EM-Qualifikation:Fußball gegen Handballer

Mit dem 6:1 in der EM-Qualifikation gegen Aserbaidschan ist der deutschen Nationalmannschaft mühelos der Übergang in den Alltag gelungen. Die Kölner Fans dürfen dabei sogar Lukas Podolski feiern.

Claudio Catuogno

Joachim Löw hatte "Handball" erwartet, und er bekam Handball. Oder besser: Fußball, der wie Handball aussah. Allerdings hatte der Bundestrainer mit seiner Prophezeiung nicht diese dynamische, kraftbetonte und daher äußerst beliebte Sportart gemeint, die in den Arenen von Kiel, Flensburg oder Hamburg gespielt wird. Sondern eher eine hilflose Form der Fußballverweigerung: "Der Gegner steht mit zehn Mann im Strafraum herum", bildet eine Art Halbkreis wie beim Handball, "in einer Breite von vielleicht 40 Metern und in einer Tiefe von vielleicht 20 Metern." Das waren vor dem EM-Qualifikationsspiel am Dienstagabend in Köln Löws Vermessungsdaten für Aserbaidschan. Nach dem Spiel konnte er zufrieden sagen: "Die Mannschaft hat teilweise toll kombiniert. Es macht Spaß, diese Kombinationen wieder zu sehen. Es ist gut, dass wir nach dem 3:0 nicht aufgehört haben, sondern weitergespielt haben."

Podolski celebrates scoring a goal against Azerbaijan with teammates Khedira and Lahm during their Euro 2012 qualifying soccer match in Cologne

Wieder glücklich: Lukas Podolski herzt Mesut Özil, während Philipp Lahm zusehen muss.

(Foto: Reuters)

Dass der Bundestrainer in diesem Jahr eine Mannschaft beisammen hat, die Fußball spielen kann, daran hatte nicht nur die WM in Südafrika keinen Zweifel gelassen, sondern auch der Auftakt in die neue Punkterunde vergangenen Freitag in Belgien (1:0). Wie diese Elf - nach rauschenden Festen unter anderem gegen England und Argentinien - nun mit dem schmucklosen Fußball-Alltag zurechtkommen würde - die Beantwortung dieser Frage stand aus. Und am Ende durfte Joachim Löw festhalten, dass seine Männer auch diese Herausforderung bestanden hatten: Durch die Tore von Heiko Westermann, Lukas Podolski, Miroslav Klose (2) und Holger Badstuber, dazu ein Eigentor, hieß es gegen Aserbaidschan am Ende 6:1. Und wenn Löw das Spiel in einen griffigen Lehrsatz packen wollte, dann würde der lauten: Man muss auch gegen Handballer Fußball spielen.

Vielleicht gibt es für so einen Alltagstest keinen besseren Ort als das Stadion von Köln, wo man - Lukas Podolski kann davon erzählen - auch holprige Fußballspiele gewöhnt ist und der Nationalelf ein solches wohl verziehen hätte. Hauptsache, das Viva Colonia kommt flüssig aus den Lautsprechern. Joachim Löw und Berti Vogts saßen vor dem Anpfiff zum entspannten Plausch zusammen, als wären sie ausschließlich alte Bekannte und nicht dazu noch die Trainer zweier rivalisierender Mannschaften. Aber genau genommen hatte Vogts ja schon vor Wochen die Waffen gestreckt, eine "Lehrstunde, für die man sonst sehr viel Geld zahlen muss", hatte er für seine Spieler aus dem Fußball-Entwicklungsland Aserbaidschan erwartet, noch dazu vor 43.000 Zuschauern: "Diese Kulisse wird sie beeindrucken, sie spielen sonst vor 200 Leuten", übertrieb Vogts.

Aber auch eine Lehrstunde hält bisweilen Überraschungen bereit - die erste war gleich mal die Rolle von Philipp Lahm. Weniger überraschend war dabei noch, dass man ihm beim Absingen der Hymnen einen Jungen vor die Brust gestellt hatte, der ihm bis an die Nasenspitze reichte (das Bild dürfte Michael Ballack gefallen haben). Überraschend war, dass der Ersatzkapitän nach langer Zeit mal wieder auf der linken Seite zum Einsatz kam. Der Schalker Heiko Westermann, den viele für den verletzten Marcell Jansen hinten links erwartet hatten, blieb zunächst auf der Bank, stattdessen durfte sich der Wolfsburger Sascha Riether rechts in der Viererkette beweisen.

