Alice Robinson:Als sei sie als Kind in einen Topf voller Unerschrockenheit gefallen

Alice Robinson: Holt ihren ersten Weltcupsieg gleich im elften Versuch, fünf Wochen vor ihrem 18. Geburtstag: Aice Robinson.

Holt ihren ersten Weltcupsieg gleich im elften Versuch, fünf Wochen vor ihrem 18. Geburtstag: Aice Robinson.

(Foto: AFP)
  • Die Neuseeländerin Alice Robinson hat den Riesenslalom von Sölden gewonnen - im Alter von 17 Jahren.
  • Nach dieser Vorstellung wird ihr Großes prophezeit, Felix Neureuther nennt sie schon "Mikaela Shiffrin, Teil zwei".

Von Johannes Knuth, Sölden

Da saß sie nun, die 17 Jahre alte Überraschungssiegerin, und hüllte sich in tiefe Enttäuschung. Gerade waren die All Blacks, die schwer verehrte Rugbyauswahl der Neuseeländer, im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Japan an den Engländern zerschellt, und Alice Robinson, die gerade auf dem Rettenbachgletscher in Sölden den ersten Riesenslalom der neuen Saison auf ihre Seite gezogen hatte, war darüber "ziemlich enttäuscht", wie es sich für eine Neuseeländerin nun mal gehört. Einerseits.

Andererseits erfreute sich Robinson, wohnhaft in Queenstown im Süden Neuseelands, dann schon noch ordnungsgemäß an ihrem Erfolg, mit dem sie die Hierarchie im ersten Wettstreit des Winters durcheinandergeschüttelt hatte. Die Sommersprossen saßen keck im hellen Gesicht, als sie im Presseraum unterhalb des Ziels Auskünfte erteilte, aus ihren blauen Augen sprach ungläubige Freude - als hätte sie gerade alle erhofften Präsente bei der Weihnachtsbescherung erhalten und noch ein paar mehr. "Es wird eine Weile dauern, bis ich das realisiert habe. Ich bin schockiert", sagte sie.

Es war ihr erster Erfolg in der höchsten Liga ihres Sports, sechs Hundertstelsekunden vor der großen Favoritin Mikaela Shiffrin aus den USA und 36 Hundertstel vor Tessa Worley aus Frankreich. Die Zukunft, so wirkt es, hatte am Wochenende in Sölden schon mal in der Gegenwart vorbeigeschaut. Und wer hatte eigentlich erwogen, dass der Alpinsport nach den Abschieden von Lindsey Vonn, Felix Neureuther, Aksel Lund Svindal und Marcel Hirscher in eine große Leere stürzen könnte?

Robinson ist keine sensationelle Auftaktsiegerin, aber eine ungewöhnliche ist sie schon. Sie kam einst in Sydney zur Welt; als sie vier Jahre war, zog die Familie nach Queenstown um. Der Ort ist bekannt für seine Lage am hinreißend pittoresken Wakatipu-See, außerdem als Sammelpunkt für Adrenalin- und Abenteuersport-Suchende sowie für das Skigebiet Coronet Peak. Viele Alpinprofis trainieren dort im neuseeländischen Winter, wenn es auf der Nordhalbkugel sommert, auch Robinson wurde dort ausgebildet.

Später, als ihr Potenzial immer prächtiger funkelte, schloss sie sich der Talentschule der Amerikaner Chris Knight und Jeff Fergus an, in Val di Fassa in den Dolomiten. Robinson schlägt dort bis heute ihr Camp im europäischen Winter auf, um die anstrengende Reiserei zwischen den Kontinenten zu erleichtern, die vielen Läuferinnen aus der Südhalbkugel den Zugang zum europäischen Alpinmarkt erschwert. Seit diesem Sommer trainiert sie auch in Vollzeit unter Knight: Der Amerikaner betreute bis zuletzt Lindsey Vonn, die im vergangenen Frühjahr ihre illustre Karriere beendet hat. Robinson war damals gerade Juniorenweltmeisterin im Riesenslalom geworden, sie durfte deshalb beim Weltcupfinale im März mitmachen, wo sie schon überraschend auf den zweiten Rang rauschte. Damals hinter Shiffrin.

Sie fand, dass der Kurs "ganz spaßig" aussah

Und jetzt also: der erste Weltcupsieg gleich im elften Versuch, fünf Wochen vor Robinsons 18. Geburtstag? Der dritte einer Neuseeländerin nach Annelise Coberger und - der freilich in Österreich geborenen - Claudia Riegler, der erste überhaupt in einem Riesenslalom? Sölden ist ja nicht irgendein Torlauf, es ist ein Hang der Extreme: oben und unten so flach wie kaum ein anderes Gelände im Weltcup, in der Mitte wiederum furchterregend steil, mit mehr als 60 Prozent Gefälle. Da muss man sich erst einmal überwinden, zumal wenn man diese erste Gletscherrampe zum ersten Mal befährt, wie Robinson am Samstag. Aber sie fand, dass der Kurs "ganz spaßig" aussah, als sei sie als Kind in einen Topf voller Unerschrockenheit gefallen.

Den ersten Lauf beendete sie schon als Zweite, 16 Hundertstelsekunden hinter Shiffrin. Vor dem zweiten war sie dann "ein bisschen nervös", aber sie habe einfach versucht "alles zu genießen". Und Robinson, 1,63 Meter groß, warf sich tatsächlich wieder unerschrocken in jede Kurve, führte mit ihren Hebeln ihre Skikanten selbst dann sauber durchs Eis, wo es andere, größere Läuferinnen wohl abgeworfen hätte. "Das Mädel ist unglaublich", sagte Felix Neureuther später im Zielraum, nachdem er seinen ersten Arbeitstag als TV-Experte beendet hatte, "da ist Mikaela Shiffrin, Teil zwei."

Shiffrin, zur Erinnerung, hatte ebenfalls mit 17 ihren ersten Weltcupsieg erstanden, sie ist mittlerweile Inhaberin von zwei Olympia-Goldmedaillen, fünf WM-Titeln und 60 Weltcupsiegen. Sollte Robinson nur die Hälfte davon erreichen, wäre das schon außergewöhnlich. Shiffrin, auch erst 24 Jahre alt, fand Robinsons Darbietung am Samstag jedenfalls "super cool und aufregend".

"So ein brutales Potenzial"

Der Eindruck drängte sich am Wochenende erneut auf: dass es in Sölden fast vorteilhafter sein kann, wenn man den komplizierten Hang weniger mit der Kraft der Erfahrung, sondern mit jugendlicher Unbeschwertheit erstürmt. Um den Zufluss an Talenten müssen sie sich im Weltcup jedenfalls nicht sorgen: Mina Fürst Holtmann, 24, eine von vielen jungen Norwegerinnen, wurde am Samstag Vierte, ihr Landsmann Lucas Braathen, mit 19 Jahren jüngster Starter am Sonntag und eine der größten Begabungen neben dem sechsmaligen Juniorenweltmeister Marco Odermatt aus der Schweiz, wurde Sechster.

Robinson sprach bei aller Freude nur über das Vorhaben, ihre Entwicklung in naher Zukunft "hoffentlich fortzusetzen". Niemand in Sölden zweifelte, dass ihr das gelingen kann. Ihm sei keine Athletin aus der südlichen Hemisphäre in Erinnerung, "die so ein brutales Potenzial hat", sagte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier, der seit Anfang der Neunzigerjahre im Weltcup unterwegs ist. Am Sonntag macht sich Robinson aber erst mal auf den Heimweg: Sie muss noch ihre letzte Woche an der High School hinter sich bringen.

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