Sieg des FC Bayern gegen Wolfsburg:Zeugen Lewandowskis

Aus dem Stadion von Jonas Beckenkamp

Unter den Tagen für die Fußball-Ewigkeit bekommt nun auch der 22. September 2015 seinen Platz - die Ahnenforscher des Sports werden in ihren digitalen Kalendern frisch durchwischen, sie werden das Kästchen für diesen Tag in signalstarken Herbstfarben hervorheben und dann werden sie den Namen Robert Lewandowski eingravieren. Fünf Tore. In neun Minuten.

Ein solcher Irrsinn übersteigt selbst jene vier Tore, die derselbe Lewandowski am 24. April 2013 gegen Real Madrid erzielte. Er rangiert je nach Gelehrtensicht nun irgendwo zwischen dem 8. Juli 2014, der magischen DFB-Nacht des 7:1 gegen Brasilien, und dem Wembley-Tor am 30. Juli 1966. Sogar nah dran an anderen Großereignissen des Fußballs wie dem Wunder von Bern am 4. Juli 1954 oder der Geburt Franz Beckenbauers (11. September 1945).

"Fünf Tore in einer Halbzeit sind mir noch nie gelungen"

Lewandowski ist jetzt ein Rekordhalter. Ein Hall-of-Famer. Ein Ballermann für die Geschichtsbücher. Aber er ist auch der Typ, der nach dem 5:1 (0:1) des FC Bayern gegen den VfL Wolfsburg mit einem grasverschmierten Ball in der Hand vor den Reportern stand und nach Worten rang.

"Unglaublich", stammelte er, "fünf Tore in einer Halbzeit sind mir noch nie gelungen. Ein großer Abend für mich." Selten hat ein Stürmer nach einem Spiel so viel gegrinst, noch nie wirkte der sonst zurückhaltende Pole so ausgelassen. "Ich hatte keine Ahnung, wie schnell alles ging. Nach dem dritten oder vierten Tor habe ich auf die Leinwand geschaut und konnte es nicht fassen."

Es war sein Spiel des Lebens, sein Heldentag. Die Nacht, in der 75 000 Zuschauer und ein ganzer Haufen weiterer Beobachter an den Fernsehbildschirmen Zeugen eines Naturphänomens wurden: Sie wurden Zeugen Lewandowskis, der wie King Kong über elf Wolfsburger hinwegpolterte. Auf der Pressekonferenz saß mit Pep Guardiola einer dieser Zeugen - und man darf behaupten, dass der Katalane schon so einiges gesehen hat auf den Fußballplätzen dieses Erdballs (Stichwort Messi). Trotzdem blieb selbst dem Bayern-Trainer nur die Kapitulation: "Die Leute fragen mich, was passiert ist und ich muss sagen: Ich weiß es nicht. So was habe ich noch nie erlebt, weder als Spieler, noch als Trainer."

Wahnsinn zwischen Minute 51 und 60

Bayern Munich's coach Guardiola reacts after his team scored a goal during their German first division Bundesliga soccer match against Wolfsburg in Munich

Konnte kaum glauben, was er da zu sehen bekam: Pep Guardiola

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

All jenen, die Lewandowskis Leistung wegen des Oktoberfests verpasst haben, sei gesagt: selber schuld. Keinem Bayern-Fan kann die Mass Bier so gut geschmeckt haben wie diese fünf Tore. Der Pole war zur Halbzeit ins Spiel gekommen, es stand 0:1 aus Sicht der Bayern - und einiges deutete nach Daniel Caligiuris Knallertor (26. Minute) auf einen ärgerlichen Herbstabend hin, weil das Münchner Ballgeschiebe meist vor dem VfL-Sechzehner seine Herrlichkeit verlor. Was dann zwischen Minute 51 und 60 passierte, entlockte den Beteiligten später die Worte "einmalig" (Manuel Neuer), "Wahnsinn" (Philipp Lahm) und "entfesselt" (Thomas Müller).

Lewandowski traf zum 1:1 nach einer Paradeversion des Münchner Tiki-Taka über Mario Götze, Arturo Vidal und Müller. Lewandowski traf zum 2:1 per Kracher aus 20 Metern, Lewandowski traf zum 3:1 im dritten Stocherversuch, Lewandowski traf zum 4:1 mit einem Abstauber aus dem Hinterhalt - und Lewandowski traf zum 5:1 mit einem Scherenschlag, so schön wie ein Kunstwerk aus dem Fußball-Louvre. "Zu Lewy muss man nicht viel sagen. Der Seitfallzieher war wahnsinnig gut ausgeführt", erklärte Müller voller Bewunderung, "so ein Super-Spiel von einem Spieler erlebt man nicht alle Tage."

Er hatte sogar noch weitere Chancen

Neun Ballkontakte brauchte der Pole, um der Welt zu zeigen, dass er derzeit der vielleicht "beste Stürmer der Welt" (Jérôme Boateng) ist. Neun kurze Momente, um diese Rekorde zu brechen: Schnellster Hattrick der Bundesliga-Geschichte, schnellster Viererpack, schnellster Fünferpack - erster Einwechselspieler, der fünfmal in einer Partie trifft. Dazu erster Bayern-Profi seit Dieter Hoeneß im Jahr 1984, der fünfmal in einem Spiel erfolgreich ist. Nur eine Marke übertraf der unglaubliche Lewandowski nicht: Dieter Müllers sechs Tore in einem Spiel, die der damalige Kölner beim 7:2 gegen Bremen im Jahr 1977 zustande brachte.

Das Aberwitzige ist: Die Chancen, auch diese Bestmarke zu pulverisieren, waren da. Minuten nach seinem letzten Treffer scheiterte Lewandowski mit einem Schuss, den Ricardo Rodriguez von der Linie kratzte - und kurz vor dem Ende warf sich der ehemalige Münchner Dante noch in einen Volleyschuss des Polen. Sieben Treffer. Kein Witz. Es war möglich, viel fehlte nicht. "Er hätte heute mit sieben nach Hause gehen können. Da muss man kritisch sein und ihm die beiden Chancen, die er vergeben hat, unter die Nase reiben", scherzte Philipp Lahm, "denn das kann ja wohl nicht sein."

Die Witzeleien der Kollegen sind Lewandowski also gewiss - er wird es verkraften. Und dann steht ja auch noch der offizielle Wiesn-Besuch der Mannschaft am Mittwoch der kommenden Woche an. Dort, so Mario Götze, seien dann "alle eingeladen und Lewy zahlt".

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