Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Ein Fest der alten Neuner

  • Das Duell 1. FC Köln gegen VfB Stuttgart ist gleichzeitig auch das Duell Simon Terodde gegen Mario Gomez.
  • Terodde war beim VfB einer der Nachfolger von Gomez, der nun der Nachfolger von Terodde ist - und dann ist da ja auch noch Daniel Ginczek.
  • Egal, welcher Stürmer bei der Begegnung ein Tor schießt: Für den jeweils anderen wird es dadurch ungemütlich.

Von Christof Kneer

Ein alter Spruch besagt, dass ein Stürmer dahin zu gehen habe, wo es wehtut. Der Spruch taugt als Unterzeile für die alten Schlachtengemälde, in denen sich diese Stürmer, auch Brecher genannt, mit blutigen Turbanen lustvoll ins nächste Gefecht stürzen. Gemessen am robusten Mandat der Stürmer von früher müssen die Stürmer von heute absurde Aufträge erfüllen, sie müssen Gegner taktisch anlaufen oder zwischen den Linien spielen oder wie das ganze moderne Zeugs so heißt. Es ist heute sogar offiziell genehmigt, dass Stürmer nicht mehr die Nummer neun tragen, dass sie kleiner als 1,90 m sind und unter 85 Kilo wiegen, manche von ihnen müssen nicht mal mehr kopfballstark sein. Für Puristen muss sich das anfühlen, als würden Rambo und Rocky ihre Projekte feinsinnig ausdiskutieren.

Für Puristen könnte der Sonntag ein Feiertag werden, am Nachmittag steigt in Köln ein Ball der alten Neuner. Es treten an: in der Kölner Ecke Simon Terodde, 1,92 m groß, 85 Kilo schwer; in der Stuttgarter Ecke Mario Gomez, 1,89 m, 89 Kilo, und Daniel Ginczek, 1,90 m, 85 Kilo.

Puristen könnten nun dafür plädieren, die Farbe aus dem Bild zu drehen und zumindest die Stürmerszenen in Schwarz-Weiß zu senden, ein schön nostalgischer Streife wäre das dann, Titel: Die Brecher der Enterbten. Cool klänge das.

Nur: Es wäre nicht mehr die Wahrheit. Auch Terodde, Gomez und Ginczek tun inzwischen, was Stürmer heute so tun, sie laufen Gegner an, verteilen Bälle, nehmen an Fußballspielen teil. Und sie gehen auch nicht mehr überall hin, wo's wehtut, sie gehen zum Beispiel nicht mehr an die kalte Luft, wenn Hals und Bronchien schmerzen. Simon Terodde haben sie in Köln Mitte der Woche extra vom Training befreit, er war ein bisschen erkältet, und sie brauchen ihn doch dringend am Sonntag, wenn sie gegen den VfB Stuttgart versuchen, nach der letzten nun die allerletzte Chance auf den Klassenerhalt zu nutzen.

Dennoch wird es zumindest ein bisschen nach früher riechen in Köln-Müngersdorf. Die drei Neuner werden durchaus ein Statement sein in einem Land, das kürzlich noch die falsche Neun verherrlicht hat: einen Stürmertypus, der sich überall rumtreibt und klein und wendig ist wie Messi, nur halt leider nicht so gut.

Es werden sich viele persönliche Linien kreuzen

Aber es ist nicht nur die Strafraumfolklore, die aus dem Duell in Köln ein sehr spezielles Stürmerspiel macht. Viele persönliche Linien kreuzen sich dort, unterschiedliche Vergangenheiten mischen sich mit der Gegenwart, und fast alles hängt mit fast allem zusammen. So hat der jetzige Kölner Terodde in der vergangenen Saison - übrigens gemeinsam mit Daniel Ginczek - dafür gesorgt, dass der VfB wieder in die erste Liga zurückgekehrt ist, 25 Tore trug Terodde zum Stuttgarter Aufstieg bei. Ja, es waren nur Zweitligatore, und ja, Terodde war vergangenen Sommer gerade mal ein Jahr beim VfB; trotzdem haben sie ihn an diesem traditionell sturmbewegten Ort gleich in die Galerie ihrer großen Sturmhelden gehängt, neben Dieter Hoeneß, Jürgen Klinsmann, Fritz Walter und Mario Gomez.

So viel zu den Linien, die sich kreuzen: Simon Terodde war beim VfB einer der Nachfolger von Mario Gomez, der nun der Nachfolger von Simon Terodde ist.

Mit viel Wehmut und einigem Zorn haben die VfB-Fans im Winter auf Teroddes Abschied reagiert, sie haben der Klubführung um Sportchef Michael Reschke vorgeworfen, dass sie hier einen Heiligen aus der Stadt drängen. Ein paar Tage später waren die Anhänger erst mal wieder versöhnt, weil statt des neuen Lieblings ein alter Liebling in die Stadt kam, Gomez eben.

Im Transferbusiness gebe es "selten Geschäfte, die sich für alle Parteien so auszahlen", sagt Reschke nun mit ein paar Wochen Abstand. Tatsächlich steht die Geschichte - bisher - unter enormem Kitschverdacht: Terodde hat sich und den schon etwas skeptischen Stuttgartern bewiesen, dass er mehr ist als nur ein Spezialist für die zweite Liga, er hat schon fünf Tore für den FC erzielt. Somit hat auch der FC profitiert von dem Deal, auch dank Terodde besteht die Hoffnung aufs Unmögliche fort, und sollte dem FC bald doch das Mögliche in Form eines Abstiegs zustoßen, so wüsste man immerhin schon jenen Mann im Kader, der einen gleich wieder in die erste Liga zurück schießen kann. Und auch in Stuttgart sind sie mit sich im Reinen. Der neue Trainer Korkut stellt Gomez und den wieder genesenen Ginczek gemeinsam auf, was bisher zwar nicht zu besonders vielen Toren geführt hat, aber eben doch: zu ein paar entscheidenden.

Und ein bisschen Herzschmerz steckt auch in der Geschichte, immerhin spielen Gomez und Terodde nun wieder in ihrer Heimat.

Aber natürlich könnte der rührende Kitsch am Sonntag auch mit einer groben Pointe enden. Sollte Terodde ein Siegtor gelingen, würde es in Stuttgart sofort wieder ungemütlich, sollten Gomez oder Ginczek den FC bezwingen, könnte sich Terodde wohl wieder auf seine zweite Liga konzentrieren. Wenn der Kitschregisseur aber was taugt, dann gehen nächstes Jahr alle drei Neuner wieder in der ersten Liga dahin, wo's wehtut.

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SZ vom 03.03.2018/vit
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