Ski alpin:Abschied mit Schaumwein

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Felix Neureuther beendet seine beeindruckende, aber auch wechselhafte Karriere als Skirennfahrer mit einem "sehr, sehr schönen" letzten Slalom-Lauf.

Von Johannes Knuth, Soldeu/München

Man sah es schon am Morgen, hell und klar. Als er bei der Inspektion vor dem ersten Lauf über die Piste rutschte, jeden Trainer umarmte, später ein paar Interviews gab. Es war immer dabei - das "riesengroße Lächeln", mit dem Felix Neureuther am Sonntag seinen letzten Tag als Skirennfahrer bestreiten wollte. Und das war dann auch die einzige Extravaganz, die sich der 34-Jährige am Sonntag gönnte: Er verzichtete auf eine Kostümierung, die viele Skiprofis bei ihren Abschiedsfahrten anlegen - auch wenn Neureuther, der zu einer Party seines Freundes Bastian Schweinsteiger mal in Frauenkleidern erschienen war, sicher etwas Nettes eingefallen wäre. "Ich hab' in meinem Leben schon genug Blödsinn gemacht", sagte Neureuther jedenfalls, "da will ich das jetzt seriös zu Ende bringen."

Platz sieben im letzten Slalom der Saison, 0,27 Sekunden hinter dem Podest, das war dann durchaus ein seriöser Auftritt. Es war sogar Neureuthers bestes Resultat in diesem Winter, der es nicht immer gut mit ihm gemeint hatte. Und nun? Seiften ihn die Kollegen im Ziel mit Champagner ein, von der Tribüne schwappten Trompetenklänge und Applaus. "Es wird einem erst so richtig klar, dass jetzt ein neues Kapitel beginnt", sagte Neureuther am ZDF-Mikrofon, "das ist schon gar nicht so ohne." Aber sein letzter Lauf war trotzdem "sehr, sehr schön". Die Alpinen hatten zuletzt einige Rücktritte erlebt, Aksel Lund Svindal, Lindsey Vonn, Frida Hansdotter - da bildete das Saisonfinale am Sonntag in Soldeu den großen Schlussakkord, mit der Abschiedsvorstellung für Neureuther, der seinen Rückzug erst kurz zuvor verkündet hatte.

Bei der Heimkehr lief neulich die Tochter auf ihn zu. Da wusste er: "Jetzt ist es an der Zeit."

Und was für eine Karriere das war, allein die nackten Ziffern: 248 Weltcups, 13 Siege, 47 Podiumsbesuche. Drei WM-Medaillen im Slalom, Silber 2013, Bronze 2015 und 2017, dazu Gold mit der Mannschaft (2005). An dieses alpine Gesamtkunstwerk reichen bei den deutschen Männern höchstens Markus Wasmeiers zwei Olympiasiege heran; diese großen Einzeltitel waren das einzige, was Neureuther am Ende nicht geschafft hatte. Wobei der 34-Jährige diese Leerstelle nie als Makel empfand; er blickt ja auch so auf eine beeindruckende Sportlerkarriere zurück. Auch, weil er sich eben nicht nur in den Sport vertiefte.

Wie Kinder sich entwickeln, liegt vor allem an der Erziehung der Eltern, und wenn die Eltern prominent sind und ihre Kinder auch noch denselben Beruf ergreifen, wird es erst recht kompliziert. Rosi Mittermaier und Christian Neureuther waren erfolgreiche Skirennfahrer, Mittermaier sogar eine der prominentesten in der deutschen Alpingeschichte - beide fremdelten früher oft mit der Idee, dass ihr Sohn quasi ins Familiengeschäft einsteigen könnte. Sie wussten ja, was das bedeutet: die ständigen Vergleiche, vielleicht sogar ein ewiges Leben als der Sohn von.

Fünfte zuvor im Riesenslalom, Erste beim Gratulieren: Viktoria Rebensburg lässt den künftigen Ruheständler Felix Neureuther hochleben. (Foto: Helmut Fohringer/dpa)

Neureuther wagte es trotzdem. Er debütierte im Januar 2003 in Kranjska Gora im Weltcup, landete prompt im Fangzaun. Einen Monat später nahmen sie ihn zur WM nach St. Moritz mit, wo er von "Super-Hasn" im Teamhotel berichtete (und 15. im Slalom wurde). Er besaß schon damals die Gabe, famose Schwünge aus dem Gefühl heraus zu erschaffen - so wie Lionel Messi famose Pässe spielt, wie der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier einmal im Gespräch sagte. Die andere große Gabe war, dass Neureuther nicht immer alles in den Dienst des Erfolgs stellte. Schlampiges Genie, dieses Etikett baumelte lange an ihm. Der Neureuther, hieß es, der packt es nicht, schon gar nicht bei einem Großereignis.

