Silke Spiegelburg:Ihre Tränen rührten Millionen

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Olympia 2012 in London: Wieder einmal war Silke Spiegelburg unglücklich. Dabei war sie hoch gesprungen. (Foto: dpa)
  • Stabhochspringerin Silke Spiegelburg beendet nach einer langen, ereignisreichen Karriere ihre aktive Zeit im Sport.
  • Sie bleibt in Erinnerung als eine Leichtathletin mit Haltung - und als eine, die oft ihre Emotionen offen zeigte.

Von Thomas Hahn

Am Tag, als sie Silber gewann, hat Silke Spiegelburg auch geweint. Es war bei der EM 2010 in Barcelona. Die Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa aus Russland fehlte, Silke Spiegelburg aus Leverkusen gehörte zu den Favoritinnen, und es lief gut. Erst bei 4,70 Meter fiel die Latte, zwei Mal. Mit einem letzten Versuch über 4,75 versuchte sie, die Russin Swetlana Feofanowa vom Gold-Rang zu verdrängen. Vergeblich. Silke Spiegelburg wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und sagte: "Medaille ist Medaille, aber ich wollte mehr." Sie war 24. Sie ahnte nicht, was sie noch erleben würde in ihrem wunderbaren, wechselhaften Leichtathletik-Leben.

Silke Spiegelburg hat ihre Karriere als Leistungssportlerin beendet. "Ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll", beginnt die Nachricht auf ihrer Facebook-Seite, mit der sie ihre Entscheidung am Montag bekannt machte. Und man kann sich gut vorstellen, wie sie vor dem Computer sitzt und nach Sätzen sucht, die ihre Stimmung zwischen Erleichterung und Schmerz beschreiben. Silke Spiegelburg ist immer durchdrungen gewesen von der Liebe zu ihrem Sport, das konnte man selbst als entfernter Betrachter spüren, wenn man sie in Interviews oder nach Wettkämpfen erlebte.

Es muss ihr schwer gefallen sein, sich zuzugestehen, dass sie diese Liebe nach Jahren voller Verletzungen nie mehr so wie früher wird ausleben können. Und deshalb kann man auch ahnen, wie lange es dauerte, bis irgendwann ihre Abschiedserklärung dastand: "Am Besten sage ich es euch direkt heraus." Knapp und undramatisch. Es geht nicht weiter.

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Für viele ist die Nachricht vom Rücktritt der Stabhochspringerin Spiegelburg eine Randnotiz gewesen. Sie war in der Leichtathletik-Arena ja schon lange nicht mehr die, die sie mal war. Bei der WM 2017 in London scheiterte sie in der Qualifikation. Die EM in Berlin dieses Jahr erreichte sie gar nicht mehr. Silke Spiegelburg ist 32, ihr Körper trägt sie nicht mehr auf die Höhen, mit denen sie ab 2011 drei Mal in Serie die Diamond League gewann oder 2012 den deutschen Freiluftrekord auf 4,82 Meter verbesserte. Im Leistungssportgeschäft, das Erfolg in erster Linie nach Medaillen bemisst, war Silke Spiegelburg zuletzt nur noch eine Nebendarstellerin.

Aber die Wahrheit ist, dass in Silke Spiegelburg eine Sportlerin mit Haltung geht, die mehr zu erzählen hatte als viele Goldgaranten oder PR-verformte Höchstleister. Fotogen ist Silke Spiegelburg auch, so ist es nicht, aber sie hat nie das gefällige Zirkus-Schönchen gegeben. Sie kommt aus einer Stabhochsprung-Familie. Der Vater war anfangs ihr Trainer, ihre drei Brüder sprangen auch. Sie betrieb ihre schwierige Disziplin mit tiefer Freude und ohne falsche Erwartung.

2005 verbesserte sie den Junioren-Weltrekord auf 4,48. Viele dachten, sie könne werden wie die Allesgewinnerin Issinbajewa aus dem russischen Staatssport. Silke Spiegelburg selbst wusste es besser: "Jelena Issinbajewa konnte ihre Karriere nach der Juniorenzeit ganz anders fortsetzen als ich, viel professioneller." Spiegelburg studierte Gesundheitsökonomie, lebte in einer WG. Sie bekannte sich zu einem Olympismus, der von Athletinnen mehr verlangt als Fernsehheldentum.

Ihre Karriere ist ein Gesamtkunstwerk aus Botschaften, Erfolgen und Tränen. "Leistungssport hat auch eine Signalwirkung für den Breitensport, für das Gesundheitsbewusstsein in der Öffentlichkeit", hat sie mal gesagt. Zu ihrer besten Zeit war sie eine verlässliche Größe im internationalen Sport. Und ihre Tränen rührten Millionen. Nicht die von Barcelona, sondern jene, die sie später in Sturzbächen vergoss.

Sie war Vierte bei der WM in Berlin 2009, bei Olympia 2012 in London, bei der WM 2013 in Moskau. Jedes Mal war es, als verweigere ihr jemand den gerechten Lohn für ihre harte Arbeit. Jedes Mal konnten alle sehen, wie weh ihr das tat. Heute liest sich diese Serie wie ein Zeugnis ihrer Kraft und konstanten Weltklasse. Sie verzieh ihrem Sport die Ungerechtigkeit, mit Abstand konnte sie auch wieder darüber reden. Dann schaute Silke Spiegelburg auf ihr Werk und sagte: "Das soll mir erst mal einer nachmachen." Niemand wird ihr diese Karriere je nachmachen können.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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