Sieben Kurven der Formel 1:Der unglückliche Vettel

Der Deutsche steht bei Ferrari plötzlich im Schatten von Charles Leclerc. Max Verstappen macht sich über Nico Rosberg lustig. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Philipp Schneider, Monza

Charles Leclerc

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(Foto: Getty Images)

21 Jahre alt ist Charles Leclerc. Man muss das immer mal wieder, und insbesondere aus aktuellem Anlass, einfach so festhalten: Charles Leclerc ist erst 21 Jahre alt! Er fährt seine Rennen nämlich inzwischen so ausgebufft und abgezockt wie der späte Fernando Alonso. Oder der gegenwärtige Lewis Hamilton. In Monza nun ist Leclerc eine Woche nach seinem Gesellenstück, dem Premieren-Sieg in der Formel 1 in Spa, gleich sein Meisterstück gelungen: Er hat sich in Monza mit einer knallharten Fahrweise, die die Grenzen des Erlaubten dehnte, wenn nicht sogar sprengte, über mehrere Runden der Angriffe der Silberpfeil-Piloten Hamilton und Valtteri Bottas erwehrt, die er beide in Fahrfehler trieb. Das Erstaunlichste an Leclercs Entwicklung ist, dass er aus jeder negativen Erfahrung, aus jedem einzelnen Rückschlag, zu lernen scheint wie Lieutenant Commander Data vom Raumschiff Enterprise. Data ist auf der Enterprise ein wegen seiner Schlauheit von den Kollegen sehr geschätzter Android, also ein humanoider Roboter. Wenn Data etwas beherrschen möchte, das er noch nicht kann, dann zieht er sich einfach in Bruchteilen einer Sekunde eine Bedienungsanweisung auf seine Festplatte. Data will Helikopter fliegen können? Update, zack! So geht Helikopterfliegen! Data will Poker spielen? Zack! Data pokert weltklasse! So ähnlich läuft es auch mit der Karriere Leclerc. Vor der Sommerpause hatte er sich beim Rennen in Spielberg noch einen möglichen Sieg von Max Verstappen wegschnappen lassen. Lelcerc hatte sich mehr oder weniger abdrängen lassen, noch Stunden nach Rennenden hatten die Kommissare diskutiert, ob Verstappens Fahrweise regelkonform gewesen war. Sie urteilten: Ja, das war sie. Und Leclerc verstand: Zack! So knallhart wird gefahren in der Formel 1! In Monza hielt er nun voll dagegen, als ihn Hamilton überholen wollte, er drängte ihn von der Strecke in den Notausgang. "Ich habe seitdem meine Einstellung geändert und das hat mir heute dabei geholfen zu gewinnen. Das Manöver war natürlich nah am Limit", sagte er. Und von Hamilton, dem Großmeister der subtilen Spitzen (siehe Nico Rosberg), hat er womöglich gelernt, wie psychologische Kriegsführung im eigenen Team funktioniert. Er thematisierte die Konsequenzen von Vettels Dreher: "Ich musste alleine gegen zwei Gegner kämpfen. Sie konnten die Strategie splitten und haben mich die ganze Zeit unter Druck gesetzt." Der Treffer saß tief.

Sebastian Vettel

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(Foto: Getty Images)

Es war eine der unangenehmsten Pressekonferenzen seiner Karriere, die Sebastian Vettel am Sonntagabend irgendwie hinter sich bringen musste. Er erlebte sie hinter dem hochgestellten Kragen einer ferrariroten Regenjacke, von dem er sich wohl am liebsten die Sicht auf die Journalisten hätte nehmen lassen wollen, die nun all diese huldigenden Fragen an seinen Teamkollegen Charles Leclerc richteten: Ob Leclerc es für möglich gehalten hätte, gleich in seinem ersten Jahr bei der Scuderia den seit 2010 so sehnlich erwarteten Heimsieg in Monza zu ermöglichen? Vettel selbst wurde stattdessen gefragt, wie es ihm schon wieder hatte passieren können, dass er sich mit einem Fahrfehler um eine Krönung in Monza gebracht hatte? Die Situation war diesmal sogar noch etwas unangenehmer für Vettel als im Vorjahr. 2018 war er in der Eröffnungsrunde mit Lewis Hamilton aneinandergeraten. Diesmal hatte er sich in der Ascari-Kurve ohne Fremdeinwirkung gedreht. Und beim Zurückrollen auf die Strecke hatte er auch noch den heranrasenden Lance Stroll übersehen und dessen Racing Point touchiert, weswegen ihm die Kommissare eine Zwangspause von zehn Sekunden in der Boxengasse empfahlen. Am Ende wurde Vettel nur 13. Er liebe noch immer, was er tue, versicherte Vettel. Er meinte das Rennfahren. Aber es sei auch so: "Wenn Du es nicht gut machst, kannst Du auch nicht glücklich sein." Glücklich sah er nicht aus, als am Abend neben Leclerc und seinem Teamchef Mattia Binotto saß. Sein junger Teamkollege hat Vettel nun erstmals auch in der Gesamtwertung überholt. Und es stellt sich die Frage, ob Vettel bei Ferrari jemals wieder so glücklich wird, wie er es noch vor dieser Saison war.

