Süddeutsche Zeitung

Singende Fußballer:Flieg, Kanarienvogel, flieg!

Pelé im Duett, Ruud Gullit unter der Dusche, Fans singen aus Trotz und aus Liebe: Der großartige Band "Football Disco" trägt die Cover von Fußball-Vinylplatten aus aller Welt zusammen.

Von Holger Gertz

Die Frage, ob Maradona oder Pelé der bessere Spieler war, wird endgültig und abschließend nie zu klären sein, die einen sagen so, die anderen so. Auf jeden Fall war und ist Pelé der bessere Sänger, und wer noch nicht mitbekommen hat, wie schön Pelé singen konnte, der höre im Internet nach. "Perdão Não Tem" ein Lied aus den Sechzigern, Pelé ist da sanftmäuliger Duettpartner der großen Elis Regina. 45football.com heißt die Website, auf der man Perlen wie diese finden kann, der Schweizer Musiker und Lehrer Pascal Claude stellt seine enorme Sammlung von Fußball-Liedern vor. Aus Frankfurt: "Im Wald, da spielt die Eintracht." Aus Hammarby: "Just idag är jag stark." Aus Niš: "Kude ja taj Nis." Man kann alles anhören, man kann sich auch die Plattencover nur ansehen, was im Zweifel das ungetrübtere Vergnügen ist. Deshalb gibt es die Cover der Vinyl-Platten jetzt auch gedruckt, in einem 420 Seiten dicken und kiloschweren quadratischen Standardwerk, "Football Disco" heißt es. Wer sich in die Website und in das Buch vertieft, weiß alles, alles über das Zusammenspiel zwischen Fußball und Gesang.

Warum singt ein Fußballer? Weil er's kann natürlich. Und wenn er's nicht konnte, fand sich immer irgendwo ein Geschäftsmann, der ihm einredete, es zu können. Also, was Pelé kann, konnte der französische Abwehrmann Marius Trésor schon mal nicht halb so gut, seine Aufnahme "Sacré Marius" war trotzdem geeignet als Hintergrundmusik für das Treiben in den sagenumwobenen Partykellern der Siebziger.

Im Käseigel-Deutschland hörte man zu der Zeit Tony Holiday, da waren die Franzosen mit Trésor eindeutig besser bedient, zumal er auf der Plattenhülle aussieht, als wäre er mit Bill Withers enger verwandt. Der Österreicher Hans Pirkner ("Tuat's net schimpfn über mi") wanzt sich in einer erstklassigen Swingnummer an die Fans ran, Ruud Gullit nimmt auf dem Cover seines Reggae-Verschnitts "Not the dancing kid" gerade eine Dusche. Der herrliche Brasilianer Junior ist dagegen mit dem kanariengelben Brasilien-Trikot bekleidet, während er die passende Hymne "Voa Canarinho, voa!" singt: Flieg, Kanarienvogel, flieg! Die im Buch abgebildete Plattenhülle sieht aus, als wäre sie zu gleichen Teilen erschöpft und entspannt, vom Strandsand abgerieben und von der Sonne aufgehellt.

Der Plattensammler Pascal Claude hat in Bergen von Hinterlassenschaften gegraben und im Netz und auf Flohmärkten gestöbert, aus Ossetien brachte ihm ein Freund eine Spartak-Moskau-Hymne mit, eingespielt vom "Ansambel Bim-Bom". Denn die Sammlung besteht nicht nur aus Liedern von Fußballspielern, es krächzen und tschilpen und schmettern auch Chöre, Einzelinterpreten oder Fangruppen, sie singen zu Ehren der Fußballer, des Fußballs und der Vereine. Sie singen, um einen Helden vom Wechsel abzubringen ("Johan Cryuff, ga niet weg!"), sie singen aus Trotz und aus Liebe und aus trotziger Liebe wie der Darmstadt-98-Fan und Schallplattenhändler Gerald Wrede: "Ich glaube nicht an Gott, und ich glaube nicht an dich. Ich glaube an den SVD."

Wenn viele versammelt sind, wird gesungen, das ist im Bierzelt so wie in der Kirche und im Stadion, denn wenn viele singen, dringen sie leichter durch zu Gott oder Micoud, zu Maradona oder Eilts oder Kipiani. Oder man schüchtert die Gegner ein, wenn man laut singt; man singt sich selbst ein bisschen größer. Eine archaische Angelegenheit. Das Buch enthält Essays, der Argentinier Luciano Caldarelli, Fan der Boca Juniors Buenos Aires, schreibt über die unzähligen Lieder, die diesem Verein gewidmet sind, es sind so viele, dass er problemlos eine "cancionero popular boquense" erstellen konnte, eine Liedersammlung. Und der Brite Graham Waite erinnert daran, dass im Sommer 1982 zeitgleich die englische Nationalmannschaft und die schottische Nationalmannschaft und auch Tottenham Hotspur mit je einem Song in den Charts waren, bei "Top of the Pops" ging die entsprechende Sendung als "Football episode" in die Geschichte ein.

Größter britischer Sänger: Kevin Keegan natürlich, Mighty Mouse, vorübergehend assoziiertes Mitglied der Hamburger Musikszene durch seinen Reißer "Head over heels in love", aufgenommen 1979 im Rüssl-Studio von Otto Waalkes. Das Cover ist im Buch auf Seite 195, ganz nah bei Jimmy Hartwigs "Mama Calypso".

Good old days? "Ich war ein Belgier, aber jetzt bin ich ein Bayer", behauptete zu jener Zeit der Torwart Jean-Marie Pfaff, "ich trinke Bier und esse Leberkäs mit Eier." Ein schauderhaftes Lied in fadenscheinigem Deutsch und mit dem entsprechend einfallslosen Cover: ein Torwart auf dem Sprung. Dicht gefolgt von Norbert Nigburs "Wenn Schalke 04 nicht wär, wär das Parkstadion immer leer" - die philosophische Tiefe dieser Zeile erschließt sich eher, wenn man die englische Übersetzung liest. "If there was no Schalke 04, the Parkstadium would always be empty."

"Football Disco" - ein schöner Wälzer über zwei Königreiche, die manchmal besser nicht zueinandergefunden hätten.

Pascal Claude (Hg.): Football Disco! The Unbelievable World of Football Record Covers. Verlag der Buchhandlung Walther König. 19,80 Euro.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019
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