Skandal um WM-Vergabe 2006:Was über die Bestechungs-Vorwürfe bekannt ist

Franz Beckenbauer

Damals ein Sommermärchen: Franz Beckenbauer mit dem Final-Ball in Berln

(Foto: dpa)

Wie dreist soll Beckenbauer vorgegangen sein, um das Sommermärchen 2006 zu ermöglichen? Welche Rolle spielte Niersbach? Ein Überblick.

Von Saskia Aleythe

  • Was sind die neuen Vorwürfe im Zuge der WM-Vergabe 2006?

Das Nachrichtenmagazin Spiegel hat aufgedeckt, dass die WM-Vergabe 2006 an Deutschland mutmaßlich gekauft gewesen sei. Das deutsche Bewerbungskomitee um Leiter Franz Beckenbauer soll über eine schwarze Kasse verfügt haben: Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus soll vor der Vergabe 10,3 Millionen Schweizer Franken bereit gestellt haben, umgerechnet etwa 6,7 Millionen Euro. Das Bewerbungskomitee habe sich dann womöglich gezielt um die Bestechung der vier asiatischen Vertreter im abstimmenden Exekutivkomitee der Fifa bemüht.

  • Welche Personen stehen nun im Fokus?

Chef des deutschen Bewerbungskomitees war damals Franz Beckenbauer, er soll laut Spiegel zusammen mit Fedor Radmann, ebenfalls im Komitee, der Strippenzieher der Bestechung gewesen sein. Auch Wolfgang Niersbach, der heutige DFB-Präsident, war offenbar beteiligt, Günter Netzer fungierte damals als WM-Botschafter. Niersbach soll laut dem Magazin spätestens seit 2005 von den Vorgängen gewusst haben. Er war zuletzt als etwaiger Nachfolger von Sepp Blatter als Fifa-Präsident ins Gespräch gekommen - dies dürfte sich nun erledigt haben.

Bei den gekauften Stimmen soll es sich um das Votum von Mohamed bin Hammam (Katar), Worawi Makudi (Thailand), Chung Mong Joon (Südkorea) und Abdullah al-Dabal (Saudi-Arabien) handeln. Auch Joseph Mifsud (Malta), der als Wackelkandidat bei der Abstimmung galt, könnte nach den Spiegel-Recherchen durch Geldzahlungen überzeugt worden sein.

  • Wie lief die Wahl 2000 in Zürich ab?

Am 6. Juli 2000 wurde in Zürich der Ausrichter der WM 2006 gewählt. England, Marokko, Deutschland und Südafrika standen zur Auswahl. 24 Männer des Exekutivkomitees waren damals wahlberechtigt, neben dem Schweizer Vorsitzenden Sepp Blatter weitere acht Europäer, vier Afrikaner, vier Asiaten, drei Mitglieder aus Nord- und Zentralamerika, drei Südamerikaner sowie ein Mitglied aus Ozeanien.

England und Marokko schieden in den ersten beiden Durchgängen aus, die Entscheidung fiel zwischen Südafrika und Deutschland. Alles schien auf ein Patt hinauszulaufen, als Vorsitzender hätte Sepp Blatter dann Doppel-Stimmrecht gehabt und er galt als Unterstützer Südafrikas. Doch bei der finalen Abstimmung verließ plötzlich der Neuseeländer Charles Dempsey den Raum - Deutschland bekam den Zuschlag. Mit 12:11 Stimmen.

  • Wie soll der Trick mit der schwarzen Kasse funktioniert haben?

Beckenbauer und Radmann wollten sichergehen, dass Deutschland den WM-Zuschlag bekommt. Monate vor der Vergabe war die Situation schwierig, bis auf die Europäer im Exekutivkomitee schienen keine anderen Nationen Deutschland zu unterstützen. Als Favorit galt Südafrika. Beckenbauer und Radmann sind offenbar vor der Wahl im Juni 2000 zu allen abstimmungsberechtigten Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees geflogen, um sie von Deutschland als bestem WM-Gastgeber zu überzeugen.

Am wichtigsten war aber die Unterstützung des damaligen Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus. Sowohl Beckenbauer als auch Radmann hatten Verträge mit Adidas. Im Frühjahr 2000 soll Dreyfus jene 10,3 Millionen Schweizer Franken geliehen haben.

Kurz vor WM-Start soll Dreyfus das Geld dann zurückgefordert haben. Das Organisationskomitee hatte ein Problem; denn das Geld war nie in Haushaltsbüchern aufgetaucht. Man behalf sich offenbar mit einem Trick: Einen Tag vor dem Eröffnungsspiel der WM sollte eine Gala im Berliner Olympiastadion stattfinden, von der Fifa angeleiert. Das Organisationskomitee beschloss eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro an die Fifa für jene Show. Diese wurde allerdings später abgesagt, offiziell um den Rasen zu schonen. Dreyfus soll die Millionen später von einem speziellen Fifa-Konto überwiesen bekommen haben, das nicht mit dem Hauskonto der Fifa identisch ist. Demnach müssten die Deutschen einen Verbündeten in der Fifa gehabt haben.

Mysteriöse Partien des FC Bayern und Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien

  • Welche Ungereimtheiten bei der WM-Vergabe waren schon zuvor bekannt?

Der mysteriöse Abgang von Dempsey schürt seit dem Tag der Abstimmung den Verdacht, dass bei der WM-Vergabe nicht alles in geordneten Bahnen verlaufen ist. Der betagte und inzwischen verstorbene Dempsey berichtete, er sei telefonisch von allen Seiten unter Druck gesetzt worden, sodass er sich nicht mehr in der Lage gefühlt hatte, abzustimmen. Er sei deswegen nach Hause geflogen.