Mertesackers Platzwunde

Die zweite Überraschung war, dass der Innenverteidiger Per Mertesacker den Abend in der deutschen Sturmspitze verbringen wollte, jedenfalls waren noch keine zwei Minuten gespielt, da hatte der Bremer schon zwei Vorstöße bis an den Strafraum der Aserbaidschaner unternommen. Kurz darauf zog er sich bei einem Zusammenstoß eine Platzwunde unter dem rechten Auge zu und verbrachte den Abend in einer Kölner Klinik, wo er geröntgt wurde, um schlimmere Blessuren auszuschließen. Westermann durfte ihn ersetzen, und er interpretierte die Rolle des Innenverteidigers ähnlich: Nach einem Pass von Miroslav Klose schoss er aus kurzer Distanz den Torwart Aghayev an, bekam den Ball zurück auf den Fuß, zielte diesmal besser - 1:0. Da waren 28 Minuten gespielt.

Der Kölner Podolski schien sich so sehr nach Bewunderung des Publikums zu sehnen, dass er im Übereifer manchmal das Zusammenspielen vergaß; er scheiterte mit gleich drei Gewaltschüssen innerhalb von fünf Minuten. Erst kurz vor der Pause brachte er den Ball - nach pfiffigem Doppelpass mit Mesut Özil - zum 2:0 im Tor unter (45.), Sekunden später bediente er Klose, der im Fallen das 3:0 erzielte. Das war die Phase, als die Deutschen den kompakten Abwehrverbund so überlisteten, wie Löw sich das gewünscht hatte: mit Geschwindigkeit und Kombinationssicherheit.

Die zweite Halbzeit? Sie war zunächst die Halbzeit der Missgeschicke, wobei die DFB-Elf das erste noch ihrem bestechenden Angriffsdrang zuschreiben konnte: Khedira flankte von rechts, Sadygov streckte sich, erreichte den Ball mit dem Kopf - und von dort flog die Kugel ins eigene Tor (53.). Das zweite dürfte den deutschen Torwart Manuel Neuer noch eine Weile beschäftigen, denn nach einem der wenigen Eckbälle Aserbaidschans sah es schon ziemlich tölpelhaft aus, wie der Ball von Neuers Körper über die Linie hoppelte (57.). Da war es plötzlich ziemlich still in der Kölner Arena.

Dann die 86. Minute: Ecke Özil, Kopfball Badstuber, 5:1, es war sein erster Länderspieltreffer. Und schließlich kurz vor dem Abpfiff: Pass Cacau, Schuss Klose, 6:1. Es war Kloses 55. Treffer im 103.Länderspiel, und die Kölner sangen begeistert: "Lukas Podolski!" Der wiederum sagte zufrieden: "Das war ein weiterer Schritt nach vorn in meinem Wohnzimmer." Die offizielle Bilanz des Abends zog Kapitän Philipp Lahm, er sprach: "Wir haben sechs Tore geschossen, ich glaube, da kann man zufrieden sein. Die Mannschaft hat Spaß, Fußball zu spielen und Tore zu schießen. Das hat man heute gesehen."

Deutschland: Neuer (FC Schalke 04/24/13) - Riether (VfL Wolfsburg/27/2), Mertesacker (Werder Bremen/ 25/71), ab 11. Westermann (Hamburger SV/27/21), Badstuber (FC Bayern/21/6), Lahm (FC Bayern/26/73) - Khedira (Real Madrid/23/14), Schweinsteiger (FCBayern 26/83), ab 78. Cacau (VfB Stuttgart/29/14) - Müller (FC Bayern/20/10), ab 62. Marin (Werder Bremen/21/13), Özil (Real Madrid/21/19), Podolski (1.FCKöln/25/81) - Klose (FC Bayern/32/103). - Trainer: Löw.

Aserbaidschan: Aghayev (Xäzär Länkäran/24/17) - Medwedew (Qarabag Agdam/20/12), R. F. Sadigov (Q. Agdam/28/65), Yunisoglu (FK Baku/24/22), ab 56.Huseynov (FK Qäbala/22/3), Allahverdiyev (Q. Agdam/26/11) - Dzavadov (Twente Enschede/21/29), Shukurov (A. Machatschkala/ 27/44), Nadirov (Q. Agdam/23/28), ab 85. Abdullayev (Neftic Baku/18/3) Chertoganov (Simurq Zaqatala/30/38), ab 64. Sadigov (Q. Agdam/26/11), Malikov (N. Baku/ 24/30) - Abbasov (Q. Agdam/32/39). - Trainer: Vogts.

Tore: 1:0 Westermann (28.), 2:0 Podolski (45.+1), 3:0 Klose (45.+2), 4:0 R. F. Sadigov (53./Eigentor), 4:1 Dzavadov (57.), 5:1 Badstuber (86.), 6:1 Klose (90.+2). - Gelbe Karten: keine - Schiedsrichter: Strömbergsson (Schweden). - Zuschauer (in Köln): 43751.

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