Shorttrackerin Anna Seidel:In den Ferien nach Sotschi

15 Januar 2014 Dresden Training Deutsche Nationalmannschaft zur Short Track EM Anna Seidel phot

Shorttrackerin Anna Seidel: Olympia-Premiere mit 15

(Foto: imago sportfotodienst)

Anna Seidel hat mit 15 Jahren geschafft, wovon andere Sportler lange vergebens träumen: Sie darf zu den Olympischen Spielen. Als einzige deutsche Shorttrackerin ist sie in Sotschi dabei, seit der erfüllten Norm ist ihr Leben ein ganzes Stück aufregender geworden.

Von Saskia Aleythe

Noch zehn Tage. In Schultagen gezählt sogar nur noch sechs, dann hat Anna Seidel erstmal frei. Ihre Freundinnen vom Sportgymnasium Dresden können zwei Wochen später in den Winterurlaub starten, wenn die Ferien in Sachsen beginnen. Seidel ist dann schon in Sotschi, mit der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen. Sie wird mit 15 Jahren eine der Jüngsten sein.

"Qualifikation für Sotschi" heißt die nüchterne Nachricht, die sich im Homepage-Archiv des Sportgymnasiums Dresden versteckt. Veröffentlicht am 17. November 2013, es sind nur vier kurze Sätze, der letzte lautet: "Wir gratulieren ganz herzlich."

Dieser eine Tag im November war der Tag, von dem die allermeisten Sportler träumen, und nur ein Bruchteil davon erlebt ihn tatsächlich. Es ist der 14. November, als Anna Seidel, geboren am 31. März 1998, im russischen Kolomna die Norm für die Olympischen Spiele knackt. Zum Weltcup mitgenommen hatte das deutsche Shorttrack-Team sie eigentlich nur als Ersatzläuferin für die Staffel, doch dann passiert im Halbfinale über 1500 Meter das Entscheidende: Vor Seidel rutschen drei Läuferinnen vom Eis in die Bande, sie kann als Zweite die Ziellinie überqueren und steht damit im Finale. Wer das schafft, darf mit nach Sotschi.

Mehr als zwei Monate ist das schon her, dieser Tag im November hat viel Aufregung in das Leben von Anna Seidel gebracht, und nun, wo es nur noch zehn Tage sind, nimmt die Nervosität auch nicht ab. "Ganz angekommen ist das noch immer nicht, dass ich wirklich mitfahre", sagt Seidel. "Ich freue mich total und kann es kaum erwarten - aber es fühlt sich auch komisch an, weil da etwas Unbekanntes auf mich wartet."

Ungewissheit treibt viele Shorttracker um, vor allem die, die an die Zukunft ihrer Sportart denken. Seit 1992 ist der Sport im Olympischen Programm, so dünn besetzt wie in diesem Jahr war die deutsche Mannschaft schon lange nicht mehr. Nur Seidel und Robert Seifert, der erste deutsche Weltcup-Sieger überhaupt, fahren nach Sotschi. Die Staffeln schafften die Qualifikation nicht, Nationen wie Südkorea und China sind ohnehin unerreichbar, doch auch die Konkurrenten aus den Niederlanden waren dieses Mal stärker. Als Folge musste Bundestrainer Mike Koorman gehen, der Bulgare Miroslaw Bojadschijew übernahm kommissarisch das Amt. Seidels Qualitäten beschreibt er so: "Sie ist beweglich und kann gut Schlittschuhlaufen. Dass sie klein ist, ist ein Vorteil, weil dann der Körperschwerpunkt nahe am Eis liegt."

Essen, ohne zu bezahlen

Natürlich kam die Qualifikation für Seidel überraschend. Sie ist ein Talent, mit 15 Jahren im Weltcup zu laufen, der sie schon nach Seoul und Shanghai geführt hat, ist nicht selbstverständlich. Die Junioren-WM Ende Februar sollte eigentlich der Höhepunkt der Saison werden - an mehr dachte in Dresden niemand. Als dann alles etwas anders kam, musste viel organisiert werden. "Meine Eltern kommen drei oder vier Tage zum Zuschauen vorbei", sagt Seidel, "das ist dann schon viel Papierkram mit den Akkreditierungen. Aber jetzt ist alles gut".

15 Tage wird Seidel in Sotschi sein, an einem ihr Rennen über 1500 Meter absolvieren. Auch mit den Trainingseinheiten wird da Zeit bleiben, andere Wettkämpfe zu verfolgen. "Beim Ski Alpin und Snowboarden würde ich gerne zuschauen, irgendwas auf der Piste fände ich cool", sagt sie, "aber auch Biathlon gefällt mir". Wenn sie gefragt wird, wen sie am liebsten treffen möchte, nennt Seidel Magdalena Neuner, aber die sei ja nun nicht mehr dabei. Auf diese Weise kann man mit 15 Jahren sogar zu spät dran sein für Olympische Spiele.

Am meisten reizt Seidel dann doch etwas Unbekanntes: Diese Atmosphäre im Olympischen Dorf, von der immer berichtet wird, die aber nur die wirklich kennen, die auch dabei waren. Und auch auf etwas ganz Grundlegendes freut sie sich: "Ich finde es cool, dass man einfach irgendwo essen gehen kann, ohne zu bezahlen."

Am 19. Februar wird Seidel aus Sotschi abreisen, weil ihr sportlicher Höhepunkt immer noch die Junioren-WM ist und nicht etwa das Großereignis am Schwarzen Meer. Das Training wurde nach der erfüllten Norm nicht intensiviert. Morgens zwei Stunden auf dem Eis, dann Schule, nachmittags noch eine Einheit im Kraftraum.

Seidel weiß, dass sie glücklich in die Riege der Olympioniken geschlittert ist. "Wenn ich mein Bestes gebe, bin ich damit schon zufrieden." Druck macht ihr niemand, sagt Seidel, den Kopf wird ihr ja niemand ausreißen, egal, was in Sotschi passiert. Darin sind sich im deutschen Team alle einig. "Wir müssen mit einer gewissen Vorsicht vorgehen und sie ein bisschen schützen", sagt Teamchef Matthias Kulik. Sotschi sei für Seidel aber eine gute Möglichkeit, "um den medialen Trubel ohne den riesigen Leistungsdruck mitzuerleben".

Schulaufgaben muss Seidel in Sotschi keine lösen, ihre Lehrer haben ihr lediglich ein englisches Buch mitgegeben. "Sie haben mir gesagt, wenn ich Zeit habe, kann ich ja mal drin lesen", sagt sie, "aber ansonsten soll ich die Zeit genießen."

Auch wenn da so viel Ungewisses wartet: Angst vor dem großen Ereignis hat Seidel keine. Heimweh werde wohl nicht aufkommen, sagt sie, an ihren freien Tagen will sie auch mit ihrer Kamera losziehen, das ist ihre Leidenschaft. Fotografin - das kann sie sich auch als späteren Beruf vorstellen. "Wenn ich erstmal in Sotschi bin, gucke ich mich um und dann geht's los." Wenn Anna Seidel von Olympia spricht, dann klingt das so, wie es bei einer 15-Jährigen klingen sollte: nach einem großen Abenteuer.

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