Nico Rosberg

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(Foto: Matthias Balk/dpa)

Nico Rosberg ist neuerdings Journalist. Das sieht er offenbar zumindest selbst so. Als er selbst noch aktiver Rennfahrer gewesen sei, das hat der Weltmeister von 2016 nun in einem seiner Videoblog verkündet, da habe er es auch "gehasst, wenn Journalisten mich mit der Kritik anderer Fahrer konfrontiert haben. In meinem Fall war das oft David Coulthard". Wie Rosberg da nun drauf kam? Der aktive Rennfahrer Max Verstappen hatte etwas gehasst, dass der Videoblogger und TV-Sidekick Rosberg zuvor über ihn gesagt hatte: Verstappen bewege sich am Limit, das könne jeder sehen, so kommentierte Rosberg den Crash, in den der Niederländer beim Rennen in Spa verwickelt war. In Monza dann erwiderte Verstappen: "Nico hat mich in einem anderen Beitrag einen Narzissten genannt, das fand ich etwas extrem. Ich fand Rosberg nie glaubwürdig, schon als Fahrer nicht. Das ist vielleicht sein Problem. Er verströmt keine Anziehungskraft, und einen Job bekommt er auch keinen. Ich weiß wirklich nicht, was er eigentlich will. Mehr Klicks? Geld? Wenn dies das Ziel wäre, dann hätte er weiterfahren sollen." Diesen Satz wiederum fand Lewis Hamilton, Rosbergs ehemalige Nemesis bei Mercedes, sehr erheiternd. Er goutierte die Aussage auf Instagram mit ein paar überschwänglichen Symbolen. Auf Nachfrage, was so lustig sei, sagte Hamilton: "Max ist generell einfach ein lustiger Kerl." Und fügte mit Blick auf Rosberg an: "Leider sind Fahrer nach ihrem Rücktritt bedeutungslos und müssen sich deshalb ins Scheinwerferlicht anderer Fahrer drängen. Aber ich schätze, das gehört zu diesem Sport dazu."

Kimi Räikkönen

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(Foto: AFP)

Kimi Räikkönen, beziehungsweise sein Team von Alfa Romeo, sorgte am Sonntag mit einer bemerkenswert unnötigen Bestrafung für große Erheiterung in der Formel 1. Der rennerfahrene Finne musste einen Strafstopp von zehn Sekunden in der Box absolvieren. Und zwar: Weil ihm sein Team beim Rennstart die falschen Reifen an den Wagen geschraubt hatte. Die Regel sieht vor, dass Fahrer die gebrauchten Pneus am Auto haben müssen, die im zweiten von insgesamt drei Teilen der Zeitenjagd benutzt wurden. Weil Räikkönen aber im dritten Abschnitt einen Crash erlebt hatte - und weil er wegen eines dann fälligen Motorenwechsels ohnehin aus der Boxengasse starten musste - dachte sein Team, es dürfe unbenutzte Reifen montieren. Räikkönen hatte seinen Alfa im Qualifying genau auf Höhe des Schriftzuges "never drink" (gemeint ist: trinke nie Alkohol beim Autofahren, d. Red.) in eine Werbebande eines niederländischen Bierherstellers gefahren und diese zerstört. Das war insofern ein interessantes Bild, als Räikkönen früher für seine Alkoholeskapaden im Fahrerlager berühmt war und er im Vorjahr eine umfassende Alkoholbeichte in seiner Biografie niedergeschrieben hatte. Und als in der vorvergangenen Woche sein Einsatz in Spa wegen einer Trainingsverletzung aus der Sommerpause gefährdet war, sagte Räikkönen: "Trinken ist eben sicherer als Sport."

Nico Hülkenberg

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(Foto: REUTERS)

