dampfend, bei den Besuchern - "weil ihr die seid, die Rennen wie heute so speziell für uns machen". Ansonsten, fand er, "was soll ich schon sagen, außer: geil?"

Dreßen war nach seinem schweren Sturz vor eineinhalb Jahren erst im November wieder in den Weltcup eingestiegen, sein Knie zwickte noch immer mal wieder, die Trainer riefen damals zur Zurückhaltung auf. Jeder Unfall hinterlässt Schrammen in einer Abfahrerseele, manche Fahrer finden gar nicht mehr zu alter Wehrhaftigkeit zurück. Aber Dreßen, der hatte sich seinen Sturz in Beaver Creek schon am Tag darauf noch einmal angeschaut. Dann konzentrierte er sich auf das, was vor ihm lag, auch mithilfe eines Mentaltrainers.

Dass ihn schwere Dinge nicht schrecken, hatte er ja ohnehin längst bewiesen. Wer gewinnt schon seine erste Abfahrt im Kitzbüheler Ski-Amphitheater - mit 24 Jahren?

Dreßen ist 1,88 Meter groß und 90 Kilogramm schwer, seine kühlschrankhafte Figur täuscht darüber hinweg, dass er mittlerweile ein "ruhiger Fahrer ist", wie er sich zuletzt in Gröden treffend beschrieb. Er fährt oft rundere Schwünge, aber diese sind nicht selten schneller als die direkte Risikospur; vor allem, wenn man die Ski in den Kurven sauber auf der Kante halten kann wie Dreßen. Vor der Saison fertigte sein Ausrüster für ihn ein neues Modell an, "das meiner Fahrweise noch mehr entgegenkommt", wie er sagte - mehr verriet er nicht, Betriebsgeheimnis. Es dauerte eine Weile, bis er sich an die fehleranfälligen, aber auch flotteren Arbeitsgeräte gewöhnte, mittlerweile bündelt Dreßen wieder das, was ihm sein Cheftrainer Christian Schwaiger seit einer Weile nachsagt: Er setze im Rennen das um, was man ihm vorgebe, klebe aber nicht stur an einer Fahrlinie, sondern finde instinktiv die schnellere, wenn es die Situation erfordere.

Dreßen hatte in Wengen in den Trainingsläufen gepatzt, aber wenn es zählt, hat auch der neue Abfahrtstrainer Andreas Evers beobachtet, verfüge er über "dieses Gen, dass er auf den Punkt liefert" - sei es vor Zehntausenden Schweizern oder auch mit einem Körper, mit dem er sich noch gar nicht wieder voll am Limit bewegen kann und soll.

Ob er nicht überrascht sei, dass er seinem Zeitplan schon wieder voraus ist, wurde Dreßen neulich gefragt? Mei, sagte er, "mein Ziel vor der Saison war, ein Rennen zu gewinnen. Das habe ich jetzt schon gemacht". Und das erzählt vermutlich schon einiges über sein sportliches Hochdruckgebiet. Wenn man Dreßen in diesem Winter hört und erlebt, dann spürt man noch viel von der Unbekümmertheit, die er in seinen ersten Jahren mit sich führte, als er mit großen, leuchtenden Augen durch den Weltcup zog. Auch wenn er mittlerweile sehr genau weiß, was er kann und auch will.

Die übrigen Deutschen durchlebten in Wengen ein wechselhaftes Wochenende. Manuel Schmid sicherte sich in der Abfahrt als 13. überraschend sein bislang bestes Karriereresultat, obwohl er sich zuletzt die Mittelhand gebrochen hatte. Linus Straßer trieb es auf dem schweren Slalomhang am Sonntag dagegen auf Rang 17 zurück, nachdem er sich in den Rennen davor wiederholt unter den besten Zehn eingefunden hatte. "Das war dumm gefahren von mir", sagte Straßer, ehe er sich Richtung Kitzbühel verabschiedete - getragen von der Hoffnung, es am kommenden Wochenende an jenem Ort besser zu machen, an dem er einst das Skifahren erlernte.

Auf Dreßen wartet in Kitzbühel ebenfalls eine spezielle Wiedervereinigung: Er kehrt das erste Mal als Fahrer auf die Streif zurück, nach seinem bislang größten Triumph vor zwei Jahren.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2020
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