Silber für Kugelstoßer David Storl:Am Ziel - auch wenn drei Zentimeter fehlen

Ein Jahr lang hat Kugelstoßer David Storl auf diesen Tag hingearbeitet - am Ende stehen eine persönliche Bestleistung und die Silbermedaille. Der 22-jährige Deutsche muss sich nur dem Polen Tomasz Majewski geschlagen geben. Und das denkbar knapp.

Thomas Hahn, London

Das war also dieser Tag, auf den er so lange hingearbeitet hatte. Ein lauer Sommertag in London. Wolkenungetüme zogen über den Himmel, mal schien die Sonne, mal nicht, später würde es regnen. Das war der Tag, an dem der Kugelstoßer David Storl nicht mehr auf einen anderen Tag verweisen konnte, wie er das während der ganzen Saison immer hatte tun können. Jeder Wettkampf, den er seit dem Winter bestritten hatte, war immer nur eine Etappe auf dem Weg gewesen, der nun endete.

Silber für Kugelstoßer David Storl: Mit voller Konzentration und Körperspannung zu Silber: David Storl warf nur knapp am Olympiasieg vorbei.

Mit voller Konzentration und Körperspannung zu Silber: David Storl warf nur knapp am Olympiasieg vorbei.

(Foto: AP)

Dieser dritte August war nicht einfach nur ein Tag, den er sich im Kalender rot angestrichen hatte. Dieser Tag war das Ziel und der Zweck all seines Tuns in diesem Jahr, in dieser ganzen ersten Phase seines Athletenlebens. Jetzt gab es keine Ausflüchte mehr, bald würde es losgehen für ihn bei den Olympischen Spielen, und die Kugel ging ihm schwer von der Hand. Er war nicht gut beim Einstoßen. Es kam ihm vor, als finde er nicht richtig hinein in diesen wichtigsten Tag. Immerhin, es war noch früh. Es war noch nichts passiert. David Storl war einfach nur sehr nervös.

Zwölf Stunden später war David Storl Olympia-Zweiter mit der persönlichen Bestweite von 21,86 Metern, nur um drei Zentimeter geschlagen von Tomasz Majewksi aus Polen, der damit seinen Gold-Gewinn von 2008 wiederholte. Und wenn auch die Leichtathletik in manchen Momenten ganz klein aussieht, weil sich die Menschen nicht mehr so sehr dafür interessieren, und das Kugelstoßen erst recht untergeht im Ereignisgewitter des modernen Sportgeschehens - an diesem Abend stand der junge Storl mit diesem Silber-Erfolg auf einmal mittendrin in einer großen, schillernden Welt aus Licht und Klang.

80.000 Menschen waren gekommen an diesem ersten Abend der olympischen Leichtathletik-Wettbewerbe, das ganze Stadion war voll mit der warmen Begeisterung, die von den Rängen kam, und diese aufgeladene Atmosphäre war nun um David Storl herum, als er mit der deutschen Fahne über die Bahn stolzierte. Diese Augenblicke müssen unwirklich schön gewesen sein für ihn, der aus der Ruhe eines harten Trainingsalltags kommt. Zumal sein Athleten-Leben nicht leichter geworden ist, seit alle wissen, wie gut er ist in seinem Sport.

22 Jahre ist David Storl erst alt, trotzdem ist er im vergangenen Jahr schon Weltmeister geworden. Als Jahrhunderttalent firmierte er schon lange, als Kugelstoßer, der weniger mit roher Gewalt agiert als vielmehr mit Tempo und technischer Raffinesse.

Er wurde Junioren-Weltmeister und Junioren-Weltrekordler. Als er im vergangenen Jahr in Daegu Gold gewann, war er der jüngste Kugelstoß-Weltmeister der Geschichte. Und als er vor wenigen Wochen auch noch bei der EM in Helsinki gewann, war er auch der jüngste Kugelstoß-Europameister der Geschichte.

David Storl ist so begabt für seinen Sport, dass der umstrittene, aber sehr erfolgreiche Alttrainer Dieter Kollark aus Neubrandenburg sagt: "Den könnte auch der Gärtner trainieren." Wobei nicht sicher ist, ob jeder beliebige Gärtner den früheren Mehrkämpfer David Storl so behutsam und vielfältig hätte aufbauen können, wie das dessen tatsächlicher Coach Sven Lang über Jahre getan hat.

"Ich hatte ein bisschen Angst zu versagen"

Die Titel sind schön, die Komplimente auch. David Storl hat schon zu viele gehört, als dass er nicht damit umgehen könnte. Aber vor den Olympischen Spielen ist ihm offensichtlich bewusst geworden, dass er nun kein talentierter Außenseiter mehr ist, sondern ein junger Mann, von dem die Leute, die Medien, der Verband etwas erwarten.

"In den letzten Tagen gingen mir viele Gedanken durch den Kopf", sagte er nach der Qualifikation am Vormittag, "ich hatte ein bisschen Angst zu versagen." Der Sportpolizist hatte leise Zweifel. Was würde passieren, wenn er vor allen Augen verliert? Er, von dem man so richtige Niederlagen noch gar nicht kennt.

Dann begann die Qualifikation, auch schon vor vollen Rängen, und Storl brauchte nur einen Versuch, um seine Teilnahme im Finale der besten Zwölf sicherzustellen. 21,15 Meter. "Sicherheitsstoß", urteilte Storl selbst und konnte damit seine Zweifel erstmal wieder begraben. Er war jetzt drin in diesem wichtigsten Tag, er sagte: "Für das Finale habe ich mir eine neue Bestleistung vorgenommen."

Er fuhr zurück ins Olympische Dorf, er duschte, er sammelte sich, er machte sich noch ein paar Gedanken über das, was er erlebt hatte in diesem großen Stadion. Und als viel später der Wettkampf endlich begann, war er hellwach. 21,84 Meter im erszen Versuch, damit hatte er seine Freiluftbestleistung aus dem vergangenen Jahr schon mal um sechs Zentimeter gesteigert.

Die Weite war ein gelungener Schocker für die Konkurrenz, die auch in der zweiten Runde nicht reagieren konnte. Storl verbesserte sich noch auf jene 21,86 Meter, die später in die Wertung eingingen. Er führte. Würde er an diesem Abend schon das Versprechen einlösen, eines Tages als Olympiasieger dazustehen? Er wäre der erste deutsche Leichtathlet gewesen seit den Goldgewinnen von Heike Drechsler und Nils Schumann 2000 in Sydney.

Erst jetzt konterte der Pole. Tomasz Majewski aus Warschau, 30, setzte sich im dritten Versuch um einen Zentimeter vor Storl und steigerte sich noch einmal im sechsten und letzten Versuch. David Storl versuchte, sich zu wehren. Aber nach seinem dritten Stoß auf 21,46 konnte er keinen gültigen Versuch mehr einbringen. Er fluchte zwischendurch. Später riss er die Arme hoch. Das also war dieser Tag, auf den er so lange hingearbeitet hatte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: