Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven in der Formel 1:Der Himmel ist die Grenze? Nicht für Hamilton

Der Brite fährt zum Rekord-Sieg und hat den nächsten WM-Titel in Sicht. Nachdem sich Sebastian Vettel in die Punkte quält, kommt wieder die Vertrauensfrage auf. Das Renn-Wochenende in Portimão.

Von Elmar Brümmer

Lewis Hamilton

Zwei Wochen nur lagen Michael Schumacher und Lewis Hamilton, die beiden Ausnahme-Rennfahrer des Jahrtausends, gleichauf an der Spitze der Siegwertung in der Formel 1. Mit dem achten Saisonerfolg und dem 92. Grand-Prix-Triumph seiner Karriere gehört der Rekord nun dem Briten ganz alleine. Am siebten Titelgewinn, durch den er mit dem Kerpener gleichziehen würde, zweifelt angesichts von 77 Punkten Vorsprung bei nur noch fünf WM-Läufen auch keiner mehr. Als er in Portimão nach der Siegerpose von seinem Mercedes auf den Boden der Boxengasse sprang, machte er in dem kurzen Moment in der Luft Flatterbewegungen mit den Armen. Er hätte auch allen Grund abzuheben. Auf die Frage, was noch alles kommen soll, antwortete der 35-Jährige: "Ich glaube nicht an das Sprichwort, dass der Himmel die Grenze ist. Es hängt davon ab, wie sehr wir es wollen, die Messlatte noch höher zu legen. Dass bei Mercedes niemand mit dem Erfolg zufrieden ist, inspiriert auch mich immer wieder neu. Jedes Rennen fühlt sich wie das erste an."

Ola Källenius

"Wir wären verrückt", sagte der Daimler-Boss auf die entsprechende Frage des Manager Magazin, "wenn wir das alles wegwerfen würden." Es ist das erneute Bekenntnis, dass Mercedes der Formel 1 treu bleiben will - das ist keine Überraschung, so kurz vor dem siebten Konstrukteurs-Titel und vor Lewis Hamiltons erneutem Triumph. Der Rennstall rechnet sich, die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit ist durch die Hybrid-Technik und die Umstellung auf e-fuels längst erfüllt. Fazit: "Unser Formel-1-Team wird von einer Kostenstelle zum wertvollen Unternehmen, fast wie Bayern München". Auch die Vertragsverlängerung mit Hamilton scheint nur noch eine Frage der Zeit - und des Geldes - zu sein. Der Champion pokert noch, sagt aber: "Ich plane, nächstes Jahr dabei zu sein." Normalerweise laufen seine Verträge über drei Jahre. Weltmeistermacher Toto Wolff, der den Erfolg der Silberpfeile als "surreal" bezeichnet, wenn er sich an seine Anfänge Ende 2012 erinnert, hat in Portimão dazu im Spaß bemerkt: "Da werden wir wohl einiges an Inventar verkaufen müssen, um ihn uns leisten zu können."

Sebastian Vettel

Ein 15. Startplatz, das ist indiskutabel für einen Rennfahrer vom Kaliber Sebastian Vettels. Leider aber auch seine neue Normalität. Während Ferrari-Kollege Charles Leclerc mit einem leicht verbesserten Auto Vierter wurde, quälte sich der Heppenheimer zum Minimalziel: in die Punkteränge. "Ich bin nicht hier, um einen Punkt zu holen und mich dann darüber zu freuen", sagte Vettel. Jede Runde war ein Auf und ab in der Leistung des Autos, ein paar Mal war Vettel nahe dran, von der Piste zu fliegen. Einmal mehr kam die Vertrauensfrage auf. Teamchef Mattia Binotto sah sich schon genötigt zu bestätigen, dass Vettel die Saison in Rot zu Ende fahren soll. Der kämpft wohl heftig mit seinem Anspruch und gegen die Verzweiflung. "Ein Ergebnis wie dieses tut natürlich weh, es ist schwer zu verarbeiten. Zumal meine eigenen Erwartungen ja viel höher sind als die der anderen. Aber ich beiße mir regelmäßig die Zähne in bestimmten Bereichen aus." Das erhöht die Selbstzweifel: "Irgendein Idiot kommt vielleicht nie dahinter, aber ob ich ein kompletter Idiot bin? Das wage ich zu bezweifeln." Binotto musste ein zweites Mal eine Versicherung abgeben: diesmal die, dass beide Ferrari technisch identisch sind.

