Skeleton:Kopfüber in die Achterbahn

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Für Jacqueline Löllings Silbermedaille brauchte es jahrelange geduldige Aufbauarbeit - und eine ganze Menge Mut.

Von Volker Kreisl

Sie liebt die Achterbahn. Wenn Looping auf Looping folgt, wenn man scheinbar frei nach unten fällt und wieder nach oben schießt, um den nächsten gigantischen Überschlag in Angriff zu nehmen, wenn sich der Himmel dreht und bei sensibleren Menschen auch der Magen, dann ist Jacqueline Lölling in ihrem Element. Schnell Autofahren liebt sie auch, am meisten liebt sie aber ihren Sport: Skeleton.

Dem verdankt sie elf Jahre Tempovergnügen, und umgekehrt verdankt die Disziplin ihr einen Schub für die allgemeine Anerkennung, jedenfalls in Deutschland. Die 23-Jährige aus Winterberg im Sauerland hat mit ihrer Silbermedaille bewiesen, dass der mühsame Aufstieg des Skeletonfahrens aus dem Schatten der klassischen Eisbahndisziplinen allmählich gelingt. Bobfahren und Rodeln ist seit hundert Jahren in Deutschland etabliert, Skeleton - ja seit wann eigentlich?

Im Frühjahr 2002 wurde der aktuelle Bundestrainer Jens Müller eingestellt. Davor hatten sich auch schon einige Frauen und Männer bäuchlings auf das Skeleton gelegt - das ist ein skelettförmiger Stahlrahmen mit einer Fieberglaswanne und starren runden Kufen, die sich nicht direkt lenken lassen. Willy Schneider und Steffi Hanzlik wurden damals Weltmeister, aber sie waren mehr Einzelgänger, die sich selber helfen mussten. Dann musste Rodel-Olympiasieger Jens Müller aus gesundheitlichen Gründen den aktiven Sport aufgeben und übernahm die Aufgabe, den Skeleton-Sport in Deutschland zu etablieren.

Silberne Emotionen im Eiskanal: Jacqueline Lölling nach der Zieleinfahrt. (Foto: AFP)

Knapp 16 Jahre ist das her, und Jacqueline Löllings Silbermedaille bestätigt den Wert von Müllers Arbeit. Lölling zählt wie die fünftplatzierte Tina Hermann und die Sechste Anja Fernstädt zum von Müller errichteten System. Lölling war nie von einem anderen Gefährt umgestiegen, sie gehört auch nicht zu den jungen Skispringern, die nach Wachstumsschüben irgendwann keine Chance mehr sehen und sich im Skeleton anderweitig kopfüber nach vorne stürzen: Axel Jungk, der WM-Silbergewinner von 2017 und Siebte von Pyeongchang ist so ein Beispiel.

Lölling war zwölf Jahre alt, als sie einstieg. Eine Sportlehrerin, deren Tochter schon Skeletoni war, hatte ihr den Kopfüber-Schlittensport empfohlen, und Lölling wuchs schnell hinein, sie hatte kein Problem mit hohem Tempo.

Damit hat man automatisch einen Vorsprung beim Erlernen der wichtigen Lenktechnik. Es gibt ja keine Lenkhörner wie beim Rodeln und keine Lenkseile wie beim Bob, sondern nur die sachte Verschiebung von Schulter und Knie, die lenkend einwirken. Notfalls, wenn scharf korrigiert werden muss, verlagert der Pilot den Schwerpunkt, in dem er ein Bein ausfährt. Ansonsten ist Skeleton Achterbahn.

Warten auf Edelmetall: Jacqueline Lölling wartet neben Andreas Wellinger gemeinsam in der Athleten-Lounge auf ihre jeweilligen Siegerehrungen. (Foto: Martin Bernetti/AFP)

Da kann man gar nicht lenken, zum Glück, aber ein bisschen vom Gottvertrauen in die Technik und Stabilität muss auch ein Skeletoni in seinen Untersatz und in die Kurven der Bahn haben. Idealerweise lenkt er überhaupt nicht, sondern fährt in hohen Kurven durch die Bahn, rhythmisch hin und her schwingend, womit es schön schnell wird.

An ihren ersten großen Erfolg erinnert sich Lölling noch gut, es war ein Sieg im Europacup. Der zweite große Meilenstein waren die Olympischen Jugendspiele in Innsbruck 2012 (an denen hatte auch Andreas Wellinger teilgenommen; beide hatten vor sechs Jahren am selben Tag Gold gewonnen und beide unterhielten sich nun zufällig in Pyeongchang darüber, dass sie hier wieder am selben Tag dran seien, und wie lustig es wäre, wenn ...). Nun holte auch Lölling, wie der Skispringer, knapp Silber. Um ihre Halbzeitführung ins Ziel zu bringen, fehlte ihr noch ein bisschen etwas von der Routine der erfahrenen britischen Siegerin Lizzy Yarnold; der stark veränderte Eisausbau in den Kurven hatte Lölling zu schaffen gemacht.

Jens Müller machen auch noch die größeren Zusammenhänge zu schaffen, zum Beispiel die geplante Leistungssportreform. Er drängte seit 2002 darauf, dass Skeleton in Deutschland effektive Nachwuchsstrukturen erhält, und dass die Spitzenkräfte mit dem Material des FES, des Berliner Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, versorgt werden. Vieles werde ja bei kleinen und erfolglosen Sportarten infrage gestellt, sagt Müller, deshalb sei auch er vor diesem Finale "sehr nervös gewesen".

2010 hatten Müllers Skeletonis Kerstin Szymkowiak und Anja Huber bereits Silber und Bronze bei den Spielen gewonnen. Wer derart lange am Aufbau plant, immer in Sorge vor einer Umstrukturierung, der will irgendwann Sicherheit für die Zukunft. Müllers Sportlerinnen sind Weltmeisterinnen, sie belegten 2018 Platz eins und zwei im Gesamtweltcup. Aber jahrelange Topleistungen hin oder her - dies ist nur Skeleton, und die beste Gewähr für eine nachhaltige Anerkennung ist immer noch der Olympiasieg. Deshalb macht Müller keinen Hehl draus: "Ich hätte mir Gold gewünscht."

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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