Dass die vier asiatischen Vertreter damals für Deutschland stimmten, sorgte für Unmut im südafrikanischen Verband. "Die Asiaten hätten mehr als jeder andere verstehen müssen, was die WM für Afrika bedeutet", empörte sich der Generalsekretär des südafrikanischen Verbandes, Raymond Hack.

Immer wieder tauchten auch wirtschaftliche Verbindungen zwischen Deutschland und Asien als bemerkenswerter Zufall auf. Es verwunderte, dass der Bundessicherheitsrat kurz vor der Abstimmung Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien beschloss und Daimler Kooperationen mit dem südkoreanischen Autohersteller Hyundai einging - Fifa-Funktionär Chung Mong Joon ist Sohn des Firmengründers.

Beckenbauer und Radmann kannten außerdem Leo Kirch gut, der die Europarechte für das Turnier übernommen hatte. Dabei könnten Radmann und Beckenbauer auch den FC Bayern in eine Bestechungs-Strategie miteinbezogen haben: Es wurden Freundschaftsspiele vereinbart auf Malta, in Tunesien, Thailand und in Trinidad - jeder Gastgeber bekam Geld für die Fernsehrechte überwiesen, nur in Trinidad gab es später kein Spiel und kein Geld. Malta, Tunesien, Thailand und Trinidad stimmten später für Deutschland.

Auch Sepp Blatter machte in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung schon einmal Andeutungen: "Gekaufte WM... da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ", sagte er im Juli 2012. Zuvor hatte er vor allem aus Deutschland Kritik für seine Tätigkeiten als Fifa-Präsident erhalten.

  • Warum war Beckenbauer schon vor dem Spiegel-Bericht in Bedrängnis?

Vor allem aber Beckenbauers Beziehungen zu Katar warfen schon vor dem Spiegel-Artikel Fragen auf. Im Juni 2014 wurde er von der Ethikkommission der Fifa für ursprünglich 90 Tage gesperrt, er soll bei Ermittlungen zu den wohl gekauften WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar nicht kooperiert haben. Beckenbauer rechtfertigte sich damit, nicht gut Englisch zu können und Fragen zur Korruption auf Deutsch beantwortet zu haben.

Ob Beckenbauer für Katar stimmte, ist nicht geklärt. Für Russlands Bewerbung hegte er offen Sympathien - und bekam nach dem Votum beim russischen Konzern Gazprom ein Engagement. Einen Zusammenhang wies er immer von sich. "Das hatte mit der WM-Vergabe absolut nichts zu tun", sagte er.

  • Welche Rolle spielte Wolfgang Niersbach?

Franz Beckenbauer und sein Vertrauter Radmann gelten laut Spiegel als federführende Personen der mutmaßlichen Bestechung, doch auch der heutige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, damals Medienchef des Bewerbungskomitees, war offenbar involviert. Er scheint seit mindestens zehn Jahren von den Vorgängen gewusst zu haben. Das Magazin zitiert ein Geheimdokument, in dem eine Millionenzahlung des Organisationskomitees begründet wird, eine handschriftliche Randnotiz: "das vereinbarte Honorar für RLD". Die Handschrift gehört laut Spiegel zu Niersbach, RLD stehe für Robert Louis-Dreyfus, der 2009 verstorben ist. Noch im Juni 2015 sagte Niersbach zur WM-Vergabe an Deutschland: "Ich darf immer daran erinnern, dass wir die absolut beste Bewerbung hatten." Er habe ein reines Gewissen.

  • War der DFB involviert?

Laut Spiegel soll Horst R. Schmidt, damals Vizepräsident des Organisationskomitees, im Jahr 2005 auf die damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Gerhard Mayer-Vorfelder zugegangen sein und das Problem mit der geliehenen Millionen von Dreyfus erwähnt haben - es musste ja offenbar eine Lösung her, dem Franzosen das Geld zurückzuzahlen. Die beiden Chefs sollen schockiert reagiert haben, offenbar wussten sie nichts von Bestechungen. Dass Dreyfus seine Millionen ein Jahr vor dem WM-Start zurückerhielt, hat die DFB-Führung dann wohl mitverantwortet.

  • Was sagen die Beschuldigten?

Der DFB bestätigte am Freitagmittag, im Jahr 2005 jene 6,7 Millionen Euro an die Fifa überwiesen zu haben, das Geld sei für ein Fifa-Kulturprogramm gedacht gewesen, "möglicherweise aber nicht dem angegebenen Zweck entsprechend verwendet worden". Die Summe stehe in keinem Zusammenhang mit der WM-Vergabe.

Einige Stunden nach der Veröffentlichung der Bestechungs-Vorwürfe reagierte der DFB mit einer Stellungnahme auf seiner Webseite und bezeichnet sie als "völlig haltlose Behauptungen". Es seien keine Stimmen für die WM-Vergabe gekauft worden. "Mit aller Konsequenz hält der DFB deshalb nochmal ausdrücklich fest, dass dementsprechend weder der DFB-Präsident noch die anderen Mitglieder des Organisationskomitees in derartige Vorgänge involviert sein oder davon Kenntnis haben konnten. Der DFB behält sich rechtliche Schritte gegen die Darstellung des Magazins 'Der Spiegel' vor", heißt es. Horst R. Schmidt sagte gegenüber Sky: "Mir war von einer schwarzen Kasse nichts bekannt. Die Stimmen sind nicht gekauft worden."

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