Die sportliche Befreiung schaffte er erst 2010. Als er nach einem zähen Start seinen ersten Weltcup-Slalom gewann. In Kitzbühel, dem Kolosseum des Alpinsports. Dort, wo der Vater 31 Jahre zuvor triumphiert hatte, der ihn nun tränenreich im Ziel begrüßte. Die WM 2011 in Garmisch, seiner Heimat, ging dann noch furchtbar daneben, der Druck war damals irgendwann so massiv wie die Zugspitze. Zwei Jahre später gewann Neureuther sie dann endlich: die Einzelmedaille, WM-Silber im Slalom hinter Marcel Hirscher.

Neureuther stieg fortan zu einem der großen Botschafter des Wintersports auf, der auch viele Leute ansprach, die sich ansonsten nicht für Menschen in dünnen Rennanzügen interessierten. Er führte große Duelle mit und gegen Hirscher auf; interviewte sich schon mal spontan selbst; nahm Funktionäre für Missstände in Haftung. Und auf der Piste, da knüpfte er immer wieder Erfolge an große Rückschläge. Vor den Winterspielen 2014 rauschte er auf dem Weg zum Flughafen in eine Leitplanke, wurde trotzdem Achter im Riesenslalom. Oder vor seinen WM-Bronzemedaillen 2015 und 2017, da schmerzte der Rücken so sehr, dass ihn manche schon wieder abschrieben. Manchmal hatte es den Anschein, als brauche er das ein wenig: 50 000 Zuschauer, große Emotionen - und ab und zu dieses Gefühl, dass sich alles gegen einen verschwört.

Nicht alles gelang ihm, doch fast immer bewahrte er die Haltung - das machte ihn nahbarer als viele Seriensieger. Vor Olympia 2018 war er noch mal in Hochform, dann übertrieb er es im Training - Kreuzbandriss, Saison vorbei. Er kam zurück, dann ging es schon wieder schlecht los: Daumenbruch, Trainingssturz, Schleudertrauma, ein paar achte Plätze, im WM-Slalom schied er aus. Der Rücktrittsgedanke war da schon gepflanzt, aufgeblüht sei er aber erst vor einer Woche, sagte Neureuther: Er sei vom Weltcup aus Kranjska Gora zurückgekehrt, das Knie schmerzte, seine Tochter sei zu Hause auf ihn zugelaufen - "da wusste ich: Jetzt ist es an der Zeit".

Sie werden ihn vermissen, im Weltcup, im Verband ohnehin: Neureuther war immer ihr Schutzschild, das mit seiner Art und den Erfolgen viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hätte schon noch eine Weile mit der Weltspitze mithalten können, aber dafür hätte er sich noch mehr quälen müssen, hatten sie im DSV zuletzt immer wieder gesagt. Das mochte er nicht mehr. Wobei Neureuther zuletzt auch gefordert hatte, dass sich im Verband etwas ändern müsse, dann mache er vielleicht doch weiter. Am Sonntag beteuerte er, dass diese ganze Geschichte seine Entscheidung nicht beeinflusst habe. Und nun? Müssen es halt die anderen richten, wie der noch verletzte Thomas Dreßen oder Stefan Luitz. Letzterer erhielt am Wochenende vom Sportgerichtshof Cas immerhin seinen ersten Weltcup-Sieg zurück, den ihm der Ski-Weltverband aberkannt hatte (SZ vom 15.3.19). Ein bisschen emotionale Anschubfinanzierung für die nächste Saison.

Und Neureuther? Er freue sich auf alles, was nun komme, sagte er: die Zeit mit Frau und Tochter, seine Stiftung, mit der er Kinder zu mehr Sport animieren will, ein paar Firmenbeteiligungen. Vielleicht sieht man ihn auch bald wieder als TV-Kommentator, wie er zuletzt im Gespräch angedeutet hatte. Dann jedenfalls längst nicht mehr als der Sohn von Rosi und Christian, sondern als Felix Neureuther, dessen Eltern auch mal ganz gut Ski gefahren sind.

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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