Jetzt, da die Zukunft von Nico Hülkenberg in der Formel 1 nach dieser Saison ungewiss ist, läuft es für seinen Arbeitgeber, das Werksteam von Renault, so gut wie seit 2016 nicht mehr. In Monza wurde Hülkenberg, in dessen Cockpit ab dem nächsten Jahr der 22-jährige Franzose Esteban Ocon sitzen wird, Fünfter. Noch einen Platz besser schnitt sein Teamkollege Daniel Ricciardo ab. "Dieses Ergebnis ist nicht nur unsere Bestleistung seit 2016, es zeigt nach den Rennen in Montréal und Spa auch den klaren Fortschritt, den wir als Team speziell mit unserer Antriebseinheit machen konnten, die in der Vergangenheit so offen kritisiert wurde", jubelte Teamchef Cyril Abitebou, der in der Vergangenheit mancherorts ähnlich stark kritisiert wurde wie die Antriebseinheit, die er ja verantwortet. Er spielte damit auch an die Kritik aus dem Team von Red Bull an, das seit diesem Jahr mit Honda-Motoren anstelle von Renault-Antrieben fährt - und mit diesen erfolgreicher ist. Er sei sehr glücklich nach diesem Ergebnis, sagte Hülkenberg. "Es fühlt sich gut an und ich hoffe, dass uns das etwas Schwung für den Rest der Saison verleiht." Womöglich verleiht es auch ihm ein wenig Schwung, auf der Suche nach einem Arbeitgeber für nächstes Jahr.

Mick Schumacher

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(Foto: dpa)

Am vergangenen Sonntag machte Mick Schumacher gemeinsam mit seinen Fahrerkollegen der Formel 2 die schlimme Erfahrung, an den Trümmerteilen des völlig zerstörten Autos von Anthoine Hubert vorbeifahren zu müssen, der beim Rennen in Spa-Francorchamps verstarb. Aber weil es im Motorsport immer schnell weitergehen kann, weil er eine gewisse Routine im Verdrängen und Vergessen entwickelt hat, musste auch Schumacher nur drei Tage später schon wieder auf dem Domplatz in Mailand stehen und teilnehmen an dem gigantischen PR-Termin der Scuderia Ferrari, die "90 Jahre Emotionen" feierte. "Schumi, Schumi, Schumi" riefen die tausenden Tifosi, als Schumacher zusammen mit seinen Kollegen aus der Ferrari-Nachwuchsakademie auf der Bühne erschien. Schumacher filmte das Meer aus rot gewandeten Menschen mit seinem Handy. "Mille grazie!", sagte er und schlug mit der Hand auf das Ferrari-Logo auf seinem Shirt, auf das cavallo rapante, das springende Pferd. Und am Wochenende fuhr er wie gehabt zwei Rennen. Beim Sprintrennen am Sonntag schaffte es der 20-Jährige von Startplatz 14 noch auf den sechsten Platz. Außerdem gelang ihm die schnellste Runde. Im Hauptrennen am Samstag war Schumacher in sehr aussichtreicher Position und Chancen auf das Podium mit einem Defekt am Motor ausgeschieden.

Anthoine Hubert

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(Foto: AFP)

Eine Woche nach dem Unfalltod des Formel-2-Piloten Anthoine Hubert beim Rennen in Spa hat die Formel 1 sich bemüht, in Monza auf Normalbetrieb umzustellen. Wobei die meisten Protagonisten das natürlich nicht so darstellen wollten. Im Gegenteil. Toto Wolff, der Teamchef von Mercedes, der schon in Spa den Mut aller Rennfahrer hervorgehoben hatte, sie mit modernen Gladiatoren verglichen hatte, sagte explizit: "Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen." Als dann aber in der Nacht von Freitag auf Samstag auch noch bekannt wurde, dass der Gesundheitszustand des zweiten in Belgien verunfallten Fahrers wesentlich schlechter ist als angenommen. Als klar wurde, dass sich Juan Manuel Correa im künstlichen Koma befindet und künstlich beatmet werden muss, da stellte sich schon die Frage, ob die Formel 1 nicht doch etwas zu schnell auf Normalprogramm umgeschaltet hatte. Gut, sie haben rennserienübergreifend schwarze Aufkleber auf ihre Rennwagen gepappt, die Huberts Namen trugen. Die Formel 2 hat vor dem Rennwochenende eine Pressemitteilung verschickt, in der sie offenbar meinte, von administrativer Seite verfügen zu können, dass alle Fahrer Hubert am Sonntag im Herzen trügen. Und Huberts Team Arden hatte das kleine weiße Zelt, in dem in den Rennpausen an den Autos geschraubt wird, zu einer Art Gedächtnis-Garage umfunktioniert. Anstelle von Huberts Auto war dort der Frontflügel seines Rennwagens ausgestellt. Und ein Foto: Es zeigte Hubert in Schwarz-Weiß, wie er vor der französischen Tricolore in Bunt die Arme in jubelnder Pose in die Höhe streckt. Ansonsten wurde viel über Hubert geredet. Die wärmsten Worte sprach Sebastian Vettel. Der Unfall zeige, "dass es immer noch Sachen gibt, die wir verbessern können und müssen, selbst wenn manche Menschen denken, die Formel 1 sei zu sicher und zu langweilig", sagte er. Er wolle lieber langweilige Formel-1-Weltmeisterschaften bis ans Ende aller Zeiten haben, dafür aber alle verunglückten Piloten zurück.

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