Shkodran Mustafi:Häuptling in Löws Krabbelgruppe

Germany - Training & Press Conference

Neu im Rampenlicht: Shkodran Mustafi neben Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • In Kopenhagen trifft die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Freundschaftsspiel auf Dänemark.
  • In einem mit unerfahrenen Spielern besetzten deutschen Kader ist Weltmeister Shkodran Mustafi einer der dienstältesten Nationalspieler.
  • Der Verteidiger will die Chance nutzen, sich beim Confed Cup für eine tragende Rolle bei der WM 2018 zu empfehlen.

Von Jonas Beckenkamp, Kopenhagen

Wer die Kopenhagener S-Bahnstationen Valby, Danshøj oder Glostrup noch nicht kennt, dem sei gesagt: Es gibt an fast allen diesen Vorstadt-Knotenpunkten anständige Pølser zu kaufen. Rote Würstchen im Knautschbrot (manche würden sie Hotdogs nennen), ohne die das Volk der Dänen nicht leben mag. Wer sich noch ein wenig weiter hinaus wagt aus der Stadt, läuft zwar irgendwann Gefahr, kulinarisch unterversorgt zu sein, aber dafür gibt es in diesen Tagen im Arbeiterviertel Brøndby echte Weltmeister zu bestaunen.

Joachim Löw zum Beispiel, den Trainer der deutschen Nationalelf, über dessen Haltung zu Hotdogs sich die Welt bis heute im Unklaren ist. Bekannt ist dagegen Löws Mission in diesen Tagen, während er mit der DFB-Elf in Kopenhagen zum Länderspiel gastiert: Er möchte in der Vorbereitung auf den Confed Cup in Russland eine Art Freiluft-Labor eröffnen, eine Tüftelstube für seine Mannschaft - und der Freundschaftskick im Brøndby-Stadion an diesem Abend gegen Dänemark bildet dazu den Auftakt.

Bei all den Neulingen mit Namen wie Kerem Demirbay, Diego Demme oder Amin Younes hätte man fast vergessen können, dass unter den 21 Spielern, die bei Sonnenschein aus dem Lufthansa-Flieger des DFB stiegen, auch einer wie Shkodran Mustafi ist. Auch seine Vita schmückt der WM-Titel, zudem ist er mit 15 Länderspielen im aktuellen Kader einer der Häuptlinge in Löws Krabbelgruppe. "Musti hatte eine intensive Saison in der Premier League", hat der Bundestrainer beobachtet, "aber auch er hat noch nicht so viele große Turniere bestritten."

Weltmeisterle als Capitano?

Immerhin zwei waren es (WM 2014 und EM 2016), weshalb "Musti", wie er von allen gerufen wird, jetzt plötzlich derjenige ist, der während der Pressekonferenz neben Löw sitzt und Fragen beantworten muss. Mit 25 Jahren konnte der Arsenal-Verteidiger schon ein bisschen herumschnuppern in Europas Fußball - er spielte in Valencia, bei Sampdoria Genua und beim FC Everton. So einer darf natürlich "auch bei uns Führungsaufgaben übernehmen", wie Löw findet. Recht viele weitere sogenannte "Führungskräfte" kommen einem beim Betrachten der Confed-Cup-Delegation ohnehin nicht in den Sinn, wenn man von den beiden anderen Weltmeistern Matthias Ginter und Julian Draxler absieht.

Aber die sind mit ihren wenigen (beziehungsweise nicht vorhandenen WM-Minuten) auch eher "Weltmeisterle" als richtige Weltmeister. Für Mustafi (drei Einsätze in Brasilien) ergibt sich durch Löws Versuchsanordnung mit lauter Perspektivpersonal eine neue Situation: Er könnte gegen Dänemark sogar als Kapitän auflaufen, falls die Wahl nicht doch auf Draxler fällt. Löw war sich jedenfalls am Montagabend noch nicht sicher, er musste sich selbst bei der ersten und einzigen Trainingseinheit seines Puzzlekaders einen Überblick verschaffen: "Rufen Sie mich abends gegen neun oder zehn an, dann weiß ich mehr."

Abwehrchef oder Ersatzmann?

Mustafi gilt nach einer ansprechenden Saison bei Arsenal als erste Option für die Innenverteidigung neben dem Neu-Bayern Niklas Süle, Ginter oder Antonio Rüdiger vom AS Rom. Obwohl er mit 37 Saisoneinsätzen als Per-Mertesacker-Ersatz in London einer der wenigen Vollzeitarbeiter ohne Sommerpause ist, sagt er: "Ich bin ja noch jung, ich kann ein bisschen mehr aushalten als die anderen." Der Confed Cup sei als Chance "unheimlich geil" - diese Aussage darf man ihm durchaus glauben. Wann sonst würde nämlich Mustafi angesichts der A-Besetzung im Abwehrbereich mit Mats Hummels und Jerome Boateng (und Benedikt Höwedes) ein ganzes Turnier lang vorspielen dürfen?

Der Sommer 2017 als große Castingbühne für die WM 2018, diese Vorgabe hat Mustafi verinnerlicht. Er kämpft dabei auch gegen die Erinnerung: Neben vielen soliden Auftritten (und seinem EM-Tor gegen die Ukraine) steht bei ihm auch ein Wackel-Einsatz bei der WM 2014 gegen Ghana im Klassenbuch. Und natürlich jene beiden Champions-League-Spiele gegen die Bayern in dieser Saison. Dass es für Arsenal gleich zwei 1:5-Watschn setzte, lag unter anderem daran, dass Mustafi gegen Robert Lewandowski recht verloren wirkte.

Raus aus der Vorstadt

Trotzdem vertraut Löw offenbar seiner Entwicklung, er hält Mustafi für verlässlich genug, um in zwei Wochen auch gegen Chile, Australien oder Kamerun mit ihm die Defensive zu bilden: "Wenn er bei uns gespielt hat, hat er immer sehr gute Leistungen gezeigt. Auch, weil er taktisch gut geschult ist." Die Frage ist, ob sich Mustafi langfristig in Richtung "Abwehrchef" fortbildet oder ob sich seine DFB-Karriere beim Status "guter Ersatz" einpendelt. Ob er einer derjenigen wird, bei denen Löws größter Wunsch dieses Sommers in Erfüllung geht: Er wolle sehen, "wer die Gabe hat, Verantwortung zu übernehmen", erklärte der Bundestrainer.

Mustafi will diese Herausforderung annehmen. Am besten nicht nur an diesem Abend draußen in Brøndby, sondern auch bei seiner zweiten Fußball-WM im kommenden Jahr. Er will raus aus der Vorstadt und rein ins Getümmel. "Ist doch schön, dass ich mal wieder kicken kann", sagt Shkodran Mustafi. Er ist schließlich nicht zum Hotdogs essen nach Dänemark gekommen.

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