Süddeutsche Zeitung

Real-Sieg im Finale der Champions League:Muskelshow des Madridismo

Plötzlich weht ein Orkan über Atlético hinweg: Real Madrid sichert sich die Champions League in einem Spiel, das in den letzten 30 Minuten eine besondere Dramatik erhält. Cristiano Ronaldo nutzt den Gewinn von "La Décima" für einen späten Triumphzug.

Von Jonas Beckenkamp

Spanier müsste man sein, dann käme einem Kinderquatsch wie die Bierdusche gar nicht erst in den Sinn. Sowas machen nur Deutsche - und es hätte sich auch nicht gehört, schließlich weilte der König höchstpersönlich unter den Feiernden. Juan Carlos I. hatte den Spielern von Real Madrid soeben freudestrahlend die Hände geschüttelt und ihnen zum Triumph in der Champions League gratuliert, da wählte ein Partymob aus Fußballprofis kurzerhand eine andere Art der fiesta. Sami Khedira und einige seiner Kollegen stürmten die Pressekonferenz, auf der ihr Trainer Carlo Ancelotti gerade das Erlebte in Worte fasste.

"Como no te voy a querer," trällerte die ausgelassene Boygroup, natürlich bewiesen bei diesem Klassiker des Madridismo ("Wie könnte ich dich nicht lieben") auch Ausländer wie Marcelo oder Luka Modric Textsicherheit. Und natürlich floss auch Alkohol. Aber eben kein klebriger Gerstensaft.

Real Madrid, dieses Monument des Fußballs, der erhabenste Klub der Welt, die edelste Versuchung aus dem Reich der Galaktischen hat endlich La Décima gewonnen - nachdem der zehnte Landesmeister-Titel für die Königlichen zu einer echten Obsession geworden war. Als in dieser rauschenden Nacht in Lissabon das 4:1 (0:1, 1:1) nach Verlängerung gegen den Stadtrivalen Atlético reale Züge annahm, spielten sich viele kleine und große Dramen ab. So klar wie es das Ergebnis ausdrückt, verlief die Partie nämlich bei weitem nicht.

Wille, Kraft, Wucht

"Nach so vielen Jahren Wartezeit haben wir unseren Fans endlich die Freude dieses Titelgewinns machen können. Wir haben gegen einen großartigen Gegner Geschichte geschrieben", sagte Sergio Ramos. Der Verteidiger zerrte seine Mannschaft in der Nachspielzeit mit einem sehenswerten Kopfballtreffer (93. Minute) aus dem Verlierer-Schlamassel.

Bis dahin hatte "Atléti" die Führung durch Diego Godín (36.) im Stile einer Horde Höllenhunde verteidigt. Es war ein intensives, aufreibendes Spiel. Ein Kampf zweier Kolosse, die verdient dieses Endspiel erreicht hatten. Hier der elegante Überschall-Fußball Reals, da die taktisch perfekt getrimmte Mannschaftsmaschine der Colchoneros aus dem Madrider Süden. Kein Wunder, dass dieses Duell über 120 Minuten dauerte, ehe es einen Sieger ausspuckte. "In der Verlängerung ist das Spiel total gekippt, weil wir mehr Wille übrig hatten", erklärte Ancelotti, "das 1:1 so kurz vor Schluss hat uns viel Kraft verliehen."

Wille, Kraft, Wucht - was dann passierte, werden selbst kreuzbrave Geschichtsschreiber als königlichen Orkan durchgehen lassen. Real rannte an, während Atlético nach Luft schnappte. Am Ende krallte sich der Favorit den Pokal dank weiterer Tore von Gareth Bale (110.), Marcelo (118.) und Cristiano Ronaldo, der noch per Elfmeter traf.

Simeone entschuldigt sich

Überhaupt, Ronaldo: 75 Minuten lang bot der fürs Finale kurzfristig fit frisierte Portugiese biederen Minimalismus, aber dann warf er sich doch noch in Pose. Als er mit seinem 17. Treffer in dieser Champions-League-Saison einen weiteren Rekord geknackt hatte, zeigte er der versammelten Fernsehwelt eine unvermeidliche Muskelshow à la Mario Balotelli.

"Seit ich hierhergekommen bin, war ich bereit, diesen Titel zu holen. Der Druck hat mich besser gemacht - hier ist die Décima, sogar mit gebrochenen Rekorden", sagte der Weltfußballer, "es hat sich gelohnt, dass wir mehr riskiert haben." Gepokert hatten sie zu Spielbeginn auch bei Atlético, wo der plötzliche Einsatz von Stürmer Diego Costa sich als Farce entpuppte. Die Muskelverletzung des 25-Jährigen hatte auch eine serbische Wunderheilerin nicht kurieren können, trotzdem beorderte ihn Trainer Diego Simeone in die Startelf. Doch nach gerade einmal neun Minuten musste er humpelnd wieder raus.

Atlético musste also früh wechseln und hatte in der Schlussphase, als die Kräfte rapide schwanden, nicht mehr die Möglichkeit, einen frischen Spieler zu bringen. Oder durch eine Einwechslung etwas Zeit zu schinden, um den Ausgleich zu verhindern. "Es war meine Verantwortung, ihn zu bringen und deshalb auch mein Fehler", sagte Simeone. "Ich entschuldige mich dafür."

Tumulte auf dem Platz

Der Argentinier lieferte sich kurz vor Ende eine heftige Debatte mit Reals Verteidiger Raphael Varane, der den Gegner provoziert hatte, indem er einen Ball Richtung Atlético-Bank schmiss. Es gab einige Tumulte auf dem Platz, doch auch diese Episode hatte Simeone später abgehakt. Es überwiege nicht "die Traurigkeit, sondern die Verbitterung", erklärte er tief enttäuscht.

So blieb es den Königlichen überlassen, diese Nacht in Feier-Extase zu verbringen. Am Cibeles-Brunnen der spanischen Hauptstadt hatten sich Zehntausende versammelt, um ihre Helden in Empfang zu nehmen - gegen 6 Uhr morgens war es dann so weit. Als Sergio Ramos der Gottes-Statue auf dem Monument einen Real-Schal umgehängt hatte, schwappte die Stimmung über.

"Das Tor von Sergio habt ihr alle zusammen reingemacht", rief Torwart Iker Casillas, während Ramos selbst noch eine Nachricht für den Stadtrivalen hatte: "Jetzt haben die Indios (die Anhänger von Atlético, d. Red.) kapiert, wer hier das Sagen hat." Spanier müsste man sein - und am besten noch Real im Herzen tragen. Dann wäre dieser Sonntag gewiss ein ganz besonderer.

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