Sidney Sam:Abschied mit Doktorhut

Sidney Sam: Feines Füßchen: Sidney Sam am 9. November 2013 beim Länderspiel im Wembley-Stadion gegen England mit Keeper Joe Hart. Die DFB-Elf gewann 1:0.

Feines Füßchen: Sidney Sam am 9. November 2013 beim Länderspiel im Wembley-Stadion gegen England mit Keeper Joe Hart. Die DFB-Elf gewann 1:0.

(Foto: Imago)

Das uneingelöste Versprechen: Fußball-Nationalspieler Sidney Sam beendet nach vielen Verletzungen seine Karriere.

Von Philipp Selldorf

Als vor einigen Jahren der Nationalspieler Sidney Sam in voller Überzeugung "eine neue Ära" seiner Karriere ausrief und dabei den Anspruch erhob, "immer noch einer der besten Flügelstürmer der Liga" zu sein, hätte er dafür durchaus ein paar Schlagzeilen verdient gehabt. Nach wie vor stand er in Verbindung mit dem Bundestrainer Jogi Löw (wenn auch nur beim Versenden von Glückwunschadressen auf dessen Mobiltelefon), zudem gehörte er dem Lizenzspielerkader des Europacup-Teilnehmers Schalke 04 an. Eine Rückkehr in die Nationalmannschaft hielt er für möglich.

Die Resonanz auf seine überraschend resoluten Worte - Sidney Sam gehörte nie zu den Profis, die durch entschiedene Reden auffielen - blieb dennoch gering. Das lag einerseits daran, dass Löw und seine Nationalelf gerade die Europameisterschaft in Frankreich bestritten und sich ohne Sams Hilfe auf dem Weg ins Halbfinale befanden, und andererseits daran, dass an ein Comeback auf Schalke nicht mal der Betroffene selbst so richtig glauben mochte. Auf dieser Verbindung lag kein Segen, das war beiden Parteien klar, und daran sollte sich trotz guter Vorsätze auch nichts mehr ändern. Im nächsten Winter gingen Klub und Spieler getrennter Wege, der schnelle Angreifer tingelte anschließend durch die Ligen und Länder: Erst zog er mit Darmstadt 98 in den (letztlich verlorenen) Abstiegskampf, dann ging es zum Zweitligisten VfL Bochum, zu SCR Altach in Österreich, schließlich zu Antalyaspor in der türkischen Süperlig. Dort bestritt er im Mai beim 0:0 gegen Konyaspor an der Seite des ehemaligen Dortmunder Idols Nuri Sahin das letzte Spiel seiner Profikarriere - eine Karriere, "die natürlich Höhen und Tiefen hatte", wie der 33-Jährige auf "Instagram" mitteilte.

Sams verheißungsvollster Länderspielauftritt war zugleich sein letzter Länderspielauftritt

Letzteres klingt beim Blick auf die vergangenen sieben Jahre womöglich beschönigend, trifft aber trotzdem zu. Sidney Sam war einmal ein seriöser Anwärter auf die Teilnahme am Championat in Brasilien, mit ein bisschen mehr Glück hätte "Weltmeister" auf seiner Visitenkarte stehen können. Doch sein verheißungsvollster Länderspielauftritt war zugleich sein letzter Länderspielauftritt. Beim 1:0-Sieg gegen England in London im November 2013 - ein halbes Jahr vor dem Abflug ins Campo de Bahia - erteilte ihm der Bundestrainer ein Sonderlob mit Sternchen. "Jogi Löw hat mir das Gefühl gegeben, dass ich dazugehöre", erinnerte sich Sam Jahre später. "Sid", wie er genannt wurde, gehörte sozusagen zum Establishment beim DFB.

Weltmeister bleibt man ein Leben lang, lehrt Rudi Völler, der Ruhm als bloßer Nationalspieler aber ist vergänglich. Zeitgenossen wie Malik Fathi, André Hahn oder auch Sams eigentlich hochbegabter ehemaliger Leverkusener Mitspieler Gonzalo Castro blieben flüchtige Erscheinungen beim DFB. Und letztlich war dann auch Sam selbst nur eines von vielen Objekten in einer Testreihe, die vom Bundestrainer initiiert und später still beendet wurden. Verletzungen kosteten den Flügelstürmer die Chance auf die WM. Danach wurde er zwar nochmal in die Auswahl berufen, doch nun begann jener Teil der Karriere, den er mit dem Stichwort "Tiefen" korrekt beschrieben hat. Durch den Wechsel nach Gelsenkirchen im Sommer 2014 stieg er zum Großverdiener auf, aber auf Schalke hatte er dann mehr Verletzungen als Einsätze. Die Akte seines ersten Jahres verzeichnet ein halbes Dutzend verschiedene Muskel- und Sehnenverletzungen, zwischendurch einen "Sonderurlaub". Mit den Trainern hatte er es auch nicht leicht. Der Trainer, der ihn herzlich empfangen hatte (Jens Keller) musste bald gehen, den Nachfolger Roberto Di Matteo fand Sam zwar "menschlich super", fachlich aber nicht so sehr: "Taktisch war er ein Italiener" - die Defensive hatte Vorrang.

Die Zeit der Bitternis über die verpassten Karriere-Chancen ist nun aber vorbei. Beim Foto zur Abschiedsmitteilung präsentierte sich Sam mit einem Doktorhut auf dem Kopf und im akademischen Gewand - Ausdruck seines Abschlusses in Sportmanagement an der Universität St. Gallen. Nun könne "die Karriere nach der Karriere" beginnen, schreibt er.

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