Witali Petrow

Über seine Rolle als einer der drei Rennkommissare in Portugal hatten sich Lewis Hamilton und die britische Presse beschwert, nachdem sich Petrow in einem Interview nicht mit Hamiltons Engagement für die Black-lives-matter-Bewegung und den entsprechenden Kniefällen vieler Fahrer identifizieren wollte. Die Bemerkungen des 36-Jährigen wurden als homophob empfunden, außerdem verwiesen die Kritiker auf den Widerspruch zur offiziellen Kampagne #WeRaceAsOne des Automobilweltverbandes FIA. Die Funktionäre wiesen den Einspruch ab, man blicke bei der Berufung ausschließlich auf die jeweilige Expertise und nicht darauf, wie sich jemand außerhalb der offiziellen Funktion äußere. Der Russe Petrow hatte zwischen 2010 und 2012 insgesamt 57 Formel-1-Rennen bestritten. Zu seinem Einsatz im Rennen in Portugal kam es aber nicht. Sein Vater Alexander war in Wyborg im Nordwesten Russlands ums Leben gekommen, die Rede ist von einem Mord an dem 61 Jahre alten Geschäftsmann.

Valtteri Bottas

Der zweitbeste Fahrer von Mercedes und der Formel 1 ist zum Schwärmer und Genießer geworden, seit er mit der australischen Radfahrerin Tiffany Crowell zusammenlebt. Im zubereiten von Espresso gilt der Finne als Meister-Barista, die Lebensgefährtin wiederum sei Expertin für Pfannkuchen. Was für ein glückliches Leben, wenn da nicht dieser Hamilton wäre, der scheinbar genüsslich den Mercedes-Kollegen und -Konkurrenten im Glauben lässt, diesmal sei er zu schlagen. In Portimão ging Bottas, der alle Trainingssitzungen dominiert hatte, am Ende der Qualifikation auf die gleiche, ungewöhnliche Reifenwahl wie Hamilton. So konnte er sich die Bestzeit sichern - dachte er. Aber der Rivale drehte noch eine Zusatzrunde, in der die Pneus richtig warm wurden, und holte sich so doch noch die Pole-Position. Im Rennen lief es nicht viel anders. "Mir fehlte der Speed", sagte der 31-Jährige und gestand: "Im Moment habe ich noch keine Antworten."

Portimão

Wem die Zeitumstellung so zu schaffen gemacht hat, dass er den um eine Stunde früheren Start zum Großen Preis von Portugal nicht mitbekommen konnte - der hat wirklich etwas verpasst. Die ersten sieben Runden waren die spannendsten, verrücktesten des Jahres. Plötzlich führt nach zwei Runden ein Carlos Sainz im McLaren und Hamilton ist nur Vierter, alles ganz ohne Crash. Die Fahrt ins Ungewisse, ohne auf exzessives Datenmaterial der letzten Jahrzehnte bauen zu können, tut der Perfektionisten-Formel sichtlich gut. Die rutschige Berg- und Talbahn an der Algarve mit ihren vielen blinden Kurven auch. Dass die Top-Fahrer kalt erwischt wurden, lag an den Temperaturen und der Herausforderung, die Reifen auf Betriebstemperatur zu bringen. Als die stimmte, war es wie immer. Deshalb setzen die Fans, aber auch Teamchefs wie Toto Wolff von Mercedes aufs nächste Wochenende. In Imola ist seit 2006 nicht gefahren worden, und als Test für die Zukunft wird der Trainingsfreitag entfallen. Sieger Hamilton machte den Portugiesen für ihre Piste jedenfalls ein dickes Kompliment: "Auf dieser Strecke kommst Du nie zur Ruhe. Hier zu fahren ist wirklich hard core."

Alexander Albon

Der Thailänder in Diensten von Red Bull hat in etwa das Problem, das Sebastian Vettel auch hat - er fällt drastisch ab gegen den Teamkollegen. Max Verstappen wurde im Red-Bull-Honda Dritter, Albon Zwölfter. Langsam wird es eng für den 24-Jährigen. "Wir erwarten natürlich etwas mehr von Alex", sagte Teamchef Christian Horner, und das ist eine charmante, aber unmissverständliche Drohung, "wir erwarten von ihm, dass er stark in Imola zurückschlägt." Ein Ultimatum des britischen Managers: "Wir müssen uns nun langsam mal unsere Gedanken zur nächsten Saison machen." Klar ist wohl, dass der sportlich starke Pierre Gasly aus dem Schwesterrennstall Alpha Tauri nicht noch eine Chance im A-Team bekommen soll. Vielmehr will Red Bull sich erfahrene Kräfte von außerhalb suchen. Die Namen sind kein Geheimnis: Edelreservist Nico Hülkenberg aus Emmerich und Sergio Perez, obwohl der Mexikaner auch bei Williams im Gespräch ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5093745
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.